"Gaza ist ein großer Knast"

BRD sollte Druck auf Israel ausüben, um Friedensprozeß im Nahen Osten zu fördern. Ein Gespräch mit Roni Hammermann
Interview: Karin Leukefeld

* Roni Hammermann ist Israelin und gehört zu den Gründerinnen der Menschenrechtsgruppe Machsom Watch, die an israelischen Militärkontrollpunkten (Checkpoints oder auf hebräisch Machsom) Palästinensern beisteht. Zur Zeit ist sie auf Einladung von Pax Christi in Deutschland

Sie sind zur Zeit auf einer Vortragsreise in Deutschland, um über die Folgen der israelischen Besatzung zu sprechen.
Deutschland hat eine besondere Beziehung zu Israel und zur jüdischen Geschichte. Die Frage des Antisemitismus muß allerdings neu gestellt werden. Mein historisches Gedächtnis gibt mir den Auftrag, mich an gewisse moralische Axiome zu halten. Wir dürfen nicht zusehen, wie andere Menschen oder Völker unterdrückt werden. Wir können nicht den Antisemitismus bekämpfen und gleichzeitig ein anderes Volk unterdrücken. Darum ist es mir wichtig, in Deutschland zu sprechen. Weil auch hier so viele Menschen eingeschüchtert und beschuldigt werden, Antisemiten zu sein, wenn sie Kritik an der israelischen Regierungspolitik üben. Das sind zwei ganz verschiedene Dinge. Kritik an der israelischen Regierungspolitik hat nichts, aber auch gar nichts mit Antisemitismus zu tun, so ein Vorwurf muß zurückgewiesen werden.
Welche Erwartungen haben Sie an Deutschland in bezug auf einen Friedensprozeß zwischen Israel und Palästina?
Deutschland könnte einen großen Einfluß haben, wenn es in den Friedensprozeß eingreifen würde. Es sollte Druck auf Israel ausüben, von seiner unilateralen Politik Abstand zu nehmen. Deutschland könnte darauf hinwirken, daß ein echter Dialog in unserer Region stattfindet. Es ist gleichgültig, wer unsere Gesprächspartner sind, ob es die Fatah ist oder Hamas, wir können es uns nicht aussuchen. Wenn Hamas gewählt wurde als eine Partei, die die Interessen der Palästinenser vertritt, dann müssen wir eben mit Hamas sprechen. Das würde ich mir von Deutschland als EU-Land und überhaupt wegen seiner Vergangenheit wünschen.
Die Bundesregierung spricht aber – offiziell – nicht mit der Hamas.
Das ist es ja. Die Hamas-Regierung stand unter internationalem Boykott, der natürlich dazu beigetragen hat, daß sich die Situation so zugespitzt hat in Gaza. Gaza ist ohnehin in einer wirtschaftlich prekären Situation, die durch den Boykott verschärft wurde. So geht es nicht. Die Fatah wurde von den Palästinensern abgewählt – wahrscheinlich aus guten Gründen.
Beunruhigt Sie die aktuelle Situation in Gaza?
Ja natürlich. Gaza ist ein großer Knast, in dem die Gefangenen langsam verhungern, mich beunruhigt das sehr. Fatah wird von Israel ermutigt, gegen Hamas vorzugehen, mehr als sie ohnehin von sich aus tun würde. Die Folgen können fatal für uns alle sein. Es kann wieder zu Selbstmordattentaten kommen und die ganze Region in einen totalen Krieg stürzen.
Machsom Watch hat nicht nur Übergriffe an Checkpoints dokumentiert, sondern auch, wie die Kontrollpunkte weiter ausgebaut und technisch verfeinert wurden.
Die Beschränkung der Bewegungsfreiheit ist ein Grundübel in Palästina und beschäftigt die Menschen unglaublich stark. Wenn sich zwei Palästinenser treffen, ist die erste Frage: Na, wie war es heute am Checkpoint? Die erste Frage! Es beschäftigt die Menschen in einer fast manischen Weise, und das ist auch verständlich. Es gibt keine Situation, in der sich ein Mensch außer Haus begibt, wo er nicht an einen Checkpoint kommt. Wir zeigen, was für fatale Folgen die Besatzung für die tägliche palästinensische Existenz hat.
Vielleicht braucht die israelische Knesset Frauen von Machsom Watch. Sollten Sie nicht ins Parlament?
Wir haben gesehen, was für Folgen es hat, wenn eine Friedensbewegung in die Politik geht. In dem Augenblick, wo „Frieden Jetzt“ eindeutig die Arbeiterpartei unter Barak unterstützt hat, war es aus mit ihnen. Heute sind sie nicht mehr existent. Das einzige, was von „Frieden Jetzt“ geblieben ist, ist ihre Settlement Gruppe, die phantastische Arbeit macht und die Siedlungen tagtäglich auf ihr Wachstum und ihre Entwicklung untersucht.
Sie sagen, es muß mehr Druck auf Israel von der EU geben. Was halten Sie von einem Boykott?
Ein Wirtschaftsboykott könnte ganz erfolgreich sein.
Nach dem Motto „Kauft nicht bei Juden“? Das weckt in Deutschland bestimmte Assoziationen.
Man sollte nicht bei den Orangen oder Lebensmitteln beginnen, sondern man sollte keine Waffen mehr von Israel kaufen. Israel hat viel anzubieten auf diesem Gebiet, und die Welt kauft hier sehr gerne ein. Oder umgekehrt: Deutschland verkauft Nachtsichtgeräte an die Israelis. Boykott der israelischen Kriegsindustrie wäre eine richtige Forderung. Da kommt die Assoziation mit „Kauft nicht bei Juden“ gar nicht auf.

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