Eindrücke vom Europäischen Sozialforum (ESF) in Istanbul

Demo des ESF in Istanbul Sa. 3. Juli

Zum Abschluss des 6. europäischen Sozialforums in Istanbul demonstrierten 6 bis 7000 GlobalisierungskritikerInnen – vor allem Jugendliche – von Osmanbey zum zentralen Platz der Stadt, dem Taksim-Platz. Es war eine entschlossene, entspannte, dynamische, farbenprächtige, lautstark verlaufende Demonstration, in der vor allem die Kurden und die Arbeiter der Automobilbranche TUMITIS den größten Bock bildeten. Sie wurden auch von der Polizei eng überwacht. Aber auch die griechischen AktivistInnen, jene von Euromarsch, Attac, die belgischen Gewerkschafter waren zahlreich vertreten. Dass nicht zehntausende – vor allem aus verschiedenen sozialen Bewegungen des Landes – wie bei den letzten europäischen Sozialforen mobilisiert werden konnten, hängt letztlich auch damit zusammen, dass das Vorbereitungskomitee im Vorfeld alle Hände voll zu tun hatte, um dieses Sozialforum so inhaltlich gut wie es dann tatsächlich verlief über die Bühne zu bringen.

Bilderstrecke vom Europäischen Sozialforum (ESF) in Istanbul

Ein Bravo an alle OrganisatorInnen, dass dieses 6. Europäische Sozialforum trotz aller finanziellen, organisatorischen und logistischen Probleme wie Übersetzungsschwierigkeiten usf. in einer 13 Millionenstadt – das erste Mal außerhalb eines EU-Landes – für die 5.000 TeilnehmerInnen aus 39 Ländern so zufriedenstellend durchgeführt werden konnte. (siehe Programm….) Drei Tage hindurch Veranstaltungen, 90 pro Tag, 3 mal dreistündige Module, an denen jeweils ca. 80 bis 250 AktivistInnen teilnahmen.

EINE VORSICHTIGE BILANZ?

Nein Bilanzen wird es viele geben; jene vor Ort, in den einzelnen Ländern, in den verschiedenen Organisationen und eine gemeinsame im Oktober oder November in Paris, wie angekündigt im kurzen, prägnant-entschlossenen Abschluss-Aufruf der Sozialen Bewegungen. (siehe …) Eine Hauptthematik der zahlreichen intensiven Diskussionen “Wie gemeinsam mobilisieren gegen ihre Krise, die wir nicht bezahlen werden?” oder “Wie konkret die Verbindung zwischen Arbeiterschaft und Ökologie  die öko-soziale Frage) herstellen angesichts der Widersprüche der kapitalistischen Krisenbereinigung hinsichtlich Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätze… wie die weltweite Ökofrage und die Arbeiterschaft so verbinden, dass das DIVIDE ET IMPERA der Herrschenden nicht so einfach greifen kann”?

KRITIK am FORUMSPROZESS

Neben den zahlreichen Diskussionen über die kapitalistische Krise und einen Ausweg, der nicht auf Kosten der Bevölkerungen geht, gab es auch mehrere Veranstaltungen zur kritischen Betrachtung des Verlaufs der erst seit 8 Jahren existierenden europäischen Sozalforen (2002 Florenz), denn die Teilnehmerzahlen sind jedes Mal rückläufig. (Malmö 2008: 6.000, Istanbul 2010: 5.000 ). Einer der Hauptgründe liegt in der von vielen nicht direkt erkennbaren Wirkung der Sozialforen als Vernetzungsstruktur, als Klärungsprozess von Inhalten zwischen den verschiedenen Gruppen, die sich sonst nie an einen Tisch setzen würden. In der Koordination von Aktionen und gemeinsamen Entwicklung von Alternativen zum krisengeschüttelten, ökologisch in der Sackgasse befindlichen Kapitalismus.

An der Organisation von Protestveranstaltungen zu den G8 bzw. G20 Gipfeln, Klimagipfel, WTO Treffen waren vor allem Leute aus der Sozialforumsbewegung beteiligt. Die Charta von Porto Alegre (siehe …), die auch den kontinentalen Foren zu Grunde liegt, läuft nicht auf Entscheidungen von Aktionen hinaus. Es sollte der Vereinnahmung der autonomen Sozialforenbewegung durch Großparteien ein Riegel vorgeschoben werden. Dies ist gelungen. Es hatte aber auch zur Folge, dass die Treffen der Sozialen Bewegungen im Anschluss an das offizielle Forum den Aufgaben einer kontinuierlichen internationalen Aktionsstruktur nicht mehr gewachsen waren. Chico Whitaker – einer der Verfasser der Charta – wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Sozialforumsbewegung sich international (ausgenommen in Europa) ausweitet. Im Jahre 2010 finden allein 42 Sozialforen rund um die Welt statt. Das 2. US-Sozialforum in Detroit war mit 15.000 Besuchern und auch das 1. Mesopotamische Sozialforum mit 10.000 Leuten eher gut besucht. Der vor zehn Jahren begonnene Slogan “Eine andere Welt ist möglich”, wird auf Grund der Systemkrise zu “Eine andere Welt ist dringend nötig”.

Johann Schögler

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