Kriegsverbrechen mit Ansage

Krieg in Gaza

Palästina: Israelische Regierung droht Palästinensern mit brutaler Rache. Flächenbrand bei Angriff auf Iran möglich

Von Knut Mellenthin/ Junge Welt vom 11.10.23

Hintergrund­: Warum regiert ­Hamas in Gaza?

Die Hamas beherrscht seit 2007 den Gazastreifen. In der gleichlautenden Sprachregelung der Mainstreammedien heißt es, dass die islamisch-fundamentalistische Organisation »sich an die Macht geputscht« habe. Aber etwas anders war es dann doch.

Voraussetzung der Herrschaft der Hamas über das Gebiet, das kaum halb so groß ist wie der Stadtstaat Hamburg, aber ungefähr 2,4 Millionen Menschen beherbergt, war der Abzug der israelischen Besatzungstruppen. Diese Maßnahme hatte der damalige Premierminister Ariel Scharon schon 2003 vorgeschlagen, nach heftigen politischen Auseinandersetzungen war sie im Februar 2005 von der Knesset gebilligt worden. Im September 2005 war die Auflösung der 21 kleinen Siedlungen und der Rückzug der israelischen Streitkräfte abgeschlossen.

Am 25. Januar 2006 fanden Parlamentswahlen statt. Die Hamas lag mit 44 Prozent vor der Fatah, die 41 Prozent der Stimmen erhalten hatte. Israel und die westlichen Staaten hatten vergeblich versucht, die Beteiligung der Hamas-Liste zu verhindern. Noch vor der Wahl hatte Israel Hunderte von Hamas-Mitgliedern festgenommen, vor allem solche, die im Wahlkampf engagiert waren. Nach der Wahl verweigerte die Fatah die Bildung einer gemeinsamen Regierung, so dass schließlich Hamas-Führer Ismail Hanija am 29. März 2006 als Chef einer Alleinregierung vereidigt wurde. Israel griff daraufhin den Gazastreifen an und ließ alle auf der Westbank lebenden Abgeordneten und Minister der Hamas einsperren. Der damalige Kommandeur des militärischen Geheimdienstes, Amos Jadlin, sagte über die Geschehnisse im Jahr 2007, dass Israel glücklich wäre, wenn die Hamas das Gebiet übernehmen würde, »weil wir dann mit Gaza umgehen können wie mit einem feindlichen Staat«.

Das war der reale Hintergrund, vor dem die Hamas im Juni 2007 nach viertägigen Auseinandersetzungen die Fatah im Gazagebiet entmachtete. (km)

Verkleinern

Nach den Verbrechen von Hamas-Kämpfern aus dem Gazastreifen gegen jüdische Zivilpersonen im Grenzgebiet scheinen der Region die nächsten, noch größeren Massaker bevorzustehen. Die Tonart, in der israelische Politiker darüber sprechen, weist auf den makabren Wunsch hin, mit Schreckenstaten »in die Geschichte einzugehen«.Premierminister Benjamin Netanjahu hat am Montag in einer Fernsehansprache verkündet, dass das, was Israel jetzt »seinen Feinden« antun werde, »für Generationen nachklingen« werde. Die übrige Welt habe nun die Aufgabe, die israelischen »Operationen« zu unterstützen und Israels »Aktionsfreiheit zu erhalten«. Schon am Sonnabend hatte Netanjahu, ebenfalls in einer Fernsehansprache, die Bevölkerung des Gazastreifens aufgefordert, ihre Heimat zu verlassen. »Haut ab da, jetzt, denn wir werden überall und mit aller Kraft vorgehen. (…) Wir werden Rache nehmen mit Macht für diesen schwarzen Tag (…). Alle Orte, wo Hamas organisiert ist in dieser Stadt des Bösen, alle Orte, wo Hamas sich versteckt und von wo aus sie operiert – wir werden sie in Ruinenstädte verwandeln.«

Verteidigungsminister Joaw Gallant hat den gleichen Racheschwur, ebenfalls am Sonnabend, bei einem Besuch in der von Hamas besonders schlimm angegriffenen Kleinstadt Ofakim so formuliert: An »Israels Antwort im Gazastreifen« werde man »sich die nächsten 50 Jahre erinnern«. Und weiter: »Die Regeln des Krieges haben sich verändert. Der Preis, den der Gazastreifen zahlen muss, wird sehr hoch sein und die Realität für Generationen verändern.«

Schon im August hatte Gallant bei einer Rundfahrt an der Nordfront der libanesischen Hisbollah gedroht: »Falls es einen Konflikt gibt, werden wir den Libanon in die Steinzeit zurückschicken.(…) Wir werden nicht zögern, unsere militärische Macht einzusetzen, um die Hisbollah und den Libanon Meter um Meter zu beseitigen, wenn es nötig ist.«

Zivilisten nicht verschont

Wie geht es weiter mit der israelischen Kriegführung? Zunächst sollen die Luftangriffe auf das Gazagebiet fortgesetzt und noch weiter verstärkt werden. Der Sprecher der Streitkräfte, Konteradmiral Daniel Hagari, informierte am Sonntag während einer Pressekonferenz, dass die Angriffsrate der Luftwaffe gegenwärtig fünfmal so hoch sei wie während des zweiten Libanon-Krieges 2006.

Die Tageszeitung Times of Israel berichtete am Montag unter Berufung auf Informationen einer nicht namentlich genannte »Quelle«, dass die übliche Politik des »Dachklopfens« nicht das bei den derzeitigen Luftangriffen angewendete System sei. Beim »Dachklopfen« werden die Bewohner eines Hauses durch E-Mails, Telefonanrufe oder Schüsse aufs Dach auf einen bevorstehenden Angriff hingewiesen, um flüchten zu können. »Dachklopfen« komme zwar unter bestimmten Umständen, die »die Quelle« nicht erläuterte, immer noch vor. Aber Israel sei schon dabei, Bevölkerungsmassen aus »zentralen Terroristengebieten« zu »evakuieren«. Gemeint war damit vermutlich die Auslösung von Fluchtbewegungen als Folge der Angriffe. Die Darstellung der Times of Israel lässt darauf schließen, dass es sich bei der »Quelle« um einen offiziellen Vertreter der Streitkräfte oder der Luftwaffe handelt, dessen Name lediglich aus formalen Gründen nicht genannt werden sollte.

In seiner Fernsehansprache am Montag teilte Netanjahu ohne Zeitangabe mit, dass er die Einleitung einer »massiven, beispiellosen Offensivoperation« angeordnet habe, die – gemeint war offensichtlich die Mobilisierung – schon im Gange sei. Berichten der israelischen Medien zufolge sind 300.000 Reservisten einberufen worden.

Regionale Eskalation droht

Auch eine Ausweitung des Krieges durch »gezielte Tötungen« im Iran ist vielleicht beabsichtigt oder zumindest in der Diskussionsphase. Der Chef des Auslandsgeheimdienstes Mossad, David Barnea, hat der iranischen Führung schon am 10. September damit gedroht, sie würde »einen direkten Preis bezahlen« müssen, wenn Juden oder Israelis durch den »staatlich organisierten weltweiten iranischen Terror« zu Schäden kämen. Die Zeit sei gekommen, »vom Iran auf andere Weise einen Preis zu fordern«. »Dieser Preis wird mit großer Präzision in den Tiefen Irans, im Herzen von Teheran eingetrieben werden.« Andererseits hat Netanjahu in seiner Fernsehansprache am Montag bekundet, die Kriegführung auf den Gazastreifen zu konzentrieren und die anderen potentiellen Fronten ruhigzuhalten. Ob er das ernst meint oder der US-Regierung gefällig sein will, die an einer Eskalation nicht interessiert sein kann, lässt sich nicht sicher beurteilen.

Eine frühere Zentralfigur der US-amerikanischen »Neokonservativen«, David Wurmser, hat sich am Montag über die rechtsgerichtete Tageszeitung Jerusalem Post mit einem öffentlichen Rat gemeldet: Der Überraschungserfolg der Hamas am Wochenende habe die Position Israels im Nahen Osten in einen prekären Zustand versetzt. Es drohe die Gefahr, dass sich Staaten der arabischen Welt und Afrikas, die gern ihre Verbindungen zu Israel ausbauen würden, jetzt abwenden, wenn es schwach erscheint. Nur durch einen »strategischen Sieg von entscheidender geopolitischer Bedeutung« könne Israel sein Ansehen zurückgewinnen. Das erfordere die Wiedererrichtung der Besatzungsherrschaft in Gaza und die militärische Entfernung der Hisbollah aus dem Südlibanon.

 

Kommentieren

Du musst angemeldet sein, um kommentieren zu können.