Wir sollten vor dem Gaza-Streifen den Hut ziehen

Der Geist in Gaza kann durch keine Belagerung gebrochen werden und haucht der hoffnungslosen und verlorenen Sache des palästinensischen Kampfes neues Leben ein.

Opinion – Haaretz – Gideon Levy – 15. Juli 2018

Original: Haaretz: https://www.haaretz.com/opinion/.premium-we-should-be-saluting-the-gaza-strip-1.6270636

 

Ohne den Gaza-Streifen wäre die Besetzung schon lange vergessen. Ohne den Gaza-Streifen, hätte Israel das Palästina-Problem von seiner Agenda entfernt und munter seine Verbrechen und Annektionen fortgesetzt, seine Routine, so als ob 4 Millionen Menschen nicht unter seinen Fersen leben würden. Ohne den Gaza-Streifen würde auch die Welt vergessen haben. Die meisten haben es bereits getan. Deshalb müssen wir jetzt vor dem Gaza-Streifen den Hut ziehen vor allem vor dem Geist des Gaza-Streifens, nur er haucht noch Leben in die hoffnungslose und verlorene Sache des palästinensischen Kampfes um Freiheit ein.

 

Der energische Kampf des Gaza-Streifens sollte auch in Israel Bewunderung auslösen. Die Handvoll Menschen mit Gewissen, die noch hier sind, sollten dem ungebrochenen Geist im Gaza-Streifen danken. Der Geist der West-Bank zerbrach, nachdem die Zweite Intifada scheiterte, dasselbe geschah mit dem israelischen Friedenslager – die meisten wurden schon vor langer Zeit zerschlagen. Nur der Geist des Gaza-Streifens ist standhaft in seinem Kampf.

Daher soll jeder, der nicht für immer und ewig in einem bösen Land leben möchte, die Glut respektieren, welche die jungen Menschen des Gaza-Streifens noch immer versuchen zu schüren. Wenn es keine Drachen, Feuer und Qassam-Rekten gäbe, wären die PalästinenserInnen total aus dem Blickfeld aller Menschen in Israel entschwunden. Nur die Fußballweltmeisterschaft und Eurovisions-Song-Contest wären von allgemeinem Interesse. Ohne die geschwärzten Felder im Süden, würde eine große weiße Fahne nicht nur über den Gaza-Streifen sondern über das gesamte palästinensische Volk flattern. Gerechtigkeitsanhänger, inklusive die israelischen, können das nicht wünschen.

Es ist schwierig, ja sogar unverschämt, diese Worte im ruhigen und sicheren Tel Aviv zu schreiben, nach einer weiteren schlaflosen und alptraumhaften Nacht im Süden, aber alle Tage und Nächte im Gaza Streifen sind viel schwieriger wegen der unmenschlichen Politik Israels, die von den meisten seiner Bürger unterstützt wird, einschließlich der Menschen, die im Süden leben. Sie haben es nicht verdient, die Last zu tragen, aber jeder Kampf fordert einen Preis von unschuldigen Opfern, die wir nicht zu Opfern machen wollen. Wir sollen nicht vergessen, dass nur Palästinenser getötet werden. Am Samstag starb das 139. Opfer durch israelisches Feuer am Grenzzaun. Er war 20 Jahre alt. Am Freitag wurde ein 15-jähriger Junge getötet. Der Gaza-Streifen zahlt den vollen Preis mit Blut. Aber das hält sie nicht ab, weiterzumachen. Das ist ihr Geist. Man kann das nur bewundern.

Der Geist des Gaza-Streifens kann durch keine Belagerung gebrochen werden. Die Bösen in Jerusalem haben den Kerem-Grenzübergang geschlossen und Gaza hat geschossen. Die Bösartigen im Kirya-Regierungs-Komplex in Tel Aviv verhindern, dass junge Menschen ärztliche Behandlung in der Westbank bekommen, um eine Amputation ihrer Gliedmaßen zu verhindern.

Jahrelang haben sie Krebs-Patienten, einschließlich Frauen und Kinder daran gehindert, lebensrettende Behandlung zu bekommen. Letztes Jahr wurden nur 54% der Ansuchen, den Gaza-Streifen zwecks medizinischer Behandlung zu verlassen bewilligt. 2012 waren es noch 93%. Das ist bösartig. Wir sollten den Brief lesen, der im Juni von 31 israelischen Onkologen geschrieben wurde, die aufriefen, den Missbrauch von krebskranken Frauen aus Gaza zu beenden, denn ihre Ausreiseanträge werden monatelang nicht beantwortet, womit ihr Schicksal besiegelt ist.

Die 31 Raketen, die am Freitag vom Gaza-Streifen aus nach Israel gefeuert wurden, sind eine verhaltene Reaktion auf diese Böswilligkeit. Sie sind nicht mehr als eine gedämpfte Erinnerung an das Schicksal des Gaza-Streifens, an jene gerichtet die glauben,dass 2 Millionen Menschen mehr als 10 Jahre so behandelt werden können und man so tun könnte, als ob nichts passierte.

Der Gaza Streifen hat keine Wahl. Hamas ebenso nicht. Jeder Versuch, der Organisation die Schuld zuzuschieben – von der ich mir nur wünschte, dass sie säkularer, feministischer und demokratischer wäre – ist eine Umgehung der Verantwortung. Es war nicht die Hamas, die den Gaza-Streifen schloss. Noch haben sich die BewohnerInnen des Gaza-Streifens abgeschlossen. Israel (und Ägypten) haben es getan. Jeder zögerliche Versuch der Hamas in Richtung eines Fortschritts mit Israel wird automatisch mit einer israelischen Ablehnung beantwortet. Und auch die Welt ist nicht gewillt, mit ihnen zu sprechen, wer weiß warum.

Alles was übrig bleibt sind die Drachen die womöglich zu einer anderen Runde des unbarmherzigen Bombardierens und Beschusses durch Israel führen kann, was Israel natürlich überhaupt nicht will. Aber welche Wahl hat der Gaza-Streifen? Eine weiße Fahne der Kapitulation über ihren Zäunen, wie jene, welche die PalästinenserInnen in der Westbank hissten? Der Traum einer grünen Insel vor den Küsten des Mittelmeers, welche Israels Transportminister Yisrael Katz für sie bauen wird? Der Kampf ist der letzte Weg der ihnen bleibt, ein Weg der respektiert werden sollte, selbst wenn Sie ein Israeli sind, der vielleicht ihr Opfer sein könnte.

 

 

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