Replik auf Presseerklärung der Gesellschaft d Freunde d jüd.Gemeinde

OFFENER BRIEF

An die Gesellschaft der Freunde der Jüdischen Gemeinde Graz (GFJGG), Dir Prof. Otto Hochreiter, MA

Werte Herren der Gesellschaft der Freunde der Jüdischen Gemeinde Graz!

Sie stellen Ihrer Presserklärung vom 24.7.[1] den Artikel 1 der Menschenrechtscharta voran: Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Den zweiten Satz, in dem es heißt „Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen“, zitieren Sie nicht.

Dieser Geist der Brüderlichkeit spricht aus Ihren Zeilen nämlich nicht, wenn Sie dem Menschenrechtsexperten Univ. Prof. em. Wolfgang Benedek vorwerfen, sich „schützend vor eine Organisation zu stellen, deren maßgeblichen FunktionärInnen seit Jahren mit antisemitischen Hasstiraden gegen den Staat Israel auftreten“. Dabei bleiben Sie jeden Beweis für „Hasstiraden“ von Seite der genannten FunktionärInnen von SOMM[2] oder Steirische Friedensplattform[3] schuldig. Gäbe es diese Hasstiraden wirklich, würden Sie hoffentlich wohl nicht zögern dagegen rechtliche Schritte einzuleiten.

Sie schreiben, „dass exponierte RepräsentantInnen von „Somm“ meist in Einheit mit der „Steirischen Friedensplattform“ mit der antiisraelischen Boykott-bewegung BDS (vom Deutschen Bundestag als antisemitisch eingestuft) sympathisieren, just dann dort zu finden sind, wo Störaktionen vollführt oder öffentlich israelische Flaggen verbrannt werden oder radikale Hass-Politiker wie etwa Haneen Zoabi zur „Fortbildung“ eingeladen werden.“

Gegen die Deklarierung von BDS als antisemitisch[4] haben sich zahlreiche Intellektuelle in Israel und weltweit[5] ausgesprochen. Der Protest gegen die versuchte Kriminalisierung von BDS-AktivistInnen, die mit großen Summen aus israelischen Quellen finanziert wird[6], nimmt stetig zu. Immer mehr Menschen erkennen, dass das eine allgemeine Bedrohung des Menschenrechts auf Meinungsfreiheit darstellt.

Sie sprechen im Plural von „Störaktionen“. Welche Aktionen meinen Sie damit genau? Die Steirische Friedensplattform wickelt ihre Veranstaltungen ordnungsgemäß ab und uns ist durch diese Inanspruchnahme des Menschenrechtes auf Versammlungsfreiheit keinerlei „Störung“ bekannt. Hingegen wurden wir bei unseren Infoständen und Veranstaltungen bereits mehrmals Ziel von Störungen durch prozionistische Akteure, wie z.B. auf der Demonstration 2014 gegen die israelische Militärintervention in Gaza.[7]

Als Reaktion auf die Besatzungspolitik Israels und die verstärkte proisraelische „Weißwäsche-Propaganda“ auch in Österreich machen wir seit einigen Jahren verstärkt Palästina-Solidaritätsarbeit und üben dabei notwendigerweise auch Kritik an den zahlreichen menschen- und völkerrechtswidrigen Aspekten der Politik Israels.   Damit nehmen wir die UN-Menschenrechte Artikel 18 (Gedanken-, Gewissens-, Religionsfreiheit), Artikel 19 (Meinungs- und Informationsfreiheit) und Artikel 20 (Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit) in Anspruch. Diese fundamentalen Rechte wurden in die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) übernommen und sind auch Teil des Österreichischen Verfassungsrechts /BV-G. Wir fordern Sie auf wahrzunehmen, dass diese unveräußerlichen Rechte in den von Israel besetzten Gebieten für PalästinenserInnen durch das Israelische Militärrecht extrem eingeschränkt sind und innerhalb der Grünen Linie für PalästinenserInnen, andere Minderheiten und kritische Gruppen und AktivistInnen der Friedens- und Menschenrechtsbewegung nur eingeschränkte Gültigkeit haben[8].

Sie erwähnen die Verbrennung der israelischen Fahne bei einer Demonstration 2014, als die israelische Armee schwerste Bombenangriffe auf und Bodentruppeneinsätze im Gaza-Streifen durchführte.  Dabei wurden laut Angaben der UN 1843 PalästinenserInnen und 67 Israelis getötet.[9] Fast sämtliche Toten der israelischen Seite waren Soldaten, die Mehrheit der toten PalästinenserInnen waren Zivilpersonen, darunter 493 Kinder[10]. In dieser Situation der verständlichen emotionalen Betroffenheit der KundgebungsteilnehmerInnen, waren es proisraelische Provokateure, die unangemeldet am Rand der Demonstration auftauchten und mit der Fahne und Hetzparolen gegen DemonstrantInnen Gewalt provozieren wollten, wie von uns oftmals dargestellt.[11]

Wenn Sie kritisieren, dass Repräsentantinnen von SOMM bei dieser von der StFp angemeldeten Kundgebung dabei waren, versuchen Sie eine Täter-Opfer-Umkehr.

So wie mit verschiedenen unserer anderen Kundgebungen und Veranstaltungen der letzten Jahre  haben wir mit dieser Demonstration unsere Menschenrechte 18, 19 und 20 wahrgenommen, um auf die Vehemenz der israelischen Militärgewalt gegen Gaza aufmerksam zu machen!

Haneen Zoabi bezeichnen Sie als „radikale Hasspredigerin“, womit Sie deutlich machen, dass Sie die antidemokratische, ethnonationalistische Politik Netanjahus befürworten. Diese diskriminiert AraberInnen und Minderheiten in Israel in ihren staatsbürgerlichen Rechten und Menschenrechten in hohem Maß, wie u.a. durch das jüngst etablierte „Nationalstaatsgesetz“. Das bedeutet Verstöße gegen den Artikel 2 der UN-Menschenrechtserklärung (Verbot der Diskriminierung), in der es heißt:

„Jeder hat Anspruch auf die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse*, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand. Des Weiteren darf kein Unterschied gemacht werden auf Grund der politischen, rechtlichen oder internationalen Stellung des Landes oder Gebiets, dem eine Person angehört, gleichgültig ob dieses unabhängig ist, unter Treuhandschaft steht, keine Selbstregierung besitzt oder sonst in seiner Souveränität eingeschränkt ist.“[12]

Personen resp. Organisationen aus der kritischen Zivilgesellschaft, die sich öffentlich mit israelkritischen Aussagen zu Wort melden, in einen zweifelhaften Zusammenhang zu Antisemitismus zu setzen, zum Beispiel, indem von ihnen verwendete Wörter aus dem aktuellen Kontext gerissen und in den historischen Kontext des Nationalsozialismus gesetzt werden, ist als eine Methode der prozionistischen „Hasbara“[13] bekannt.  Durch den völlig veränderten Kontext wird die Kritik überschrieben und in Antisemitismus verkehrt, somit die betroffene Person/Organisation möglichst skandalisiert. Zudem spielt es für die Akteure gar keine Rolle, in welchem Selbstverständnis die Adressierten handeln oder in welchem Umfeld sie aktiv sind oder welches ihr sonstiges Renommee ist, z.B. in Menschenrechts- oder Friedens-, oder antirassistischen Belangen.

Der Geist des „Glaubens an die Würde und den Wert der menschlichen Person“, wie es in der Präambel der Menschenrechte steht, gebietet unserem Verständnis nach eine möglichst ganzheitliche Sicht auf politische Agenden. Dabei steht das Eintreten für jene an vorderster Stelle, die ihrer Rechte beraubt oder schwer benachteiligt sind, sodass sie der besonderen Solidarität bedürfen. Dies trifft auf die PalästinenserInnen in ihrer Situation gegenüber dem jüdischen Staat zu.

Wir wundern uns, dass Sie als „Freunde Israels“, nicht um die Aktivitäten der rechtsextremen Identitären besorgt sind, die jetzt in Eichkögl bei Gleisdorf ein Schulungszentrum eröffnen. Zu den Umtrieben der tatsächlichen AntisemitInnen, jenen, die mit und im Fahrwasser der FPÖ schwimmen, hat man von ihrer Seite noch gar nichts gehört.

Stattdessen sind sie bestrebt, einen anerkannten Frauenverein und eine unabhängige Gruppe von FriedensaktivistInnen mit falschen Anschuldigungen und Unterstellungen der Judenfeindlichkeit zu überziehen, um sie damit aus dem öffentlichen Raum zu drängen. Das Problem besteht ganz offensichtlich nicht in irgendeiner antisemitischen Haltung dieser beiden Vereine, wie Sie das unterstellen, sondern darin, dass Sie im Interesse der Unterdrückung von Kritik an der Besatzungsmacht Israel den Antisemitismus-Begriff stark überdehnen und aus dieser ideologischen Dogmatik heraus nicht in der Lage zu sein scheinen,  zwischen dem mit keinem vernünftigen Argument zu rechtfertigenden  Antisemitismus und einem berechtigten Antizionismus, der den ethnozentrischen jüdischen Nationalismus adressiert, zu differenzieren.

Wir stehen gegen antidemokratische Strömungen und faschistoide Entwicklungen.

Wenn es Ihnen tatsächlich um den notwendigen Kampf gegen Antisemitismus geht, und nicht nur darum, KritikerInnen der brutalen Unterdrückung des Palästinensischen Volkes und der permanenten Verletzung internationalen Rechts durch die Regierung Israels zum Schweigen zu bringen, so fragen wir: Wo stehen Sie, wenn Sie den Gegner so völlig verkennen?

Wir halten nochmals fest, dass wir Ihre Anschuldigungen des Antisemitismus und der Judenfeindlichkeit mit aller Vehemenz zurückweisen.

Durch Ihre diesbezüglichen Ausführungen in Ihrer Presserklärung vom 24.7. erwecken Sie den Eindruck, als sei die Friedensplattform antisemitisch eingestellt. Es handelt sich dabei zweifelsfrei um kreditschädigende Äußerungen, die den Bereich der Meinungsfreiheit bei Weitem überschreiten. Die von Ihnen getätigten Äußerungen sind schlichtweg unrichtig. Wir fordern Sie hiermit eindrücklich auf, derartige oder sonstige kreditschädigende und herabsetzende Äußerungen zu unterlassen.

Entsprechend unserem Verständnis als FriedensaktivistInnen suchen wir das Gespräch mit Ihnen. Wir ersuchen um zwei entsprechende Terminvorschläge bis Ende August.

 

Graz, am 7.8.2019

Sala’am/Shalom,

für die Steirische Friedensplattform

Franz Sölkner, Helga Suleiman

 

[1]             https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20190724_OTS0096/die-menschenrechte-als-deckmantel-erklaerung-der-gesellschaft-der-freunde-der-juedischen-gemeinde-graz

[2]             www.somm.at

[3]             www.friedensplattform.at

[4] Franz Sölkner analysiert den von GegnerInnen als antisemitisch bezeichneten Boykottaufruf von BDS hier: http://www.gazamussleben.at/de/4088

[5]             https://jewishvoiceforpeace.org/first-ever-40-jewish-groups-worldwide-oppose-equating-antisemitism-with-criticism-of-israel/#german

6             https://www.newsweek.com/israel-bds-campaign-lobby-online-public-speakers-766996 https://www.timesofisrael.com/israel-okays-72-million-anti-bds-project/

[7]              http://www.friedensplattform.at/?p=4750

[8]             https://www.humanrights.ch/de/service/laenderinfos/israel/

[9]             https://www.spiegel.de/politik/ausland/gaza-krieg-opferzahlen-der-uno-a-984868.html

[10]           Die UN-Kinderhilfsorganisation UNICEF spricht von „rund 500“, https://www.dw.com/de/unicef-500-tote-kinder-im-gaza-krieg/a-17878272-0

[11]           U.a.7 Dass die Grazer Polizei gegen diese provokante Störung unserer Kundgebung nicht einschritt und es ihr trotz vorliegenden Videomaterial „nicht und nicht gelingen wollte“, die Provokateure auszuforschen, sei hier ebenfalls erwähnt.

[12]           https://www.amnesty.de/alle-30-artikel-der-allgemeinen-erklaerung-der-menschenrechte:* Amnesty International verwendet den Originaltext der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) in der offiziellen UN-Übersetzung. Diese Übersetzung verwendet noch den Begriff der „Rasse“, den Amnesty International  ausdrücklich ablehnt. Die Vorstellung, Menschen ließen sich in bestimmte „Rassen“ (unterschiedlicher „Wertigkeit“) einteilen, war wesentlicher Bestandteil der rassistischen, menschenverachtenden Politik der deutschen Vergangenheit und widerspricht dem Geist der AEMR.

Die StFp schließt sich dieser Haltung von Amnesty  an.

[13] https://de.wikipedia.org/wiki/Hasbara

und Anette Groth in http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=25174

1 Kommentar zu “Replik auf Presseerklärung der Gesellschaft d Freunde d jüd.Gemeinde”

  1. LINKEstmk » [Graz][Friedensplattform] Erwiederung auf die Diffamierungen durch Kleine Zeitung und durch die jüdische Gemeinde Graz sagt:

    […] Replik auf Presseerklärung der Gesellschaft d Freunde d jüd.Gemeinde: http://www.friedensplattform.at/?p=5165 […]

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