Nach der Hybris Rückbesinnung auf das Völkerrecht

junge Welt,25.03.2014
Von Alexander S. Neu
Jugoslawien-Krieg, Irak-Inva­sion, Libyen-Intervention – die im Wahn der Hybris begangenen Völkerrechtsbrüche der »westlichen Wertegemeinschaft« rächen sich jetzt. Nichtwestliche Staaten, hier konkret Rußland, nutzen die geschaffenen Präzedenzfälle, um eigene geostrategische Interessen durchzusetzen. Es besteht die Gefahr der weiteren Erosion des Völkerrechtes. Daher muß der Westen dringend umdenken und sich im Zeichen einer multipolaren Weltordnung endlich wieder auf internationales Recht besinnen. Ein erster Schritt ist die kritische Selbstreflexion des westlichen Rechtsnihilismus – also das offene Eingeständnis, massive Rechtsverstöße begangen und andere Staaten und deren Menschen zur reinen Verfügungsmasse eigener Interessenspolitik degradiert zu haben.

Die Verurteilungsorgien gegen Rußland zeugen jedoch nicht von dieser Einsicht. Wie auch? Die Hybris ist ja nicht rational, sondern Resultat einer krankhaften Selbstüberschätzung. Erstaunlich ist, wie unkritisch hiesige Medien diese weiter befeuern. Die sogenannte vierte Gewalt versagt in der Außen- und Sicherheitspolitik noch jämmerlicher als in der Innenpolitik. Journalisten betätigen sich als mediale Militärstrategen und Feldkommandeure, statt ihrer Aufgabe der Informationsverbreitung nachzukommen.

Auch die Verhaltensweisen der SPD und Grünen zeugen davon, wo sie stehen, wo sie standen und wo sie auch weiter stehen werden. Es ist zwar erfrischend, daß ausgemusterte Politiker wie Gerhard Schröder, Günter Verheugen oder Antje Vollmer Klartext reden. Aber täten sie dies auch, wenn sie noch in Amt und Würden wären? Eher unwahrscheinlich. Das zeigt auch: Wer etwas in diesem Land werden oder bleiben will, muß die Klaviatur des Imperialismus mitspielen.

Ob die Entscheidung Moskaus im Hinblick auf die Krim das Völkerrecht nun weiter erodieren läßt oder im Gegenteil sogar zu neuer Lebendigkeit führt, liegt nicht an Rußland, sondern in der Verantwortung des Westens: Reagiert dieser auf die realexistierende multipolare Weltordnung mit Rückbesinnung auf das Völkerrecht, oder versucht man nun erst recht, mit Brachialgewalt die Uhren auf Unipolarität zurückzudrehen? Im Falle einer Rückbesinnung des Westens auf das Völkerrecht hätte die Entscheidung Rußlands, die Krim zu übernehmen, ironischerweise für die internationale Rechtsordnung auf indirekte Weise etwas Gutes gehabt. Das Völkerrecht gilt entweder für alle oder für keinen.

Die Linke ist gefordert, für ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit zusammen mit Rußland einzutreten. Etwaige Überlegungen, das Kriegsbündnis NATO selbst zu einem Sicherheitskollektiv zu transformieren, negieren den gegensätzlichen Charakter eines Sicherheitskollektivs und eines Interventionsbündnisses. Die NATO gehört aufgelöst.

Alexander S. Neu ist Obmann der Linksfraktion im Verteidigungsausschuß des Bundestages

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