Palästina und Israel-(un)heiliges Land? Retrospektive auf einen EAPPI Vortrag in Graz
Christine Hödl hat am 22.1.2020 im Weltladen Graz auf Einladung von PAX CHRISTI Steiermark über ihre Eindrücke als Freiwillige bei EAPPI [1]( das ökumenische Begleitprogramm in Palästina und Israel) erzählt.
Offenherzig und mit einfachen Worten schildert sie ihren Aufenthalt im besetzten Palästina, erzählt über die prekäre Lage der BäuerInnen zwischen Mauer, Checkpoints und Siedlern, über die Hirtenzelte, die obwohl sie auf deren eigenem Grund und Boden stehen, immer wieder abgerissen werden und über den Widerstand der Menschen dagegen. Sumud, sagt sie, Sumud, der arabische Ausdruck für Durchhaltevermögen, ermöglicht es diesen Familien seit mehr als 50 Jahren Besatzung trotz aller Schikanen durch Militär und Behörden, auf ihrem Boden zu bleiben. Und die Zelte immer wieder aufzubauen.
Christine Hödl hat in ihren mehrmaligen Aufenthalten viel gesehen und gehört. Man spürt in ihren Vorträgen das Mitempfinden mit dem Leid der palästinensischen BäuerInnen und gleichzeitig die Bewunderung für ihre Standhaftigkeit. Denn die Verteidigung ihres Bodens bezahlen diese Menschen mit einem Leben in äußerster Prekarität und bitterer Armut.
Ohne Christines Einsatz und den anderer Freiwilliger von EAPPI würde kaum jemand hier in Europa über ihr Schicksal erfahren. Christines und die Motivation von EAPPI geht aber über Informationsvermittlung hinaus: Sie möchten die europäische Zivilgesellschaft aufrütteln und sie bewegen, auf VerantwortungsträgerInnen in der Politik Druck auszuüben. Israelische Regierungen sollen bewegt werden, das Internationale Völkerrecht und damit die Rechte der PalästinenserInnen anzuerkennen.
Es ist unerlässlich, an das Verbrechen des Holocaust zu erinnern, den jüdischen und allen Opfern des Naziregimes zu gedenken, um – wie auch der Bundespräsident dieser Tage in Yad Vashem erwähnte – Zeichen des Wiedererwachens einer bösen Zeit rechtzeitig zu erkennen.
Doch warum bleibt bei allem wichtigem Gedenken eine der Folgen dieser Epoche, das Schicksal der PalästinenserInnen, konsequent verschwiegen? Durch die Verfolgung und Vertreibung der JüdInnen Europas kam es zu ihrer Auswanderung in großer Zahl nach Palästina und in weiterer Folge zur Gründung des Staates Israel. Die nationalistisch ausgerichtete zionistische Staatsideologie wollte einen ethnisch mehrheitlich jüdischen Staat. Das war nur möglich über die Vertreibung von mehr als 750.000 PalästinenserInnen. Die Nakba, zu Deutsch die große Katastrophe, zwang diese Menschen in riesige Flüchtlingslager und ins Exil. Die UNO hatte in der Resolution 194 im Jahr 1948 den vertriebenen PalästinenserInnen und ihren Nachkommen (5,5 Millionen Flüchtlinge, laut UNWRA 2019) das Recht auf Rückkehr zugesichert.
Bis heute bleibt diese UN-Resolution sowie zahlreiche weitere, die Israel zum Ende der Besetzung und Vertreibung verpflichten, unerfüllt. Es gibt keinerlei Sanktionen gegenüber Israel, auch dann nicht, wenn extreme Menschenrechtsverletzungen und klare Brüche des Internationalen Völkerrechts vorliegen.
Die Europäische Union bleibt untätig, obwohl es ihre erste Aufgabe wäre für einen gerechten Frieden in der Region zu sorgen. Als späte Antwort auf die nationalsozialistische Vernichtungsmaschinerie, in daraus resultierender Verpflichtung für Menschenrechte und Demokratie.
Doch die politisch Verantwortlichen der EU folgen dem sich verstärkenden rechten Ethnonationalismus israelischer Regierungen, die Besatzung und Vertreibung immer weiter verstärken.
Christine Hödl hat in ihrem Vortrag die breiten politisch-historischen Dimensionen des Konflikts nicht erörtert. In einer Zeittafel gab sie einen kurzen Überblick über die wichtigsten Ereignisse. Ihr ging es darum, das Leben der Menschen unter Besatzung für EuropäerInnen nachvollziehbar zu machen.
Ein Teilnehmer aus dem Publikum verweigerte sich jeder Empathie mit den PalästinenserInnen aus Christine Hödls Tatsachenberichten. Er kritisierte die Zeittafel mit dem Verweis, dass Israel 1967 von übermächtigen arabischen Armeen angegriffen worden sei. Wahrscheinlich wollte er mit diesem bekannten Narrativ zu verstehen geben, dass Israel wohl gezwungen gewesen sei, diese Art von Staat aufzubauen, um sich gegen das feindliche arabische Umfeld zu wehren. Da es diesem Mann offensichtlich nur darum ging, seine Meinung in den Raum zu stellen, weil er sich jeder weiteren Diskussion verweigerte, sei es hier gesagt:
Der israelische Premierminister Menachem Begin erklärte am 8. August 1982 vor dem National Defense College unmissverständlich, der Krieg wurde ohne realer Bedrohung begonnen: „Im Juni 1967 hatten wir wieder eine Alternative. Die Konzentration der ägyptischen Armee im Sinai beweist nicht, dass Nasser uns wirklich angreifen wollte. Wir müssen ehrlich zu uns sein. Wir griffen sie an … Die Regierung der nationalen Einheit hat einstimmig beschlossen: Wir werden die Initiative ergreifen und den Feind angreifen, zurückdrängen und damit die Sicherheit von Israel und die Zukunft der Nation gewährleisten. Wir taten dies nicht, weil wir keine Alternative gehabt hätten. (!) Wir hätten weiter abwarten können, wir hätten die Armee nach Hause schicken können. Wer weiß, ob ein Angriff gegen uns erfolgt wäre? Es gibt keinen Beweis dafür. Es gibt mehrere Argumente für das Gegenteil.“[2]
Der israelische Historiker Illan Pappe hat in seinem Buch 10 Mythen über Israel[3] das Narrativ des israelischen Davids gegenüber dem arabischen Goliath als Mythos entlarvt. Die historischen Fakten sprechen eine klare Sprache und die militärischen für sich: Israel besetzte im 6-Tage-Krieg die Westbank, Golanhöhen, Gazastreifen, Ostjerusalem und den Sinai. Rund 300.000 PalästinenserInnen erlitten, oft schon zum zweiten Mal, das Flüchtingsschicksal.
Leider bezichtigte dieser Teilnehmer, der von sich behauptete für die jüdische Gemeinde anwesend zu sein, in aggressivem Ton die Vortragende der Wiedergabe von Unwahrheiten und rief ihr drohend zu: „Sie sind schon bekannt!“ Darüber hinaus beleidigte er VeranstalterInnen und TeilnehmerInnen als Antisemiten.
Schade, dass der Vortrag von Frau Hödl bei diesem Besucher keinerlei Verständnis für die Seite der PalästinenserInnen hervorrufen konnte. Das zeigt aber auch, wie kontraproduktiv Ideologie wirken kann und wie konsequent solche „Freunde“ Israels jeden auch noch so kleinen Brückenbau in Richtung Verständigung niederreißen wollen.
Die rechte israelische Regierung wünscht sich, dass die Worte „Palästina“ und „PalästinenserInnen“ aus Europa verschwinden. Sie ist wohl der Meinung, dass worüber man nicht spreche, auch nicht existiere. Das entspricht nach wie vor dem Traum des praktizierenden rechten Zionismus.
Die Berichte von Christine Hödl und anderer RückkehrerInnen von den EAPPI-Friedenseinsätzen sind wichtige Beiträge um in Europa die verschleiernde Wirkung der israelischen Propaganda (bekannt unter Begriffen wie „Hasbara“, „Sayanim“, „Rebrand Israel“) zu durchbrechen und ihr ein wirklichkeitsgetreues Bild der Schicksale von PalästinenserInnen unter der drückenden Besatzung Israels entgegenzusetzen.
Die palästinensischen BäuerInnen werden fortfahren, ihr Land zu bebauen.
Christine Hödl wird weiterhin ihre Stimme nach Europa tragen.
Danke Christine!
[1]https://eappi-austria.at/
[2]http://linkswende.org/sechstagekrieg-1967-der-mythos-von-der-permanenten-bedrohung-israels/
[3]https://www.versobooks.com/blogs/3251-the-june-1967-war-was-a-war-of-no-choice
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