ÄGYPTEN – Cash mit dem Diktator

Militarist Sisi übt eine brutale Herrschaft aus. Missachtung der Menschenrechte, Folter in Gefängnissen, Verschwindenlassen von Oppositionellen sind für ÄgypterInnen tägliche Realität. Das hindert EU-Staaten nicht am Geschäftemachen mit dem Diktator.

In Ägypten wurden 2012 demokratische Wahlen abgehalten. 52% der wahlberechtigten Bevölkerung entschied sich für Mohammed Mursi, den Kandidaten der muslimischen Freiheits- und Gerechtigkeitspartei. Mursi wurde nach gröberen innenpolitischen Turbulenzen durch einen Putsch des Militärs in eine Gefängniszelle katapultiert, wo er unter drei Anklagen jeweils mit Höchststrafe Todesurteil, einsitzt.

Militarist Sisi überzieht das Land mit brutaler Repression

In Folge wurden auf Befehl des Ex-Armeechefs und jetzigen Staatspräsidenten Abdelfattah Sisi Tausende inhaftiert und unter Folter gezwungen, Taten zu gestehen, die sie nie begangen hatten. Auch heute verschwinden täglich Menschen. Sogar Mütter mit ihren Babys werden von den Militärs entführt, Angehörige suchen vergebens nach ihnen. Gerichtsverfahren gegen Oppositionelle, unter ihnen viele aus der Muslimbrüderschaft, werden als Schauprozesse abgehalten. 683 Todesurteile wurden mit einem Schlag im April 2014 verhängt, 529 Todesurteile einen Monat zuvor, weitere 715 Personen stehen unter Anklage in einem weiteren Massenprozess. Brutale Repression bestimmt das Leben der ÄgypterInnen. Wer sich nicht offen zum Sisi-Regime bekennt, gerät unter Verdacht einer oppositionellen Vereinigung anzugehören und riskiert für sich und seine Familie schlimme Repressalien. Mehr als 1.400 Menschen wurden im Zuge solcher Repression getötet, mehr als 15.000 inhaftiert. Menschenrechtsorganisationen sprechen von 1.800 Kindern, die allein zwischen Juli 2013 und August 2014 gefangen genommen wurden.

Seit 2012 gibt es im Land kein Parlament mehr. Die von Sisi angekündigten Parlamentswahlen wurden mehrmals verschoben. Der zuletzt angesetzte Termin war diesen März. Sisi hat bis zu den Wahlen auch die Legislativgewalt inne, kann also nach seinem Willen Gesetze verabschieden. So hat er die Befugnisse der Militärgerichte ausgedehnt. Sie verurteilen hemmungslos ZivilistInnen und haben bereits hunderte Todesurteile gefällt. Als „in der jüngeren Geschichte beispiellos“ hat dies die UNO bezeichnet.

Staaten wittern Geschäfte

Wurde das Sisi-Regime in seinen Anfängen von diversen Regierungen zumindest mit Distanz betrachtet, sind mittlerweile alle Dämme gebrochen. Russlands Putin wird das erste Atom-Kraftwerk in der Region Dabaa bauen. Als einer der ersten Sisi-Freunde hat der russische Präsident die strategische Lage Ägyptens im Auge. Das Mittelmeer ist als Verbindung zum Schwarzen Meer für den russischen Flottenstützpunkt auf der Krim wichtig. Genug Waffen werden ebenso die Seiten wechseln, zur Freude der in Ägypten alles dominierenden Militärs.

Für das Deutsche Auswärtige Amt hat sich das Wirtschafts- und Investitionsklima „seit Mitte 2013 positiv entwickelt“. Deutschland ist der zweitgrößte Exporteur nach Ägypten, vor den USA und nach China. Mitte März haben Frau Merkel und SPDs Gabriel den Militarist Sisi sogar persönlich eingeladen. „Von der Stabilität Ägyptens hängt die ganze Region ab“ sagte der deutsche Sozialdemokrat, obwohl „die Stabilisierung von Militärdiktaturen nur begrenzte Freude auslöst“. Er bleibt also freudefähig, angesichts der erwarteten milliardenschweren Aufträge für Siemens.

Griechenland und Zypern planen gemeinsam mit Ägypten und – ohne Skrupel – mit Israel eine Wirtschaftszone in der Ägäis und im östlichen Mittelmeer. Dabei soll es um die Ausbeutung und den Transport von Erdgas und –öl, als auch um die „Bekämpfung terroristischer Gruppen und ihrer Unterstützer“ gehen, was Sisi besonders gefällt. Außenminister Kotzias aus der linken Syriza ist gerne bereit auf dem vom sozialdemokratischen Vorgänger bereiteten Weg weiterzugehen. Dass es einst auch in Griechenland eine Militärdiktatur gab, die grausamst jede Opposition, allen voran linke AntifaschistInnen verfolgte, hat er genauso vergessen wie die unter ägyptischer Blockade Hungernden im Gaza-Streifen. Im letzten Sommer noch hatte das Linksbündnis Syriza gegen das israelische Bombardement auf Gaza demonstriert.

Bei der propagandistisch aufgeblähten Wirtschaftskonferenz Anfang März in Sharm el-Sheikh versammelten sich internationale Großkonzerne wie GE, Siemens, Thyssen-Krupp, BP, ENI, Coca-Cola, Lafarge sowie chinesische und arabische Unternehmen. Schon vor der Konferenz wurde der Ölgigant Großbritanniens BP mit dem zwölf Milliarden Dollar Investmentvolumen umfassenden Ölförderprojekt ‘West Nile Delta Projekt’ bedacht. Eine Verneigung vor der ehemaligen Kolonialmacht.

Mit „Ich bin nur einen Telefonanruf entfernt“ wirbt Christine Lagarde, die französische Chefin des Internationalen Währungsfonds, um die Zusage Sisis zur Mitgliedschaft im IWF.

Golfstaaten und USA stützen die Militärs

Der setzt lieber auf die Gelder aus den Golf-Staaten. Diese Beziehungen haben sich seit dem Sturz Mursis bestens entwickelt. 12 Billionen Dollar sollen aus Saudiarabien, den VAE und Kuwait in Sisis Kassen gewandert sein. Sisi weiß, was den Monarchen besonders gefällt: Die militärische Handreichung für ihre Interessen im Jemen und die Bekämpfung der Muslimbrüderschaft. Sie hat mit ihrer Strategie der Gewaltfreiheit und Teilnahme am demokratischen Prozess wesentlich höhere Chancen auf Sympathien unter Muslimen als Regimes, die mit heuchlerischen Despotien kooperieren. Nach dem Militärputsch wurde die Muslimbrüderschaft in Ägypten zur „Terrororganisation“ deklariert und in einen Topf mit Daesh (ISIS) geworfen. Dort rührt Barak Obama um, der Sisi schon im September 2014 getroffen und ihm zehn Apache-Hubschrauber als Willkommensgeschenk für den „Kampf gegen den Terror“ zugesagt hatte. Aktuell werden F-16-Kampfflugzeugen, Raketen und Ausrüstungen für Abrams-Panzer geliefert. Obama will eine jährliche Militärhilfe in Höhe von 1,3 Milliarden Dollar gewähren.

Die US-Regierung freut sich über einen Kriegsbüttel, der je nach Bedarf mobilisiert werden kann, wie aktuell im Jemen. Sisi, dessen Verbindungen zur Führung der US-Armee und zum Verteidigungsministerium als ausgezeichnet gelten, ist die passende Figur für den Einsatz in Stellvertreterkriegen.

Krieg ist Profit

Noch immer geht es ums Öl, um die reichhaltigen Ressourcen der arabisch-afrikanischen Erde und um die zentrale strategische Lage. Die entscheidet im Wettlauf um Absatzmärkte und Ressourcen, über schnelle Verkehrswege nach Asien, Afrika und Europa. EU-AnalystInnen verstehen selten die US-Strategie im arabischen Raum. Dabei hat die Weltmacht von Sykes, Pikot und Lawrence gelernt: Einzelne Gruppen und Staaten fördern, in Abhängigkeit bringen, gegeneinander aufbringen, ausspielen, dann wieder fallenlassen und das Spiel wieder von vorne beginnen, mit anderen oder denselben Akteuren. Das Ziel bleibt dabei immer dasselbe.
„Kontrolle durch Krieg“, ist das Motto dieser Strategie. Die internationale Waffenindustrie profitiert von den regionalen Kriegsszenarien. Die geschürte künstliche Gegnerschaft zwischen Sunniten und Schiiten über das Vormachen einer iranischen Gefahr für Saudiarabien verhalf den amerikanischen Rüstungskonzernen zu ihrer Größe und den USA zu ihrer Weltmacht. Denn Saudiarabien kaufte den US alles ab, am meisten Kriegsgerät. Heute ist es dafür abgestellt, mit der einen Hand Szenarien wie Daesh zu fördern und finanzieren, um sie mit der anderen Hand zu bekämpfen.

Friedliche Alternativen unerwünscht

Ägypten, das seit Sadat völlig in US-Abhängigkeit gehaltene Land, drohte durch die Revolution die Leine abzuschütteln und sich ein eigenständiges Profil in der Region und Staatengemeinschaft zu erarbeiten. Allein, dass sich Ägypten unter Mursi als anerkannter Vermittler in Sachen Palästina Anerkennung verschaffte, bereitete den US-israelischen think-tanks schweres Kopfzerbrechen.

Die Regierung unter Mursi hätte eine Alternative zu Daesh & Co präsentiert. Mittelfristig wäre Frieden in der Region wahrscheinlicher geworden. Einfluss und Profit der EU wären auf mehreren Ebenen gestiegen. Die deutsche Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) empfiehlt nicht umsonst die „Reintegration der Muslimbrüderschaft in den politischen Prozess“, weil für die „Stabilisierung und wirtschaftliche Entwicklung unabdingbar“. Zudem sieht die SWP eine Veränderung der Armutsrate (40€ im Monat), Arbeitslosigkeit (Jugendliche 40%), und Korruption durch die angekündigten Großprojekte der Regierung nicht gegeben.

Wer unter der Rückkehr der Militärs am meisten leidet, sind die einfachen Leute. Verheizt als Soldaten in bizarren Bruderkriegen, eingekerkert bis ans Lebensende, hungernd in den Straßen der Millionenstädte und im rundum blockierten Gaza-Streifen.

Wer denkt schon daran, wenn es Cash gibt vom Diktator?

Helga Suleiman

http://www.haberjournal.at/de/gypten-cash-mit-dem-diktator-makale,63.html

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