Zurück zur Mubarak-Ära

junge Welt 19.08.2013

Nach neuerlichen Gewaltexzessen hat sich die Lage in Ägypten beruhigt. Übergangsregierung diskutiert Verbot der Muslimbruderschaft

Von Sofian Philip Naceur, Kairo

In einem Raum der Kairoer Al-Fattah-Moschee stehen schwer bewaff

In einem Raum der Kairoer Al-Fattah-Moschee stehen schwer bewaffnete Polizisten nach der Stürmung Wache

Die Lage in Ägypten hat sich am gestrigen Sonntag vorerst leicht entspannt. Die Muslimbrüder, die weiter die Wiedereinsetzung des aus ihren Reihen stammenden Expräsidenten Mohammed Mursi fordern, haben eine für gestern geplante Kundgebung »aus Sicherheitsgründen« kurzfristig abgesagt. Mursi war Anfang Juli vom Militär gestürzt worden.

Noch am Freitag hatten sich Tausende Islamisten in der Hauptstadt heftige Kämpfe mit den Sicherheitskräften geliefert. Die Armee riegelte die Innenstadt hermetisch ab und ließ Panzer auffahren. Die Zentralen Sicherheitskräfte (CSF), eine paramilitärische Polizeieinheit, gingen mit Tränengas und scharfer Munition gegen die Protestierenden vor. Die Al-Fattah-Moschee wurde geräumt. In die Moschee, in der ein Feldlazarett errichtet worden war, hatten sich Bewaffnete geflüchtet und vom Minarett aus auf die anrückenden CSF-Kräfte geschossen. Nach offiziellen Angaben starben allein am Freitag landesweit 173 Menschen, 95 davon in Kairo. Die Bruderschaft sprach von insgesamt 213 Toten. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) verurteilte die Gewalt der Sicherheitskräfte und fordert eine unabhängige Untersuchung. Für heute rief AI zu einer Demonstration vor der ägyptischen Botschaft in Berlin auf.

Derweil diskutiert die Übergangsregierung unter Premierminister Hasem Beblawi inzwischen offen über ein neuerliches Verbot der Muslimbruderschaft. Sie wird von der Regierung, der Armee und dem Großteil der liberalen und sozialistischen Opposition, die sich fast geschlossen auf die Seite der Generäle gestellt hat, für die Eskalation der Gewalt verantwortlich gemacht. Mit einem Verbot der Bruderschaft wäre der Status quo der Zeit vor der Revolution 2011 fast vollständig wiederhergestellt. Armee und Regierung haben erfolgreich den gewaltbereiten Teil der Muslimbrüder auf die Straße getrieben und nutzen deren Attacken gegen Kirchen und staatliche Einrichtungen nun als Vorwand, um die Organisation zu dämonisieren und den alten Herrschaftsapparat zu reaktivieren.

Ein Blick auf die Übergangsregierung genügt. Im Kabinett Beblawi sitzen zahlreiche Exkader der inzwischen aufgelösten Nationaldemokratischen Partei (NDP) Hosni Mubaraks. Dazu kommen die Reaktivierung der gefürchteten Geheimpolizei, die Einschränkung unabhängiger Berichterstattung und die Verhängung des Ausnahmezustandes. Doch das alte Geflecht aus NDP, Militärs und wirtschaftlicher Elite muß sich derzeit gar nicht verstecken. Ihr geschicktes Taktieren hat es den Kadern des alten Regimes erlaubt, die Opposition gegeneinander auszuspielen, sie zu korrumpieren und zu instrumentalisieren.

Die Führungskader der Bruderschaft sind zwar ebenso für die Radikalisierung ihrer Basis verantwortlich, doch die derzeitige gewaltsame Unterdrückung gegen die Organisation ist vorerst die letzte Stufe der Konterrevolution. Die Muslimbrüder haben sich seit dem Sturz Mubaraks 2011 verkalkuliert. Mit ihrem politischen Machtanspruch standen sie sich selbst im Wege und haben der Rückkehr des Polizeistaates den Weg geebnet. Die Armee hat es trotz ihrer wichtigen Funktion im Machtapparat Mubaraks vermocht, nach dessen Sturz Distanz zum Führungszirkel der NDP zu wahren. Die Machtübernahme des Obersten Militärrates (SCAF) im Frühjahr 2011 ließ damit einen Teil des alten Regimes an der Macht und erleichtert es diesem nun, unter Führung von Verteidigungsminister Abdel Fattah Al-Sisi die alten Machtverhältnisse wiederherzustellen.

Kommentieren

Du musst angemeldet sein, um kommentieren zu können.