Dutzende Tote in Ägypten

Heftige Straßenkämpfe nach Protesten von Anhängern des gestürzten Präsidenten Mursi. Regierungsbildung vorerst gescheitert. Anschlag auf Gaspipeline.

Von Sofian Philip Naceur, Kairo

Schwere Geschütze: Soldaten vor dem Sitz des Staatsfernsehe

Schwere Geschütze: Soldaten vor dem Sitz des Staatsfernsehens am Samstag in Kairo

Die Bildung einer neuen Regierung in Ägypten ist am Sonntag erst einmal gescheitert. Übergangspräsident Adli Mansur zog überraschend die Nominierung des früheren Chefs der Internationalen Atomenergiebehörde, Mohammed El-Baradei, zurück. Der Friedensnobelpreisträger und führende Kopf des liberalen Lagers der Opposition war am Widerstand der salafistischen Partei »Das Licht« gescheitert, die der Regierung des gestürzten früheren Präsidenten Mohammed Mursi noch als Mehrheitsbeschaffer diente, sich angesichts der Massenproteste in der vergangenen Woche jedoch neutral verhielt und nun auf mehr politischen Einfluß hofft.

Das Militär als mächtigste politische Instanz im Land versucht derzeit, eine neue Regierung zu bilden und verhandelt dabei offensichtlich auch mit den von Saudi-Arabien finanzierten Salafisten. Eine der ersten Aufgaben der neuen Regierung soll die Überarbeitung der erst im Herbst von Mursis Partei für Freiheit und Gerechtigkeit (FJP) durchgepeitschten Verfassung sein, die die Armee nach dessen Absetzung in der vergangenen Woche außer Kraft gesetzt hatte. Die Wiedereinsetzung einer Verfassung ist eine Kernforderung der USA, die Ägyptens Militär mit einer Milliarde US-Dollar jährlich maßgeblich finanziert. Um die Zahlungen nicht einstellen zu müssen, vermeidet es die US-amerikanische Regierung weiterhin, die Absetzung des demokratisch gewählten Mursi durch die Armee als Putsch zu bezeichnen.

Während die Mursi-Gegner auf Ägyptens Straßen weiterhin feiern, mobilisieren seit Freitag verstärkt die Anhänger des gestürzten Staatschefs zu Gegenprotesten. Am Freitag und Samstag kam es dabei im ganzen Land zu teils heftigen Zusammenstößen, bei denen es mindestens 37 Tote gab. Allein in Kairo starben 15 Menschen. Nach schweren Kämpfen zwischen Sicherheitskräften und Anhängern Mursis an der dortigen Universität riegelte die Armee das betroffene Stadtviertel ab. Trotz der Präsenz Zehntausender Gegner des gestürzten Präsidenten am Tahrir-Platz im Stadtzentrum zogen Tausende Mursi-Anhänger über eine Nilbrücke zum nahegelegenen Hauptsitz des staatlichen Rundfunks. Beide Lager lieferten sich stundenlange Straßenschlachten, bis die Armee intervenierte und die Parteien voneinander trennte. Die Armee gebärdet sich einmal mehr als Retter in der Not, doch hatte sie selbst Öl ins Feuer gegossen und die Eskalation der Gewalt provoziert. Nach Mursis Absetzung schlossen die Generäle einen TV-Kanal der zuvor regierenden Muslimbrüder, ließen das Personal abführen und verhafteten Führungskader von Bruderschaft und FJP, darunter deren Vorsitzenden Saad Katatni. Nachdem die Armee in Ost-Kairo bei den Protesten der Anhänger des geschaßten Präsidenten scharfe Munition einsetzte, gingen diese erst recht auf die Barrikaden. Am Sonntag setzen sich die Proteste beider Lager fort.

In Luxor im Süden Ägyptens entlud sich der Zorn der Islamisten derweil an der christlichen Minderheit. Mindestens 23 Häuser von koptischen Christen wurden niedergebrannt. Auch auf der Sinai-Halbinsel eskalierte die Gewalt. Am Sonntag wurde die Pipe­line, die ägyptisches Erdgas nach Jordanien transportiert, von Unbekannten in die Luft gesprengt. Nach amtlichen Angaben starb zudem mindestens ein Soldat bei einem Anschlag auf einen Checkpoint im Nord-Sinai. Der Sinai gilt als instabil und Hochburg militanter Islamisten.

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