Wer hat Angst vor dem Islam?
Im Namen des Islams verüben junge Männer Gräueltaten. Dagegen demonstrieren Menschen in Deutschland. Doch es geht ihnen nicht nur um die Gewalt, sondern um die Verteufelung einer ganzen Religion. Warum das falsch ist. Eine Analyse.
Islam und Islamismus

DüsseldorfEin Schreckgespenst geht um in der westlichen Welt: Es ist der böse Islam, der die Jugend radikalisiert und dazu bringt, vermeintlich im Namen Gottes Gräueltaten zu verüben. Im Namen des Islams brennt der Nahe Osten und von den USA bis Deutschland wächst die Angst vor Anschlägen. Gegen die Gräueltaten der Terrormiliz IS in Syrien, Irak und anderen Ländern gehen die Menschen in Deutschland auf die Straße – zum Beispiel in Dresden oder an diesem Montag in Düsseldorf. Doch den Demonstranten geht es nicht nur um die Gewalt, sondern um die Verteufelung einer ganzen Religion. Der Islam wird zum Schreckgespenst.
Wie Schreckgespenster es so an sich haben, sind sie schwer zu fassen. Viel weiß man nicht über sie. Nur, dass man Angst vor ihnen hat. So viel, dass man nicht dazu kommt, überhaupt die komplexen und nicht einheitlich verwendeten Begriffe des islamischen Fundamentalismus, des politischem Islams und des Islamismus zu unterscheiden. Geschweige denn die vielen meist länderspezifischen Spielarten des Islams (Schiismus, Sunnismus, Wahhabismus, Alawismus…). Und die Frage zu stellen, ob wir nicht vor etwas ganz anderem Angst haben sollten.
Die Welt erscheint uns immer komplizierter, im Konflikt mit Russland, bei den Kriegen in Syrien und im Irak, im Kampf gegen Ebola oder gegen Wirtschafs- und Finanzkrisen. Das letzte Aufgebot gegen diese wachsende Unsicherheit sind simple Formeln. Früher waren die Kommunisten schuld, dann die Kapitalisten und heute wird eine ganze Religion in Sippenhaft genommen.
Schreckgespenster kommen jedem Freund der Schwarz-Weiß-Malerei gerade recht. Jeder kann darin die eigenen Ängste unterbringen und die der anderen weiter schüren, wie zuletzt etwa Hamed Abdel-Samad, Autor des Buches „Der islamische Faschismus“ und deutsch-ägyptischer Politologe. Er bezeichnete in der „Zeit“ den Islam als „Zeitbombe“: „Ob die militanten Islamisten ihn nun richtig auslegen oder nur für ihre Zwecke missbrauchen, ändert nichts an der Gefahr, die derzeit vom Islam ausgeht“, schrieb er.
Was für ein Unsinn. Genau das macht den Unterschied.
Es lässt sich darüber streiten, ob dem als Religion noch vergleichsweise jungen Islam noch eine Art Reformation fehlt wie dem Christentum. Nebenbei bemerkt: Auch mit der Reformation hat das Christentum längst nicht alle hierarchischen und autokratischen Elemente überwunden. Wir sollten um die Frage ringen: Welchen Platz hat der Glaube in der Politik?
Doch das geschieht nicht auf breiter Ebene. Dem (politischen) Islam wird jede positive Wirkung abgesprochen. Denn wo immer moderate Muslime für einen Einfluss von religiösen Grundsätzen auf die Politik plädieren, wittern wir gleich reflexhaft die Einführung der Scharia.
Doch ein Einfluss des Islams auf Politik bedeutet nicht das Ende des Abendlandes. Es nicht das Ende des laizistischen Prinzips, es bedeutet nicht den Kopftuchzwang für Frauen und den Bartzwang für Männer und vor allem bedeutet es nicht, dass Hadithen, Suren und Imame über dem (Grund)Gesetz stehen.
CDU und CSU das „C“ im Namen verbieten?
Denn wenn es sich um Solidarität und Nächstenliebe handelt – denn das sind Grundpfeiler des Islams wie auch der anderen Buchreligionen Judentum und Christentum – was wäre schlimm an politischem Einfluss dieser Grundsätze? So etwas strikt abzulehnen, wäre in etwa so, als wollten wir die CDU/CSU zwingen, das C aus dem Namen zu streichen, weil uns die Institution Kirche zu patriarchal und hierarchisch ist. Was ein abstruser Gedanke!
Der selbsternannte Islamkritiker und der islamistische Terrorist finden sich in der Verteufelung des jeweils anderen einer schräg anmutenden Einigkeit. Sie haben damit mehr gemein, als ihnen lieb sein kann. Abdel-Samad zitiert, wie viele andere, die den Islam als Quelle der Gewalt ausgemacht haben wollen, gern aus dem Koran. Etwa die Suren, in denen es darum geht, die „Ungläubigen“ (kuffar) zu töten. Doch diese Suren als einen Beleg für die Gewalttätigkeit des Islams zu verwenden, ist ebenso absurd wie dieselbe These fürs Christentum mit Bibelstellen des alten Testaments belegen zu wollen.
Sowohl die Bibel als auch der Koran sind kulturell geprägte Texte. Doch so lesen sie die Islamkritiker nicht. Genauso wie der Islamische Staat (IS) und die Neosalafisten. Doch Bibel und Koran sind Gleichnisse einer Entstehungsgeschichte.
Die Mörderbanden des Islamischen Staats berufen sich jedoch auf den Islam. Aber sie würden sich auch auf eine Bauanleitung von Ikea berufen, würde das die Menschen mobilisieren. Religion ist nicht Ursache für Konflikte und Kriege. Sie war es nie. Selbst bei den Kreuzzügen oder im Konflikt zwischen Israelis und Arabern nicht. Sie ist der Treibstoff, mit dem kluge Machthaber seit Jahrtausenden die Kriegsmaschinerie in Gang halten. Wer immer uns glauben machen will, es ginge in einem Krieg primär um Religion als Ursache und Zweck, will meistens davon ablenken, dass es komplexer ist.
Der Treibstoff Glaube funktioniert als identitätsstiftendes Element besonders effizient, wenn Staaten zusammenbrechen, Menschen unterdrückt und von politischer Teilhabe ausgeschlossen werden. Er funktioniert, wenn Bildung fehlt und Nahrung und ein Dach über dem Kopf, wenn Menschen Gewalt erleben und ihre Grundrechte mit Füßen getreten werden. Nur dann erscheint ein festgefügtes Wertesystem als das einzige, das Halt bietet.
Dass zum Beispiel der christliche Extremismus bislang nur ein Randphänomen ist, zeigt das deutlich. Hierarchische Elemente und die bipolare Dogmen („Ich sage dir, was richtig und was falsch ist“) können in Ländern, in denen es Menschen vergleichsweise gut geht, nicht die gleiche Wirkung entfalten wie in failed states. Sie vermögen einzelne Individuen mit starkem Defizitempfinden zu fesseln, nicht die Massen.
Die hohlen Versprechen der Fundamentalisten
„Die Welt sollte Angst vor dem militanten Islamismus haben“, schreibt Abdel-Samed. Dabei ist der militante Islamismus nur das Endprodukt von etwas, um das sich die Welt sorgen sollte: Dass Bevölkerungsgruppen willkürlich von politischer Teilhabe ausgeschlossen werden – wegen ihrer Religion, wegen ihres Geschlechts oder wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit zugunsten des Machterhalts der Gruppen von Herrschenden.
Dass kollektive und individuelle Hilf- und Perspektivlosigkeit hingenommen werden. Denn dieser Zustand lässt das Verlangen wachsen, das eigene Ego durch Macht und die Ausübung von Gewalt zu stärken. Und genau dieses Versprechen geben fundamentalistische Ideen – ganz gleich welche Buchstaben dabei vor dem -ismus stehen.
Wir sollten ein Klima in einer Gesellschaft fürchten, in der es so viele Bildungsverlierer gibt, dass Menschen genauso ohne wie mit Migrationshintergrund aus unserer Mitte ein solches Verlangen nach Macht- und Gewaltausübung wächst.
Die vermeintlichen „Gotteskrieger“ sind auch das Produkt unserer Gesellschaften. Der Konflikt in Syrien und im Irak schwappt nicht unverschuldet nach Deutschland, wie es Wolfgang Bosbach uns jüngst glauben machen wollte. Es sind auch deutsche junge Männer, die sich in Syrien und im Irak in die Luft sprengen.
Es gehört zum Wesen von Schreckgespenstern, dass sie sich – einmal festgesetzt in den Gedanken der Menschen – nicht mit Bomben und Gewehren, nicht mit Gefängnis oder Handabhacken bekämpfen lassen. Meist noch nicht einmal mit Tatsachen.
Denn das zu durchbrechen, ist viel schwieriger. Aber um diese anstrengende Auseinandersetzung kommen wir nicht herum.
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