Die USA in der Nahostzwickmühle

Nach Bombardements in Irak kündigt Washington auch Luftangriffe gegen den „Islamischen Staat“ in Syrien an

Von Roland Etzel *

Die US-Regierung hat mitgeteilt, dass sie Aufklärungsflüge über Syrien plant, mit denen Luftangriffe auf Dschihadisten vorbereitet werden sollen. Mit Damaskus soll es darüber keine Verständigung geben.

Die Luftangriffe der US Air Force auf die sunnitischen Kampfverbände des Islamischen Staates (IS) hatten bisher auf irakischem Territorium stattgefunden. Seit dem 8. August bombardierten Kampfflugzeuge, die von Flugzeugträgern im Persischen Golf aufgestiegen waren, Geschützstellungen, Lastkraftwagen und gepanzerte Fahrzeuge der IS-Kämpfer punktgenau und erfolgreich – so jedenfalls zeigten es um die Welt geschickte Videos. Was davon Computeranimation und was reales Geschehen war, lässt sich allerdings nicht beweisen. Die Glaubwürdigkeit amerikanischer Behauptungen steht diesbezüglich nur wenig über Null. Seit den Lügen und gefälschten Bildern, die vor elf Jahren zur Rechtfertigung der Invasion Iraks in die Welt gesetzt wurden, weiß man das.

Der Fälscher und Lügner im Weißen Haus hieß damals George Bush jun. Aber auch sein Nachfolger dort, Barack Obama, hat seine Probleme mit der Wahrheit und damit, das neuerliche Eingreifen im Zweistromland zu begründen. Er hat einerseits zu berücksichtigen, dass in der Bevölkerung der USA eine konstant große Mehrheit gegen einen neuen Kriegseinsatz in Irak existiert, andererseits aber die US-gestützte Bagdader Regierung schwer in Bedrängnis ist und vor dem Sturz gerettet werden soll.

Also wird laviert. Man beteuert das eine, ohne das andere zu lassen, und hat für unterschiedliche Zielgruppen differierende Begründungen parat. »Ich werde es nicht zulassen, dass die USA in einen neuen Irakkrieg gezogen werden«, sagte Obama am 9. August in seiner wöchentlichen Radioansprache. Den misstrauischen Bürgern zwischen New York und San Francisco wird erzählt, das Bombardement auf die Kämpfer der IS-Terrormiliz diene dem Schutz von US-Diplomaten und Militärberatern in der Kurdenhauptstadt Arbil. »Wir werden tun, was immer nötig ist, um unsere Leute zu schützen.«

Bei den am meisten zu schützenden Einrichtungen handelt es sich wohl nicht in erster Linie um die Konsularbüros. In der Region Arbil, keine 100 Kilometer vor der iranischen Grenze entfernt, werden militärische Horchposten der US-Dienste vermutet, die sicher auf gar keinen Fall in fremde Hände fallen sollen.

Für die besorgte Welt bewahren die amerikanischen Bomben vor allem die religiöse Minderheit der Jesiden vor einem Völkermord durch IS-Terroristen; jetzt schützen sie zusätzlich die kurdische Autonomie in Nordirak vor demselben Feind. In Amerika ist dies erst der zweite Teil der Begründung. »Wenn zahllosen unschuldigen Menschen ein Massaker droht, und wenn wir die Fähigkeit haben, das zu verhindern, dann können die USA nicht einfach wegsehen«, sagte Obama, ohne rot zu werden, denn genau das haben sie selbst über viele Jahre in Irak getan.

Wenn Zweifel an der behaupteten Wirkung der Luftschläge aufkommen, dann vor allem deshalb, weil die IS-Truppen anscheinend in ihren militärischen Möglichkeiten kaum eingeengt werden konnten. Die grenzübergreifenden Milizen nahmen der syrischen Armee Tabqa ab. Dort befinden sich ein wichtiger Flugplatz und der Euphrat-Staudamm. Welche Symbolik: Dessen Rückhaltebecken, der sogenannte Assad-See, ist jetzt IS-Land.

Aus Washington wird nun signalisiert, wenn IS nach Syrien ausweiche, wo die Truppe etwa ein Drittel der Landesfläche kontrolliert, müsse man sie auch dort bekämpfen. Zunächst sollen Aufklärungsflüge ein genaueres Bild über Stärke und Stellungen der Dschihadisten ergeben. Laut dem New Yorker »Wall Street Journal« sollen die Flüge »in Kürze« beginnen. Syrien, so heißt es aus dem Pentagon, diene den Extremisten als sicherer Rückzugsraum.

Über Luftangriffe in Syrien habe Obama, wie sein Sprecher Josh Earnest am Dienstag in Washington bekanntgab, aber noch nicht entschieden. Die Vertreter des syrisches Staates, der ebenfalls im Kampf gegen IS steht und ihn am Ende besiegt oder selbst untergeht, hat man bisher nicht gefragt, was sie davon halten, und hat es auch nicht vor. Will man IS – und vieles, was sich als religiös verbrämter Terror gerade in der Region vollzieht – tatsächlich effektiv bekämpfen, müsste man an Stelle der USA eigentlich Syrien stützen. Aber gerade das will man nicht.

Deshalb nützte es Syriens Außenminister Walid al-Muallem auch nichts, dass er dem Westen eine »Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus« anbot. Washington bekräftigte, so zu verfahren, als gäbe es in Damaskus keine Regierung. Dort ahnt man natürlich, dass US-Schläge gegen die IS-Streitmacht keineswegs als Hilfe für Assad herauskommen sollen, und erklärt, man werde Angriffe auf syrischen Boden ohne Absprache mit der Regierung als Aggression ansehen. Und wenn gerade das passiert? Dann gibt es vielleicht einen Vorwand, gegen Syrien doch noch militärisch vorzugehen. Derzeit sieht es eher danach aus als nach einem Umdenken in Washington.

Die offizielle deutsche Haltung wich bisher von diesem Diktum kaum ab. Es gibt aber durchaus andere Stimmen, nicht allein links von der Mitte. So verlangte der stellvertretende CDU-Vorsitzende Armin Laschet »eine differenziertere Sicht auf den syrischen Bürgerkrieg«. Etwas weniger »wohlfeile Rhetorik täte der deutschen und europäischen Außenpolitik ebenso gut wie die Konzentration auf die größte Bedrohung für den Frieden und die Freiheit in der Welt: die fundamentalistischen dschihadistischen Kämpfer«. Al Qaida, die Nusra-Front, Boko Haram und die Kämpfer des »Islamischen Staates« seien die wirkliche Bedrohung für Stabilität, Sicherheit und Frieden weltweit, sagte Laschet.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch 27. August 2014

US-Drohnen über Syrien

Kampf gegen »Islamischen Staat«: Washington dreht an Eskalationsschraube. Iran liefert Waffen an Irak **

Vor dem Hintergrund des weiteren Vormarsches der Milizen des »Islamischen Staats« (IS) drehen die USA an der Eskalationsschraube. Wie das Wall Street Journal unter Berufung auf hochrangige Regierungskreise berichtete, bereitet das US-Verteidigungsministerium Drohnenflüge im syrischen Luftraum vor, die die militärische Lage im Land erkunden sollen. Die New York Times schrieb, US-Präsident Barack Obama habe solche Flüge bereits am Wochenende genehmigt. Eine Zustimmung der Regierung in Damaskus solle dafür allerdings nicht eingeholt werden, hieß es weiter. Syriens Außenminister Walid Al-Muallem hatte die USA am Montag vor einem solchen eigenmächtigen Eingreifen in Syrien gewarnt. Angriffe auf syrischen Boden ohne Absprache mit der Regierung würden als Aggression angesehen, sagte er bei einer Pressekonferenz in Damaskus (jW berichtete).

Die Kämpfer des IS beherrschen im Norden und Osten Syriens rund ein Drittel der Fläche des Landes. Zudem gibt es Berichte, daß sie starken Zulauf aus anderen Gruppen bekommen. Diese Aufständischen wurden jahrelang vom Westen gegen Damaskus unterstützt, ihre Kampfgruppen spielen inzwischen aber kaum noch eine Rolle. Die Stärke des IS in Syrien wird bereits auf 50000 Mann geschätzt.

Die USA haben bislang IS-Stellungen nur im Nachbarland Irak angegriffen, um dort kurdische Einheiten und die irakische Armee im Kampf gegen die Dschihadisten zu unterstützen. Dort gibt es inzwischen ein inoffizielles Bündnis zwischen Washington und Teheran im Kampf gegen den IS. Der Iran hat die Kurden im Nordirak nach deren Angaben bereits mit Waffen und Munition versorgt. »Wir haben um Waffen gebeten, und der Iran war das erste Land, das uns Waffen geschickt hat«, sagte der Präsident der kurdischen Autonomieregion im Irak, Masud Barsani, am Dienstag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem iranischen Außenminister Mohammed Dschawad Sarif in Erbil.

** Aus: junge Welt, Mittwoch 27. August 2014

Niederlande ziehen Raketen aus Türkei ab

Wenn die NATO will, bleibt die Bundeswehr in Stellung

Von René Heilig ***

Seit Januar 2013 sind niederländische Flugabwehrsoldaten mit ihren modernsten »Patriot«-Raketensystemen im türkischen Adana stationiert. Operation »Active Fence« heißt der NATO-Bündniseinsatz, den die Türkei gefordert hatte. Der offizielle Auftrag: Im Verbund mit Einheiten aus den USA und Deutschland sollen die Niederländer die türkische Bevölkerung vor Luft- und Artillerieangriffen aus Syrien schützen.

Nun haben die Niederlande offiziell erklärt, dass sie »Active Fence« beenden. Zum Jahresende läuft das nationale Mandat aus, dann wird eingepackt. Begründet wird das technisch und militärisch. Der Einsatz rund um die Uhr, Woche um Woche, Monat für Monat, habe Systeme und Mannschaften maximal belastet. Notwendige Wartungsarbeiten wurden verschoben, eine geplante Modernisierung des Systems könne nur in der Heimat erfolgen.

Die aufgezählten Gründe treffen in der Mehrzahl auch für die nahe der 400 000-Einwohner-Stadt Kahramanmaras stationierten deutschen Soldaten zu. Dennoch teilte das Verteidigungsministerium auf nd-Anfrage am Dienstag mit: »Für den Fall, dass die NATO eine Fortsetzung des Einsatzes von ›Active Fence Türkei‹ beabsichtigt, wäre Deutschland – vorbehaltlich dazu ausstehender politischer Entscheidungen – grundsätzlich in der Lage, sein bisheriges militärisches Engagement fortzuführen.«

Die NATO, so ist zu erfahren, werte gerade den bisherigen Einsatz aus. Über das weitere Vorgehen werde »in enger Abstimmung mit der Allianz und den beteiligten Nationen beraten«. Beim Gipfel des Paktes in der kommenden Woche ist also mit generellen Entscheidungen zu rechnen.

Dabei dürften die verschiedensten Aspekte zur Sprache kommen. Ein wichtiger lautet: Die Raketensysteme, deren Radar weit in den syrischen Luftraum hineinleuchtet, haben bislang nicht einen einzigen Grund gehabt, eine Rakete abzufeuern. Die Bedrohungslage, die dem Bundestagsmandat zugrunde gelegt wurde, existiert nicht. Die Reste der Luftwaffe und die – so noch vorhandene – Raketentruppe des syrischen Diktators Assad haben andere Sorgen, als sich mit der NATO anzulegen.

Ohnedies ist der Schutz der türkischen Bevölkerung auch nur ein Teilaspekt der »Patriot«-Stationierung. Militärs reicht ein Blick auf die Karte, um zu sehen: Mitten in der sogenannten Vernichtungszone, jenem Gebiet also, das durch die ausländischen Raketen gesichert werden kann, liegt die NATO-Luftwaffenbasis Incirlik. Der riesige, auch zu Lande weiträumig abgesicherte Stützpunkt ist ein Drehkreuz für den Nachschub der US-Streitkräfte in Richtung Naher Osten. In diesen Tagen bekommt die Air Base zusätzliche Bedeutung für die Waffenlieferung an die irakischen Kurden. Auch Bundeswehrmaschinen landen hier zwischen. Nicht bestätigt, doch gleichfalls ein Grund für die Stationierung der »Patriots«: In Incirlik lagern angeblich – so wie im Eifelort Büchel – US-Kernwaffen. Falls die NATO oder einzelne Staaten der Allianz die oft angedrohten Luftangriffe gegen Syrien geflogen hätten, wäre Incirlik dafür ein wichtiger Startplatz und damit auch Ziel für Assads Gegenwehr gewesen.

*** Aus: neues deutschland, Mittwoch 27. August 2014

Kreative Kriegsdiplomatie

Roland Etzel zu den US-Bombenplänen über Syrien ****

Die USA wollen islamistische Krieger in Irak, wenn sie nach Syrien ausweichen, auch dort bekämpfen. Da die Gotteskrieger nicht allein Christen, Jesiden, Kurden und andere Minderheiten bekriegen, sondern auch Syriens Präsidenten Assad zum Teufel jagen wollen, müsste dieser eigentlich froh sein. Doch er ist es nicht, misstraut der unerwarteten Hilfe, nennt sie gar – sollte sie ohne Absprache mit der Regierung erfolgen – eine Aggression.

Dazu hat er allen Grund. »Wir schränken unsere Optionen nicht durch geografische Grenzen ein, wenn es um unsere zentrale Mission geht«, hatte der Sprecher des Weißen Hauses genüsslich dazu kundgetan, und Assads Leute ahnen, dass dies eine kleine Kriegserklärung ist – zumal zwar nicht Kriege, aber deren reguläre Deklarierungen lange der Vergangenheit angehören.

Brachiale Krieger wie Bush und Blair griffen zur einfachen Lüge, wenn sie nicht vorhatten, länger auf einen passenden Kriegsgrund zu warten. Obamas Administration zeigt sich in Sachen Kriegsdiplomatie kreativer: Wir greifen an Assads Front ein, mag er wollen oder nicht, ist die Botschaft. Und vielleicht trifft man ja mal »aus Versehen« die andere Seite. Soll in derlei Situationen schon passiert sein. Vielleicht hat er dann doch noch eine Chance »auszubrechen« – der amerikanische Bombenkrieg gegen Syrien.

**** Aus: neues deutschland, Mittwoch 27. August 2014 (Kommentar)

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