Offener Brief an Harald Baloch

Als Antwort auf den Artikel von Dr. Harald Baloch, welcher am 11. Jänner 2009 in der Kleinen Zeitung erschienen ist, haben Personen aus dem Umfeld von Pax Christi und der Steirischen Friedensplattform einen offenen Brief als Antwort verfasst:

Artikel Baloch Kleine Zeitung

Offener Brief!

Grüß Dich Harry,

Deine Auslegung des Sonntagsevangeliums Markus 1, 7-11 in der Klei­nen Zeitung vom 11. Jänner 2009, Seite 53, hat bei uns Irritation, ja teil­weise Bestürzung ausgelöst. Zwar können wir Dir in der grundsätzlichen Auffassung, dass Friede in einem engen Zusammenhang mit Leben, Ge­rechtigkeit, Freiheit und sozialer Sicherheit steht und so im letzten zu­gleich auf der Wahrung von Menschenwürde fußt, vorbehaltlos zustim­men.

Ebenso geben wir Dir in formaler Hinsicht Recht in der Notwendigkeit des Bemühens, die Botschaft Jesu jeweils auch auf heute vorfindbare konkrete Problemlagen hin anzuwenden. Dies aber am Beispiel der mas­siven, in ihrer Unverhältnismäßigkeit eindeutig völkerrechtswidrigen Kriegshandlungen der Israelischen Armee im Gaza und angesichts der zahlreichen völlig unschuldigen Opfer dort, in einem deutlich überwie­genden Verständnis für diese Politik Israels zu tun, halten wir für inak­zeptabel.

Scharf kontrastierst Du eine wahnsinnige, völlig unrealistische Hamas mit einer aus „leidvoller Erfahrung“ vernünftig-realistischen Politik Israels,
für die Du offensichtlich Verständnis, wenn nicht gar Einverständnis hast.
Dies ist aber nur möglich, wenn man den Konflikt einseitig aus seinen
größeren Zusammenhängen löst.

Unser Wissen, dass unsere Großeltern-bzw.Elterngeneration im Holo­caust ein Verbrechen von nie da gewesenem Ausmaß an den Juden be­gangen haben, und unser Bestreben nach Wiedergutmachung führt of­fensichtlich auch Dich zu einer Art „Blanko-Solidarität“ mit dem Staat Is­rael und lässt die bereits 60-jährige leidvolle Geschichte des palästinen­sischen Volkes aus deinem Gesichtskreis schwinden.
Die Palästinenser haben die Staatsgründung Israels als nationale Kata­strophe („Naqba“) empfunden, denn im Zuge des 1.Nahostkrieges 1948/49 wurden ca. 800.000 Menschen gewaltsam vertrieben und mehr als 400 Dörfer mit Bulldozern eingeebnet , ohne dass das offizielle Israel dieses Faktum jemals hinreichend anerkannt oder die Vertriebenen dafür entschädigt hätte.
Ebenso unberührt scheint Deine Position durch die seit 40 Jahren an­dauernde Besatzung und Zersplitterung oder – so wie seit drei Jahren im Gaza – die völlige äußere Beherrschung der den PalästinenserInnen völ­kerrechtlich gesichert verbliebenen 22 Prozent Ihres ehemaligen Sied­lungsgebietes.

Konkret finden bei einer derartigen Betrachtungsweise in diesem Zusam­menhang folgende wesentliche Fakten keine Berücksichtigung:

a.. Die Zerstörung tausender Häuser von Mitgliedern und Sympathisan­tInnen des palästinensischen Widerstandes.

b.. Der auf palästinensischem Gebiet ( Westbank und Ostjerusalem) betriebene Siedlungsbau samt den dazugehörigen Enteignungen von Land und Wasserressourcen,

c.. Dass die sogar während des Oslo Friedensprozesses fortgesetzte
Siedlungspolitik (inzwischen leben bereits über 400 000 Israeli dort!) Arafat vor seinem eigenen Volk als Politiker desavouiert hat und erst dies der Hamas die mehrheitliche Unterstützung der Bevölkerung gesichert hat.

d.. Die von israelischen Siedlern organisierten und von den staatlichen Instanzen zugelassene Zerstörung von dutzenden Olivenhainen, der Lebensgrundlage vieler palästinensischer Bauern.

e.. Die Einschränkungen der Beweglichkeit der arabischen Bewohne­rInnen der Westbank durch hunderte Checkpoints und die dort alltäglich vor sich gehenden Demütigungen der Menschen durch die Militärverwal­tung.

f.. Der sehr hohe Prozentsatz junger palästinensischer Männer, die aus
politischen Gründen schon einmal inhaftiert waren und die aktuell nahe­zu 11.000 palästinensischen Gefangenen in Israelischen Gefängnissen.

g.. Die gezielten Ermordungen zahlreicher palästinensischer
PolitikerInnen – früher der Fatah, jetzt auch der demokratisch gewählten
Hamas.

h. Dass Israel im Bezug auf die PalästinenserInnen kein Rechtsstaat ist.

i. Der pychologisch verheerende, an den Versuch zur Schaffung eines Groß-Ghetto gemahnende Bau einer 8 m hohen Mauer, die zudem weitere hundert Quadratkilometer palästinensisches Land an Israel anschließt.
usw. usw.

All das kann man hundertfach nachlesen, auch in Schriften mutig-
weitsichtiger Israeli (Moshe Zuckermann; Amira Hass, Uri Avnery, Frau­en der Organisation Checkpoint Watch, u. a.) oder von kritischen Juden in der Diaspora (Felicia Langer, u.a.).

Wie sehr diese Umstände das politisch radikale, ja selbst das terroristi­sche Verhalten junger PalästinenserInnen verständlich macht, belegt ein verbürgtes Zitat von Israels Verteidigungsminister Ehud Barak. Vor eini­gen Jahren bei einer Diskussion an der Universität Tel Aviv gefragt, was er als junger Palästinenser angesichts der Lage seines Volkes tun wür­de, hat er gesagt, dass er „vermutlich Terrorist“ wäre. Mit anderen Wor­ten: Es ist uns in unseren friedenspolitischen Analysen des Konflikts nicht erlaubt, die Radikalität und Gewalttätigkeit palästinensischer Grup­pen vom Ausmaß der hinter Ihr stehenden Hoffnungslosigkeit und Ver­zweiflung zu trennen.

Die Politik Israels im Konflikt um Gaza reduzierst Du auf das – natürlich
mit zu beachtende – Element seiner historischen Erfahrungen. Wir fragen uns aber weshalb es Dir nicht möglich ist, diese Politik auch noch auf an­dere Hintergründe hin zu analysieren, etwa die Militarisierung von Ge­sellschaft und Politik durch die dominante Rolle der Armee, der überdi­mensionierte militärisch-industrielle Komplex, die deutlich faschistoiden Koalitionspartner (etwa die Partei „Haus Israel“ und Minister Avigdor Lie­bermann) in der Regierung, das wahltaktische Element (wie z.B. schon bei Scharons Provokation am Tempelberg 2002); usw.

Die Hamas nagelst Du aufgrund Ihrer Programmatik und Ihrer praktizier­ten Radikalität in völliger Übereinstimmung mit der Israelischen Regie­rung und ihrer Protektoren in den USA und der EU dauerhaft als für einen Friedensprozess untauglichen Partner fest. Wir erinnern Dich aber daran, dass es diese Diktion bis 1993 auch gegen die Fatah und Arafat gegeben hat.
Bruno Kreisky hat in der Überzeugung, dass man Frieden nur mit einem Feind schließen kann, gemeinsam mit anderen frühzeitig eine weitsichti­ge Nahost-Politik entwickelt, Arafat international aufgewertet, die Abkehr der PLO vom Terror eingeleitet und damit beigetragen, dass sie später zu einem für Israel nicht mehr umgehbaren Verhandlungspartner wurde.
Wir verstehen nicht, weshalb Du heute dem palästinensischen Volk und ihren legitimen Repräsentanten keine derartige Entwicklung zutraust.

Dass die Hamas Israel laut Ihrer Charta derzeit noch zerstören will, muss so nicht bleiben. Und wird so nicht bleiben, wenn Israel glaubhaft deut­lich macht, dass es – ausgestattet mit allen international möglichen Ga­rantien seiner eigenen Sicherheit – auf dem Territorium des alten Palästi­na einen zweiten wirklich lebensfähigen Staat der PalästinenserInnen akzeptiert. Eine Anerkennung Israels durch die Hamas ist dafür vorweg nicht zwingend notwendig. Sie kann auch als Produkt eines erfolgreichen Friedensprozesses gesehen werden. Dass die Hamas dieses bedeutende Faustpfand nicht leichtfertig vorweg aufgeben wird, ist nach den Erfahrungen Arafats, der am Ende seines Weges zum Frieden bei Kerzenschein im Keller seiner, von israelischen Panzern umstellten Residenz in Ramallah saß, klar.

Klar ist auch, dass es auf Seite Israels sowohl sozialpsychologisch
relevante traumatische historische Erfahrungen als auch in der zionisti­schen Ideologie verfestigte Dogmen und darüber hinaus zusätzliche massive strukturelle Zwänge gibt, die seine derzeitige Friedensfähigkeit begrenzen. Es wird daher auch an der europäischen Politik und also auch an uns liegen, Israel in einer Mischung aus der Schaffung glaubwürdiger Existenzsicherungsgarantien und politischem Druck dazu zu bewegen, in einem gewiss schwierigen und lang dauernden Prozess auf seine „Noch Feinde“ zuzugehen.

So ist es diese Hoffnungslosigkeit in der Du einen Frieden zwischen den
beiden Völkern in nahezu schicksalsgläubiger Weise für unmöglich hältst und ihn deshalb in einen messianischen Zusammenhang verweist, die uns traurig macht. In dieser trostlosen Perspektive wollen wir aber nicht bleiben. Sie verfestigt nur was ist und ist friedenspolitisch unfruchtbar.

Die in Deinem Artikel angesprochenen und hier zwischen uns abgehan­delten Fragen sind wichtig. Friedenswichtig. Heilswichtig. Da im Nahost-Konflikt nicht nur zwei Völker sondern auch zwei mächtige Kulturkreise zusammen stoßen sind sie in längerfristiger Perspektive sogar von globaler friedenspolitischer Bedeutung. Eine erfolgreiche Eindämmung des islamistisch motivierten internationalen Terrors wird es ohne einen den legitimen Interessen beider Völker gerecht werdenden Frieden nicht geben. Nach Lage der Dinge kann eine derartige Lösung auf absehbare Zeit nur in einer Zweistaatenlösung bestehen. Freiheit und Wohlstand für die PalästinerInnen gegen Sicherheit für Israel!
Gern sind wir bei Gelegenheit bereit auf dieser Ebene mit Dir weiterzure­den.

Mit freundlichen Grüßen,

Herbert Fuchs, Wolfgang Himmler, Rudi Jopp,

Herbert Ruthofer, Franz Sölkner, Helga Tiffinger,

PS: Nebenbei – nicht weil es unwichtig wäre, sondern weil es nicht das
wesentliche Anliegen unseres Briefes ist – erlauben wir uns auch, Dich auch noch auf eine andere Passage Deines Artikels in der Kleinen Zei­tung kritisch aufmerksam zu machen. Du schreibst, dass Jesus „die höchste Würde der jüdischen Heilshoffnung zukommt“. Anders als Du waren wir nie wesentlich im christlich – jüdischen Dialog engagiert. Wir maßen uns daher auch kein abschließendes Urteil an. Wir halten diese Formulierung aber für problematisch weil sie im Sinne einer unfreiwilligen Vereinnahmung unserer jüdischen Mitmenschen gelesen werden kann.

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