EU importiert weiter aus illegalen israelischen Siedlungen

Die EU betrachtet israelische Siedlungen im Westjordanland als illegal, als Handelspartner sind sie für EU-Staaten aber gut genug. Pro Jahr importiert Europa von dort Waren im Wert von 230 Millionen Euro. Menschenrechtler werfen der Union vor, ihre eigenen Ziele zu torpedieren.

Handel mit der EU

Aktivisten wollen Importstopp aus Israels Siedlungen

Von Christoph Sydow

Siedlung Givat Zeev im Westjordanland: Massive Subventionen vom israelischen StaatZur Großansicht

REUTERS

Siedlung Givat Zeev im Westjordanland: Massive Subventionen vom israelischen Staat

Berlin – Eigentlich ist die Position der Europäischen Union eindeutig: Israelische Siedlungen in den besetzten palästinensischen Gebieten sind „nach internationalem Recht illegal, stellen ein Hindernis für den Frieden dar und drohen eine Zweistaatenlösung unmöglich zu machen“. Ein nun erschienener Bericht von 22 europäischen Nichtregierungsorganisationen enthüllt jedoch, dass die EU gleichzeitig hilft, die Siedlungen im Westjordanland und in Ostjerusalem zu erhalten.

Inzwischen importieren die europäischen Staaten etwa 15-mal mehr Güter aus den Siedlungen als aus den palästinensischen Gebieten. Nach Schätzungen der israelischen Regierung werden aus den Siedlungen pro Jahr Waren im Wert von umgerechnet etwa 230 Millionen Euro in die EU ausgeführt. Das sind etwa zwei Prozent aller israelischen Exporte nach Europa. Demgegenüber lagen die Ausfuhren aus den palästinensischen Gebieten nach Europa zwischen 2007 und 2011 pro Jahr im Schnitt bei 15 Millionen Euro. Zu den Produkten, die aus den Siedlungen in die EU geliefert werden, gehören neben Obst und Gemüse auch Kosmetika, Textilien, Spielzeug und Wassersprudler.

Die EU hat sowohl mit Israel als auch der Palästinensischen Autonomiebehörde Zollfreiheitsabkommen unterzeichnet. Produkte aus den Siedlungen sind davon jedoch ausdrücklich ausgenommen, wie der Europäische Gerichtshof 2010 in einem Grundsatzurteil feststellte. Sie müssen also verzollt werden. Eigentlich. Denn Israel umgeht diese Regelung, indem es auch Güter aus den Siedlungen mit dem Hinweis kennzeichnet: „Herkunftsland Israel“. Damit obliegt es weiterhin europäischen Zollbehörden, anhand der Postleitzahlen auf den Lieferungen zu erkennen, ob die Waren aus Israel oder aus Siedlungen in den besetzten Gebieten stammen. In der Praxis ist dieses Prozedere nur selten umsetzbar.

Israel subventioniert die Siedlungen massiv

Die EU lässt auch weiterhin zu, dass Produkte aus den Siedlungen in europäischen Geschäften mit dem Label „Made in Israel“ verkauft werden dürfen. Lediglich Großbritannien und Dänemark haben bislang Richtlinien erlassen, laut denen die Herkunft aus den Siedlungen zumindest bei Nahrungsmitteln offengelegt werden muss. Die Autoren des Berichts fordern, dass die anderen EU-Staaten nachziehen.

Die Produkte aus den Siedlungen, in denen inzwischen etwa eine halbe Million Menschen leben, sind auch deshalb international konkurrenzfähig, weil der israelische Staat sie massiv subventioniert. Unternehmen, die sich dort niederlassen, werden bezuschusst und steuerlich begünstigt. Die Regierung hat auch einen Fonds für Unternehmen bereitgestellt, die für ihre Exporte Strafzölle leisten müssen. Paradoxerweise finanziert selbst die EU innerhalb ihres Forschungsrahmenprogramms mit 1,2 Millionen Euro Untersuchungen der Kosmetikfirma Ahava, die in einer israelischen Siedlung vorgenommen werden.

Außerdem graben die Siedler den Palästinensern das Wasser ab. Besonders eklatant ist dieses Problem im Jordantal. Dort verbrauchen nach Angaben der Menschenrechtsorganisation B’Tselem 10.000 Siedler ein Viertel der Wassermenge, die den dort lebenden 2,5 Millionen Palästinensern zur Verfügung steht. Die Siedlungen im Jordantal brauchen das Wasser, um Obst und Gemüse anzubauen. Ein Großteil davon geht in den Export.

Die EU unterstützt ihrerseits die Palästinenser massiv. Zwischen 1994 und 2011 flossen nach Angaben der Europäischen Kommission fünf Milliarden Euro Entwicklungshilfe aus EU-Töpfen in die besetzten Gebiete – allein 525 Millionen Euro im vergangenen Jahr. Hinzu kommen noch Hilfszahlungen der einzelnen EU-Regierungen.

Palästinenser leiden unter eingeschränkter Bewegungsfreiheit

Doch auch diese gewaltige Unterstützung hat die Lage der palästinensischen Wirtschaft nicht verbessern können. Denn neben einer korrupten Autonomiebehörde und einer ineffizienten Verwaltung erschweren Restriktionen der israelischen Besatzer den Handel. Laut einem Uno-Bericht vom September hat die palästinensische Wirtschaft durch die Besatzung und den Siedlungsbau „den Zugang zu 40 Prozent der West Bank, 82 Prozent des Grundwassers und mehr als zwei Drittel des Weidelandes verloren“. Hinzu kommt, dass palästinensische Bauern bestimmte Düngemittel nicht importieren dürfen, weil sie zur Herstellung von Sprengstoff verwendet werden könnten.

Größtes Problem sind jedoch die zahlreichen Hindernisse beim Vertrieb palästinensischer Waren. Bevor die Güter nach Israel oder in die Exportländer gelangen können, müssen sie oft mehrere Checkpoints passieren, dort werden sie begutachtet, entladen, manchmal auf unbestimmte Zeit festgehalten. Potentielle Kunden können sich so kaum auf festgelegte Lieferzeiten verlassen.Durch den Import von Waren aus den israelischen Siedlungen trage die EU ihren Teil dazu bei, diesen Status quo zu erhalten, so der Bericht. Damit torpedierten die Europäer ihre eigene Außen- und Entwicklungspolitik. Letzte Konsequenz müsse deshalb ein Importverbot von Siedlungsgütern sein, fordern die Autoren. In jedem Fall müsse der Druck auf Unternehmen erhöht werden, die derzeit noch mit Siedlungen handeln und damit die Rechte der Palästinenser missachten.

Die Vergangenheit hat bewiesen, dass öffentlicher Druck durchaus Wirkung zeigen kann. Im vorigen Jahr zog sich die Deutsche Bahn aus dem Neubauprojekt der Schnellzugverbindung Tel Aviv-Jerusalem zurück. Zuvor hatte Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) in einem Brief an Bahn-Chef Rüdiger Grube auf die politische Brisanz des Projekts hingewiesen. Der Grund: Die geplante Streckenführung sei „aus völkerrechtlicher Sicht“ problematisch, weil die Gleise sechs Kilometer weit durch das Westjordanland führen sollten.

http://www.spiegel.de/politik/ausland/aktivisten-fordern-importstopp-aus-israelischen-siedlungen-in-die-eu-a-864057.html

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