Eine Branche floriert
Die globalen Exporte von Kriegsgerät wachsen. Die USA sind weiterhin einsame Spitze, doch deutsche Medien wittern Gefahr aus Peking
Von Christian Selz
![]() Was darf’s denn sein zur Auslöschung der nächsten Familie:
Granatenvitrine bei einer Ausstellung in London (15.9.2015)
Foto: EPA/FACUNDO ARRIZABALAGA
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Während rund um den Globus Kriege entfacht und immer weiter befeuert wurden, sind in den vergangenen fünf Jahren weltweit 14 Prozent mehr Waffen verschachert worden als zwischen 2006 und 2010.
Das meldete das Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) am Sonntag. Eine Sperrfrist legte dabei fest, dass Medien weltweit erst ab Montag über das Zahlenwerk berichten durften. Um 0.01 Uhr Mitteleuropäischer Zeit begann dann das große Rosinenpicken im schwedischen Zahlenbrei.
»China baut Waffenexporte kräftig aus«, titelte die Nachrichtenagentur dpa, zählte – von der gelben Gefahr offensichtlich verunsichert – im Zeitraum von 2011 bis 2015 aber nur vier Jahre. Die Zahlenjongleure von Spiegel online schlossen sich der mathematischen Glanzleistung an und fassten obendrein mit schlafwandlerischer Sicherheit zusammen: »China exportiert, Saudi-Arabien kauft ein«. Das nennt man dann wohl kreativen Umgang mit Fakten: China soll seine Rüstungsausfuhren laut SIPRI gegenüber den fünf Vorjahren 2006 bis 2010 um 88 Prozent gesteigert haben, die Kriegslust der saudischen Herrscher schlug sich gar in einem Einfuhrzuwachs von 275 Prozent nieder. Der suggerierte Zusammenhang allerdings, der existiert nicht. Im weniger fett gedruckten wird das auch klar, wenn das Leitmedium SIPRI-Rechercheur Pieter Wezeman zitiert. Der hatte in der Ursprungsmeldung der schwedischen Friedensforscher festgestellt: »Eine Koalition arabischer Staaten setzt hauptsächlich aus den USA und Europa bezogene, hochentwickelte Waffen im Jemen ein.« Vor allem der große Friedensstifter Washington bleibt mit einem Anteil von 33 Prozent aller transnationalen Kriegsgerätedeals, deutlich vor Russland (25 Prozent), nach wie vor unangefochtener König der internationalen Waffenschieberszene und konnte seine gigantischen Exporte noch einmal um 27 Prozent steigern. Doch derlei Details schaffen es in der deutschen Qualitätspresse nur in den hinteren Teil der Bleiwüste.
Wichtiger erscheint da schon eine alarmierende Erkenntnis, die die Nachrichtenagentur Reuters aus dem Bericht der vom schwedischen Staat gegründeten Stiftung extrahierte. »Deutsche Waffenexporte haben sich halbiert«, titelte der wirtschaftsnahe Dienst. Das hat drastische Folgen: »In der Rangliste der größten Exporteure weltweit rutschte Deutschland demnach vom dritten auf den fünften Platz ab«, trauerte Reuters. Diese Schmach konnte das Bundeswirtschaftsministerium freilich nicht auf sich sitzen lassen. Bei den SIPRI-Zahlen handele es sich um »fiktive Werte« hieß es laut dpa aus Berlin, die Rangliste der Schweden sei »sehr mit Vorsicht zu genießen«.
Das gilt freilich auch für die Werte zu China, trotzdem noch etwas Aufklärung vom Stockholmer Rechenschieber: Peking hat sich demnach nicht nur bei den Exporten »auf Rang drei vorgeschoben« (Reuters), sondern importiert nach Indien und Saudi-Arabien auch die drittmeisten (4,7 Prozent) der weltweit verkauften Waffen. »China baut seine militärischen Kapazitäten mit importierten und im eigenen Land hergestellten Waffen weiter aus«, erklärte SIPRI-Rechercheur Siemon Wezeman. In der Region fällt das allerdings nicht weiter auf: Auch Indien, auf das zwischen 2011 und 2015 14 Prozent der weltweiten Waffenimporte entfielen, Australien (3,6 Prozent), Pakistan (3,3 Prozent), Vietnam (2,9 Prozent) und Südkorea (2,6 Prozent) gehören laut SIPRI zu den zehn Ländern, die am stärksten aufgerüstet haben. Einigen von ihnen werden engere Beziehungen zu den USA nachgesagt.
junge Welt vom 22.2. 2016
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