Veto des Südens
Venezuelas Präsident Nicolás Maduro hat eine Reise nach New York kurzfristig aus »Sicherheitsgründen« abgesagt. In einer über alle Rundfunk- und Fernsehsender des südamerikanischen Landes ausgestrahlten Ansprache erklärte er, es seien zwei geplante »Provokationen« bekanntgeworden, »eine schlimmer als die andere«, die auch sein Leben hätten in Gefahr bringen können. Er habe sich deshalb entschieden, von seinem Staatsbesuch in China nach Caracas zurückzukehren. An seiner Stelle wird Außenminister Elías Jaua in New York auftreten.
Zum Auftakt der alljährlich stattfindenden Generalversammlung hatte Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff am Dienstag vor den Delegierten aus 193 Mitgliedsstaaten in scharfer Form die Spionagepraxis der US-Geheimdienste gegeißelt. Die Gemeinschaft der Völker dürfe eine derartige »Verletzung des Völkerrechts und die Mißachtung der Souveränität unabhängiger Staaten« nicht hinnehmen, sagte Rousseff und forderte von den USA eine Entschuldigung sowie eine Vereinbarung zum Verbot derartiger Spionageaktionen.
Cristina Fernández, die Präsidentin Argentiniens, kritisierte die Doppelzüngigkeit von Regierungen, die in der UN-Debatte vom Frieden redeten und in der Realität Kriege führten. Sie bezog sich damit sowohl auf die Rede des US-Präsidenten Barack Obama als auch auf die Haltung der britischen Regierung, der sie eine militärische Aufrüstung im Südatlantik durch die Entsendung von Atom-U-Booten zur Verteidigung ihrer Herrschaft über die von Argentinien beanspruchten Islas Malvinas vorwarf. Entsetzt über den Auftritt Obamas äußerte sich am Rande der Versammlung auch der ecuadorianische Außenminister Ricardo Patiño. »Von einem Träger des Friedensnobelpreises haben wir nichts außer einem halbstündigen Bericht über internationale Polizeieinsätze gehört«, sagte der Politiker.
Einmütig verurteilten die Vertreter Lateinamerikas und der Karibik neben der Spionagetätigkeit der US-Dienste auch die von den USA wiederholt veranlaßten Überflugverbote für die Präsidentenmaschinen Boliviens und Venezuelas sowie die Verweigerung von Visa für Teilnehmer der UN-Sitzung durch die nordamerikanischen Behörden. Sein Land sitze nicht in den Vereinten Nationen, »um dort Kaffee zu servieren«, sagte Uruguays Präsident José Mujica. Mehrere Staatschefs forderten »angesichts der wiederholten Mißachtung internationaler Rechtsnormen durch die USA«, den Sitz der Weltorganisation in ein Land zu verlegen, das die Souveränität aller Mitgliedsstaaten respektiere.
Breite Unterstützung auch bei Delegierten anderer Kontinente fand zudem die Forderung nach einer grundlegenden Reform der UNO und ihres Sicherheitsrates. Das Gremium, in dem fünf Staaten permanente Mitglieder mit Vetorecht und zehn Staaten zeitweise Mitglieder sind, entspreche »einer Logik aus der Zeit des Kalten Krieges« und sei heute weder zeitgemäß noch effizient, sagte Fernández. Rousseff bescheinigte dem Sicherheitsrat Legitimationsdefizite, und sogar der rechtskonservative chilenische Präsident Sebastian Piñera, sonst ein treuer Gefolgsmann der USA, sprach sich für eine Demokratisierung der Vereinten Nationen und ihrer Gremien aus. Statt der Rechtfertigung militärischer Aktionen müsse die Hauptaufgabe der UNO die Garantie von Frieden, sozialer Gerechtigkeit und Souveränität ihrer Mitgliedsländer sein, forderte Evo Morales.
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