Krach in jeder Gruppe

100 Jahre nach der Zimmerwalder Konferenz streiten Linken-Politiker darüber, wie die Friedensbewegung aufgestellt und ausgerichtet sein muss

Von Johannes Supe
Erfolgreich sein auch ohne die »Montagsmahnwachen«? Tausende pro
Erfolgreich sein auch ohne die »Montagsmahnwachen«? Tausende protestierten anfang Februar in München gegen die dortige »Sicherheitskonferenz«

Zimmerwald war nicht nur eine Friedenskonferenz

»Zimmerwald steht für den Bruch mit dem Reformismus.« Die markigen Worte konnte man am Wochenende in der Schweiz hören. Auch dort erinnerte man an die Zimmwalder Konferenz von 1915, der Revolutionäre Aufbau Schweiz lud dazu nach Zürich ein (siehe jW vom 2. Oktober). Passend zum Anlass tagte man im Lenin-Saal des Zürcher Volkshauses, jenem Sitz der Gewerkschaften, in dem noch immer eine Plakette des Revolutionärs hängt. Mit der eigenen Veranstaltung grenzte man sich von einem vorangegangenen Gedenken Anfang September ab. Das war vornehmlich von der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz (SPS) – also den Reformisten – organisiert worden.

Über 120 Personen nahmen bereits an der Auftaktveranstaltung am Freitag abend teil. Unter Bezug auf Lenin, so der Anspruch der Veranstalter, wollte man eine Handlungsorientierung für heutige Kriege und Konflikte finden. Der russische Revolutionär hatte damals gefordert, den Ersten Weltkrieg durch einen Bürgerkrieg und die anschließende sozialistische Revolution zu beenden.

Die Methode ließe sich nicht einfach »kopieren«, so ein Vertreter des Revolutionären Aufbaus, der in der Deutschschweiz, gerade in der Region um Zürich, aktiv ist. Dennoch könne man in den »imperalistichen Agressionen wie in Rojava und der Ukraine« Parallelen »zur Situation von damals« finden. Nach wie vor müssten Brennpunkte ermittelt und eine revolutionäre Praxis geschaffen werden. Vorbild seien etwa die Kurden und Kurdinnen von Rojava, die aus der Kriegssituation im Land einen Befreiungskampf machten.

Durch den Abend führte jW-Autor Nick Brauns. Er erinnerte daran, dass 1914 die deutschen und französischen Sozialisten zu »Verteidigern des Vaterlandes« wurden, den Kriegskrediten zustimmten und die Arbeiter in die Schützengräben geschickt hatten. Bereits 1912 habe sich in der Baseler Friedenskonferenz gezeigt, dass der Opportunismus um sich gegriffen hatte. Den früheren radikalen Worten seien dann keine Taten gegen den Krieg mehr gefolgt.

Nein, ein Anhänger der Einheit um jeden Preis war er nicht. Ein Fortschritt sei es, dass man sich »unverkennbar in Richtung auf den Bruch mit dem Opportunismus« zubewege. So urteilte Wladimir Iljitsch Lenin im Nachhinein über die Zimmerwalder Konferenz von 1915. 38 oppositionelle Vertreter sozialdemokratischer Parteien hatten sich vom 5. bis zum 8. September im schweizerischen Zimmerwald getroffen, jenem bis heute etwas verschlafenen Nest nahe Bern, um den Kampf gegen den Ersten Weltkrieg zu organisieren. Der Krieg müsse in den Bürgerkrieg umgewandelt werden, hatte der der russische Revolutionär verlangt. Und war damit in der Minderheit – in Zimmerwald wie auch in der internationalen Sozialdemokratie überhaupt.Hundert Jahre später kann darüber gescherzt werden. »Lenin hat ordentlich und kräftig gespalten«, sagte Wolfgang Gehrcke, Bundestagsabgeordneter der Partei Die Linke, am Sonntag auf der von ihm mitorganisierten Tagung zur historischen Konferenz. Die Veranstaltung am Wochenende stand unter dem Motto »Imperialismus heute, Differenzen verstehen, Spaltungen überwinden«.

»Die Position der Partei zum Frieden ist derzeit die zentrale Frage«, sagte Ellen Brombacher von der Kommunistischen Plattform (KPF) in der Linken in einer ersten Diskussionsrunde. Seit den 90er Jahren werde über den Antimilitarismus in der Linkspartei diskutiert. Immer wieder werde versucht, eine Bresche für die Zustimmung zu Auslandseinsätzen zu schlagen. Das sei nötig, um einer etwaigen Regierungskoalition beizutreten. »Das ganze lässt sich reduzieren auf die Frage: Grundsätzliches Nein zu Auslandseinsätzen oder eine ›Einzelfallprüfung‹?« so Brombacher. Wer für letztere einstehe, wolle die Friedenspositionen schleifen.

Brombacher gegenüber saß Diether Dehm, Bundestagsabgeordneter der Linken. Es sei »bitter nötig«, so Dehm, wieder über Lenin zu reden und das Wort Imperialismus in den Mund zu nehmen. Gerade die Rolle der Rüstungsindustrie und ihrer enormen Profite müsse dabei thematisiert werden.

Auf Nachfrage von jW erklärte Dehm, dass er für eine Einzelfallprüfung bei Militäreinsätzen sei. Doch sei er in dieser Frage überstimmt worden. »Für mich gelten Parteitagsbeschlüsse, das wird auch weiterhin so sein«, sagte Dehm. Deshalb votiere er im Bundestag gegen deutsches Militär in fremden Ländern.

»Die Friedensbewegung muss breit angelegt sein«, sagte Dehm. Eine »Gesinnungspolizei« dürfe man dabei nicht zulassen. Ausdrücklich müssten auch umstrittene Personen wie der frühere Radiojournalist Ken Jebsen, der nun die Website www.kenfm.de betreibt, miteinbezogen werden. »Jede sektiererische Enge nützt nur dem Krieg«, so Dehm. Das könne so nicht stehen bleiben, befand Brombacher. Jebsens Äußerungen seien oft antikommunistisch. Er trage Verwirrung in die Bewegung hinein und spalte sie. »Wäre Jebsen wirklich ein Freund der Friedensbewegung, müsste er sich zurückziehen«, so Brombacher. Vielen Linken sei es suspekt, mit ihm und anderen aus den »Montagsmahnwachen« für Frieden gemeinsam zu demonstrieren. Sie blieben den Protesten deshalb fern.

Hintergrund der Debatte ist die Verknüpfung der genannten Veranstaltungen mit Teilen der Friedensbewegung. Im November 2014 kam man über die Kampagne »Friedenswinter« zusammen. Zuletzt gab es eine gemeinsame Antikriegsdemonstration in Ramstein (siehe jW vom 28. September). In vielen linken Gruppen und auch der Linkspartei wird derweil darüber diskutiert, ob die Montagsmahnwachen nicht Anknüpfungspunkte für rechte Ideologien bieten.

Heftig wurde darüber auch auf dem Abschlusspodium der Tagung diskutiert. Dort beteiligten sich neben Wolfgang Gehrcke auch der stellvertretende Bundesvorsitzende der Linken, Tobias Pflüger, Reiner Braun, Sprecher der »Kooperation für den Frieden« und Pedram Shahyar, Exponent der Mahnwachen und seit Oktober Mitarbeiter von Ken Jebsen.

Die Beteiligung von früher Tausenden an den Mahnwachen sei ein Zeichen dafür gewesen, dass die »alte Friedensbewegung« verkrustet sei, sagte Shahyar. Deshalb seien die Menschen zu den offenen Treffen gegangen. Wolle man in Zukunft bestehen, brauche es eine »Neukomposition« der »alten mit der neuen Friedensbewegung«.

»Die Unterscheidung zwischen ›alter‹ und ›neuer‹ Friedensbewegung ist unerträglich«, sagte Wolfgang Gehrcke daraufhin. Das behindere jedes Eintreten gegen Krieg. Außerdem könne er die Selbstgefälligkeit nicht leiden, die Shayar an den Tag lege, sagte Gehrcke. »Da haben Dehm und ich wohl nicht genügend mit dir gesprochen.« Dennoch müsse man gemeinsam etwa für eine andere Politik gegenüber Russland eintreten. »›Macht uns die Russen nicht zu Feinden‹, damit kann man heute Wahlen gewinnen«, meinte Gehrcke. Als Leitlinie müsse dabei gelten, dass ein Nein zum Krieg auch mit einem Nein zu Rassismus und Faschismus verbunden sein muss.

Tobias Pflüger machte noch einmal deutlich: »Ich habe immer dafür plädiert, dass wir nicht mit Grenzgängern zusammengehen.« Zu viele Anhänger der Mahnwachen kokettierten mit rechten Positionen. Ein »Zusammenschieben« der Mahnwachen mit den Antikriegsaktivisten dürfe es deshalb nicht geben. Vielmehr müsse die bestehende Friedensbewegung mit ihren Inhalten stark werden. Das gelinge etwa bei den jährlichen Protesten zur »Münchner Sicherheitskonferenz«.

Pflüger hatte zunächst den ersten Aufruf zum »Friedenswinter« unterzeichnet. Dann sei er aber immer wieder auf seine Unterschrift angesprochen worden. »Und mittlerweile gibt es kaum eine politische Gruppe, in der es nicht zu diesem Thema kracht.« Das habe zu Stillstand und Lähmung geführt. Nun müsse man endlich sagen: »Wir lassen es.«

Junge Welt vom 6.10.15

 

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