Veranstaltungsbericht: Palästinensische Beduin:innen und ihre Zukunft im Naqab/Negev

Bericht von Roswitha Al- Hussein
Am 27. Jänner 2023 konnten wir von der Steirischen Friedensplattform und der Palästina Solidarität
Steiermark die Architektin und Aktivistin Nadia Alatawneh in Graz zu einer Veranstaltung begrüßen.

 

 


Rund 20 Teilnehmer:innen gewannen über ihren äußerst interessanten Vortrag einen Einblick in das
beduinische Leben in der Wüste Al-Nakab und in die besonderen Herausforderungen, mit denen sie
unter israelischer Herrschaft konfrontiert sind.

Nadia Alatawneh konnte mit zahlreichen Fotos aus dem Familienalbum, Kartenmaterial und
Behördendokumenten das reichhaltige beduinische Leben in der Wüste Al-Nakab bereits lange vor
der israelischen Staatsgründung belegen. Seit Jahrhunderten leben dort die
Beduin:innen in Einheit mit der Natur. Durch Erfahrungen lernten sie, wie sie auf
ideale Weise die Bedingungen der Wüste für ihre wirtschaftliche Grundlage
nachhaltig nutzen können. Ihre Existenz sicherten sie nicht nur durch Viehwirtschaft,
sondern ebenfalls durch den Anbau von Getreide, Obst und Gemüse. Noch unter den
Osmanen exportierten sie jährlich 40 Schiffladungen Getreide nach Europa. Die
traditionelle Lebensweise der Nakab-Beduin:innen ist eine Mischform zwischen
Nomadentum und Sesshaftigkeit, wovon auch ihre Bauten zeugen. Diese setzen sich
aus beweglichen und fixen Bauten zusammen als auch unterirdischen und
oberirdischen. So können sie die klimatischen Bedingungen vorteilhaft für sich
nutzen, wie Getreidesilos unterirdisch anlegen, je nach Jahreszeit Weide-flächen
nutzen oder Böden nach mehreren Jahren der Bewirt-schaftung zwecks Erholung der
Erde wieder brach
liegen lassen. Bereits
1900 wurde die
Stadt Bir-Sab‘a von
allen
Beduinenstämmen
gemein-sam als Handels-, Kultur- und
Verwaltungszentrum gegrün-det.
Auch davon durften wir Bilder sehen.
Israel benötigt die Erzählung von
einem unbewohnten Land Palästina
für seine kolonialen Absichten, aber
sie bleibt dennoch eine Lüge.
Grün: beduinische
Stammesgebiete vor
1948
Feierlichkeiten zur Gründung von Bir Sab’a 1900, aus N.A. Familienalbum

Dieser Lebensgrundlagen wurden die
Beduin:innen durch die israelische Staats
gründung – der Nakba (Große Katastrophe)
beraubt. Die Nakab-Wüste im Süden Palästinas
gelegen wurde beim UN-Teilungsplans 1947 den
Palästinenser:innen zugesprochen, jedoch von
den israelischen Besatzungstruppen erobert.
Dabei wurden 90% der Beduin:innen vertrieben
oder ermordet. Die Verbliebenen wurden von
den Israelis in Reservate zwangsumgesiedelt. Diese künstlich angelegten Dörfer entsprechen
überhaupt nicht ihrer Lebensform. Heute gibt es drei Dorfarten: die verwalteten Dörfer (künstlich
angelegten), acht anerkannte Dörfer und 35 nicht-anerkannte Dörfer. Diese unterschieden sich in
ihrer Infrastruktur eklatant. Die nicht-anerkannten Dörfer sind nicht ans öffentliche Strom-, Wasser-
und Kanalnetz angeschlossen, haben keine Gesundheitskliniken und staatliche Schulen. Obwohl ihre
Bewohner:innen israelische Staatsbürger:innen sind. Darüberhinaus sind sie einer permanenten
israelischen Repression ausgesetzt. Ihre Dörfer werden regelmäßig von Polizei und Soldaten
überfallen und ihre Häuser abgerissen. So wurde das Dorf Al-Akarib bereits 213 mal abgerissen. Die
Beduin:innen leisten Widerstand: sie bauen ihre Häuser wieder auf, sie machen Demonstrationen
und fordern ihre Rechte ebenfalls am Gerichtsweg ein. Viele von ihnen verfügen über Besitzurkunden
noch aus osmanischer Zeit oder können beispielsweise belegen, an die britische Kolonialmacht
Steuern für ihr Land und Tiere gezahlt zu haben. Taktik der israelischen Regierung ist es, solche
Gerichtsverfahren zu verschleppen, damit es nie zu einer Entscheidung kommt, erzählt Nadia
Alatawneh. Gegen die Demonstrationen geht die israelische Polizei hart vor. Die Vortragende zeigte
Bilder von Tränengasgranaten, welche von Drohnen über den Demonstrierenden abgeworfen
wurden.
Eine wichtige Rolle in der Vertreibung der Beduin:innen spielt der Jüdische Nationalfond (JNF). Dieser
vom Zionistischen Kongress 1901 gegründete Fond betrachtet es als seine Aufgabe, Land in Palästina
aufzukaufen und es ausschließlich an jüdische Menschen weiterzuverkaufen bzw. an die israelische
Regierung zu übergeben. Der JNF verwaltet über 90% des israelischen Staatsbesitzes (mit). Im Naqab
betreibt der JNF Greenwashing. Auf dem von Beduin:innen
geraubten Land werden Wälder und Parkanlagen errichtet. Diese
verfolgen den Zweck, jegliche Spuren von Besiedelung vor 1948
auszulöschen. JNF und die israelische Kolonialregierung stellen
sich gerne als die Begrüner der Wüste dar und sammeln dafür
weltweit Spenden. Die Wälder tragen dann die Namen der
Spender. Nadia Alatawneh zeigte Bildern von solchen Tafeln wie
Wald der deutschen Länder, Thüringer Wald, Berliner Wald und
Gedenksteinen z.B. der SPD, welche auf den Grundstücken von vertriebenen Beduin:innen stehen!
Solche Wälder verletzen nicht nur die Menschenrechte, sondern sind auch ökologisch schädlich. Die
aus Europa importierten Bäume verderben den Boden und passen nicht in das Wüstenklima,
berichtet Nadia Alatawneh. So kommt es immer wieder zu verheerenden Waldbränden. Und die
Wälder benötigen viel Wasser. Dieses Wasser gibt es nicht in der Wüste und wird so vom See
Genezareth und den Bergen in der Westbank umgeleitet, d.h. den Palästinenser:innen gestohlen.
Trotz der Beteiligung des JNF an Verbrechen gegenüber den Palästinenser:innen genießt diese
weltweite Organisation NGO-Status und Steuerfreiheit in den USA, Deutschland und Österreich.
Zum Schluss ihres Vortrages zeigte uns Nadia Alatawneh Ausschnitte aus ihrer Masterarbeit, in
welcher sie sich mit nachhaltiger, den Bedürfnissen der Beduin:innen entsprechenden, ländlicher
Architektur beschäftigte. Sie ist die erste Beduinin, die an der Universität von Tel Aviv Architektur

studierte. Ihre Vision von einem beduinischen Dorf, in welchem traditionelle Lebensweise mit
moderner Infrastruktur in Harmonie mit der Wüste und ökologisch nachhaltig verknüpft ist, wirkte
auf alle Anwesenden besonders einladend. Zugleich war allen bewusst, dass von einer
Apartheidregierung keine Lösung für die Diskriminierung der Beduin:innen zu erwarten ist. Ihre
anhaltende Vertreibung aus dem Nakab geht Hand in Hand mit den Vertreibungen in der Westbank,
der Rassismus gegenüber den indigenen Bewohner:innen innerhalb des israelischen Staatsgebietes
ist die Kehrseite der Besatzung und des Apartheidsystems in Gaza und Westbank.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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