Offener Brief, betreffend „Verurteilung von Antisemitismus und BDS“
Offener Brief an die Mitglieder des Budgetausschusses im Nationalrat Betreff: Entschließungsantrag 141/A(E) „Verurteilung von Antisemitismus und BDS“
—————————————————————————————————————–Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete!Zur Debatte und Entscheidung liegt Ihnen ein von den Abgeordneten Reinhold Lopatka (ÖVP),Martin Engelberg (ÖVP) Pamela Rendi-Wagner (SPÖ), Petra Steger (FPÖ), Eva Blimlinger(GRÜNE) und Helmut Brandstätter (NEOS) am 11. Dezember 2019 eingebrachter„Selbständiger Entschließungsantrag“ betreffend die „Verurteilung von Antisemitismus und derBDS-Bewegung“ vor. Wir erachten den vorgelegten Text in mehrfacher Hinsicht als höchst problematisch.1. Unbestritten bleibt dabei, dass uns ÖsterreicherInnen als Nachkommen im geographischenRaum des Holocaust, aus dieser Barbarei, dem zweifellos dunkelsten Kapitel unsererGeschichte, eine besondere Verantwortung für das Wohlergehen jüdischer Menschen erwächst. Wir sind allerdings auch zutiefst davon überzeugt, dass wir, langfristig gesehen,unseren jüdischen MitbürgerInnen nichts Gutes tun, wenn wir ihren Opferstatus immer wieder völlig von anderen rassistisch verfolgten Opfergruppen abkoppeln. Besonders auffällig ist dabei etwa die weitgehend fehlende öffentliche Aufmerksamkeit für die ethnische Gruppe der Roma und Sinti. Mangels einer starken politischen Lobby ist weder ihr Schicksal während der Herrschaft des Nationalsozialismus noch ihre aktuelle beklagenswert soziale Lage und Ausgrenzung in Europa in hinreichender Weise Gegenstand wissenschaftlicher Anstrengungen, medialer Berichterstattungen und entschlossener politischer Programme.Zudem erachten wir es als dringend nötig, das Schicksal der PalästinenserInnen in unsere Verantwortung für die Geschichte einzubeziehen. Denn auch sie sind zu Opfern der europäischen Kolonialismus- und Faschismusgeschichte geworden, deren Folgen bis heute andauern. Antisemitismus ist eine Sonderform des Rassismus. Rassismus negiert die Anderen in ihrer Identität und gefährdet sie in ihrer Existenz. Im Rahmen dieses allgemeinerenKontextes ist natürlich auch der Kampf gegen ein Neuaufleben von Judenhass unerlässlich,auch unter Anwendung des Strafrechts. 2. Der Antrag beruft sich auf die Antisemitismus-Definition der International Holocaust Re-membrance Alliance (IHRA). Er ignoriert aber dessen begrifflich-wissenschaftliche Schwächen und Ungeeignetheit für die praktisch-politische Auseinandersetzung, wie dies etwa jüngst der renommierte Berliner Antisemitismus-Forscher Peter Ullrich in seinem „Gutachten zur>Arbeitsdefinition Antisemitismus< der International Holocaust Remembrance Alliance“1 von 8
dargelegt hat. Ein Problem dieser Arbeitsdefinition von Antisemitismus liegt darin, dass sie aufgrund ihrer zahlreichen „Kann-Bestimmungen“ „ein Einfallstor bietet für eine damit mögliche öffentliche Stigmatisierung missliebiger Positionen im israelisch-palästinensischen Konflikt“(Peter Ullrich).3. Ist der im vorliegenden Entschließungsantrag zentrale Begriff des Antisemitismus auf Basis der Vorgabe des IHRC für eine ernsthafte, wissenschaftlich unterfütterte politische Debatte völlig unzureichend definiert, so fehlt bei dem von den Antragstellern ebenfalls bemühten Begriff des „Antizionismus“ überhaupt jede Definition.1 Der Antrag setzt eine Antisemitismus-Definition, die mehr verwirrt als klärt, mit dem definitionsbedürftigen, aber im Antrag undefinierten Begriff des Antizionismus in Beziehung. So entsteht der Eindruck, man betreibe hier aus durchsichtiger ideologischer Voreingenommenheit, eine Politik der Tabuisierung der vielfältigen, offenkundigen, völkerrechts- und menschenrechtswidrigen Unterdrückung des palästinensischen Volkes durch den Staat Israel2 – und nur um diese Kritik kann, darf und muss es bei dem, was im Westen gemeinhin unter „Israelkritik“ verstanden wird, berechtigterweise gehen. 4. Mangels der im Antrag fehlenden Definition des Zionismus-Begriffs, darf und muss man,realpolitisch gedacht, davon ausgehen, dass sich die Antragssteller auf jene Staatsideologie Israels beziehen, die heute an der Macht ist, jener von Ministerpräsident Benjamin Nethanjahuund seinen ultranationalistischen Regierungskoalitionen. Und genau dieses Verständnis und die daraus folgende chauvinistische Realpolitik Israels versucht der Antrag gegenüber der weltweit wachsenden Kritik zu immunisieren.Der Antrag enthält das inhaltsleer-floskelhafte Zugeständnis, dass „sachliche Kritik an einzelnen Maßnahmen der Regierung Israels zulässig“ sei. Er vermeidet damit den vielfach menschen- und völkerrechtswidrigen Charakter der Besatzungs- und BelagerungspolitikIsraels klar zu benennen. Dies gilt für die kolonialistische Siedlungspolitik, die im Sinne des Artikel 49, Abs. 6 des „Genfer Abkommen über den Schutz der Zivilbevölkerung inKriegszeiten“ klar völkerrechtswidrig ist. Das gilt für die Annexion Ost-Jerusalems. Und das gilt———————-1 Grob betrachtet sind drei Richtungen des Zionismus zu unterscheiden: Bedeutsam wurden der vom Staatsgründer David Ben Gurion repräsentierte Linkszionismus, der die Zeit vor und nach der Staatsgründung dominierte und der ultranationalistische Rechtszionismus in der Tradition der sogenannten „Revisionisten“ rund um Vladimir „Zeev“ Jabotinsky. Diese Richtung wurde vor und nach der Staatsgründung 1948 von einer bedeutsamen Minderheit vertreten und kam mit Menachem Begin und seiner Likud-Partei bei den Knesseth-Wahlen 1977 erstmals an die Macht. Und schließlich gab es eine nicht oder kaum ethno-nationalistisch ausgeprägte Richtung des Zionismus. Sie wurde u.a. von der Gruppe Brit Schalom rund um den Philosophen Martin Buber oder von der linken Jugendbewegung Hashomer Hatzair vertreten. Dieser humane Zionismus wurde realpolitisch bald völlig an den Rand gedrängt und spielte im späteren Verlauf der Geschichte keine Rolle.2Auch wenn die Berichterstattungen der österreichischen und europäischen Leitmedien durch eine überwiegend proisraelische Tendenz gekennzeichnet sind, so kann man sich heute über das historische und aktuelle Ausmaß dieser Unterdrückung durch alternative soziale Medien jederzeit ein tatsachengetreues Bild machen: Vertreibung, Enteignung von Land und Wasserressourcen für kolonialistische Siedlungen, Zerstörung von Olivenhainen palästinensischer Bauern, immer wieder verlängerbare Administrationshaft, Kinder- und Jugendliche in Gefängnissen, gezielte außergerichtliche Morde, alltägliche demütigende Schikanen an hunderten Checkpoints, Hauszerstörungen, usw. Die Ausrede, wir hätten irgendetwas davon nicht wissen können, ist heute nicht mehr möglich.2 von 8
für die von schweren Menschenrechtsverletzungen begleitete Militärbesatzung der Westbank und Abriegelung von Gaza. Der Antrag verkennt damit, dass hinter diesen „einzelnenMaßnahmen“ der harten Unterdrückung des Freiheitswillens und der Rechte despalästinensischen Volkes durch Israel eine systematisch wirksame ethno-nationalistischeIdeologie steht. In Summe kommt diese Positionierung des Antrags damit jener komplizenhaften politischenHaltung gleich, die in Zeiten der südafrikanischen Apartheidspolitik zwar einzelne Maßnahmenkritisiert hat, es aber unterlassen hat, die dahinterstehende rassistische Ideologie derApartheid zu verurteilen.5. Israels jahrzehntelange Unterdrückung des palästinensischen Volkes verdichtet sich imBegriff des ethnozentrisch-cauvinistisch verstandenen Zionismus. Mit der im Antragdeutlichen, tendenziellen Gleichsetzung von Antizionismus mit Antisemitismus wird der Bodenbereitet für die zukünftige Diffamierung und Unterdrückung der notwendigen Kritik und offenenDebatte dieses verhängnisvollen, aus dem 19. Jahrhundert stammenden ideologischenKonstrukts. Anlässlich der von der ÖVP/FPÖ im November 2018 in Wien ausgerichteten„Konferenz gegen Antisemitismus“ haben 34 jüdische Intellektuelle und KünstlerInnen in einemOffenen Brief genau diese Begriffsvermengung klar zurückgewiesen. Wir ersuchen um Lektüredieses Dokuments, http://www.medico.de/17238/ .Höchst besorgt, diese Begriffsvermengung stelle sogar antizionistisch gesinnte jüdischeMenschen unter das Verdikt des Antisemitismus, äußerten sich jüngst auch 127 jüdischeIntellektuelle in einem in der Zeitung Le Monde vom 3. Dez. 2019 veröffentlichten Aufruf an dieAbgeordneten der französischen Nationalversammlung.36. Zugespitzt findet sich diese Begriffsverwirrung in der Verunglimpfung der von der paläs-tinensischen Zivilgesellschaft ausgehenden internationalen BDS-Bewegung als„antisemitisch“. Der Antrag bürstet dabei das Selbstverständnis der Bewegung aus zionistisch-propagandistischen Gründen mutwillig gegen den Strich. Gerade weil politischrechtsgerichtete Kräfte immer wieder Anlässe suchen, um BDS für ihre eigenen Zwecke zumissbrauchen, gilt es, das Selbstverständnis und die Aktivitäten der Bewegung „gegen jedenAntisemitismus“ wahrzunehmen und zu respektieren.4 Auch die im Antrag behaupteteBestreitung des Existenzrechts Israels ist keine Position der BDS-Bewegung, da ihreForderungen ja an den Staat Israel adressiert sind, dessen Existenz also geradezuvorausgesetzt wird. In ihren politischen Stilmitteln sieht sich die Bewegung in der Tradition der internationalenBewegung zur Überwindung des Apartheid-Systems in Südafrika und bekennt sich zurGewaltfreiheit im Sinne von Mahatma Gandhi. Alle ihre Forderungen sind durch dasVölkerrecht gedeckt und mit ihrer Erfüllung befristet. Auch den VertreterInnen der BDS-Strategie ist dabei selbstverständlich klar, dass eine schließliche Konfliktlösung nur übervorausgehende Verhandlungen erfolgen kann. Das gilt auch für die Frage des Rückkehrrechts ————————3 Die deutsche Übersetzung ist abgedruckt in https://www.sozonline.de/2019/12/antizionismus-nicht-gleich-antisemitismus/?print=true .4 Siehe http://bds-kampagne.de/2019/08/15/bds-verurteilt-antisemitische-faschistische-kraefte-in-deutschland-und-weltweit/3 von 8
der Flüchtlinge. Von der palästinensischen Seite aber zu fordern, sie soll vor Beginn vonVerhandlungen auf eine völkerrechtlich legitimierte Position verzichten, weil das de facto eine„antisemitische“ Bestreitung des Existenzrechts Israels sei, ist ein Verfahren, das offensichtlichsicherstellen soll, dass die in diesem historischen Konflikt ohnehin schwer unter die Rädergekommene, wirtschaftlich, militärisch und politisch deutlich schwächere Partei, sich amVerhandlungstisch ein weiteres Mal mit Brosamen abgespeist werden wird. Zurecht und oft unabhängig davon, ob sie selbst die BDS-Bewegung unterstützen, weisendaher viele honorige jüdische Stimmen in Israel und weltweit den Antisemitismus-Vorwurfgegen BDS als sachlich unbegründet zurück. Lesen Sie bitte dazu u.a. den von 240 diesernamhaften Persönlichkeiten anlässlich der analogen Debatte vom 17. Mai 2019 im DeutschenBundestag unterzeichneten „AUFRUF AN DIE DEUTSCHEN PARTEIEN, BDS NICHT MITANTISEMITISMUS GLEICHZUSETZEN“, https://taz.de/Bundestagsbeschluss-zu-Israel-Boykott/!5601030/ .7. Auch andere im Entschließungsantrag bezogene Positionen geben die tatsächlich von derBDS-Bewegung vertretenen Ziele sachlich unkorrekt bzw. nur unvollständig wieder. So ruftBDS etwa keineswegs zu einem undifferenzierten Boykott von „Künstlerinnen und Künstlern,Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Sportlerinnen und Sportlern“ auf. Ihre Absichtliegt ausdrücklich nicht im Boykott von Einzelpersonen, sondern von institutionellenAusprägungen der Unterdrückungspolitik Israels. Einzelne Personen sind nur insoweit Ziel desBoykotts, als sie sich in diese Politik einbinden lassen. D.h., BDS lehnt die Einladungen undAuftritte der genannten Personengruppen dann ab, wenn sie in den völkerrechtswidrigenSiedlungen auftreten oder unterrichten, oder wenn sie im Kontext einer von Israelorganisierten positiven Imagekampagne zur Ablenkung von seiner Siedlungs-, Besatzungs-und Annexionspolitik agieren. Sowohl die israelische Anti-BDS-Propaganda als auch die vonder Regierung Netanjahu forcierte positive „Brand Israel-Kampagne“ sind sehr gutdokumentiert im Buch der beiden israelischer Filmemacher Eyal Sivan / Armelle Laborie,Legitimer Protest. Plädoyer für einen kulturellen und akademischen Boycott Israels, Wien2018. Wir ersuchen Sie, dieses Buch zu lesen.8. Hinsichtlich des Warenboykotts gibt es innerhalb der BDS-Bewegung deutliche Differen-zierungen. Der Mindestkonsens besteht jedenfalls im Boykott der Waren aus den Kolonial-Siedlungen. Eine Position, die kürzlich auch der Europäische Gerichtshof bekräftigt hat. Er hatdamit in dieser Frage die völlig unhaltbare Position der israelischen Regierung dokumentiertund der österreichischen Regierung dringenden Handlungsbedarf auferlegt. Ein darüberhinausgehender Boykott von Waren aus israelischer Produktion allgemein, erscheintzumindest dann, wenn man Israel ernsthaft zu einer Änderung seiner Politik des Landraubesund zur Gleichstellung aller seiner Bürger vor dem Gesetz veranlassen will, realpolitischsinnvoll. Gerade im Kontext des EU-Israel-Assoziationsabkommens vom 1. Juni 2000 ist diesauch gut begründbar, weil Israel sich dort im Artikel 2 zur Achtung jener Menschenrechteverpflichtet hat, die es in seiner Militärherrschaft über die PalästinenserInnen ständig verletzt.5Auffallend ist hier auch das zweierlei Maß, mit dem Österreich sich in anderen Fällen an ————————–5 Die Menschenrechte werden im Art. 2 als ein „wesentliches Element dieses Abkommens“ bezeichnet. Der Art. 79 enthält auch die Möglichkeit, im Falle einer Vertragsverletzung Sanktionen zu verhängen. 4 von 8
Sanktionsregimen beteiligt, etwa gegenüber Russland als Folge der Annexion der Krim, esaber sanktionslos hinnimmt, wenn Israel mit dem Golan und Ost-Jerusalem – gegen alleEinsprüche der UN! – Territorien außerhalb sines legitimen Staatsgebietes annektiert. Undmehr noch, unser Land darüberhinaus Israel soagar mit engsten Kooperationen auf fast allenmöglichen bilateralen Ebenen belohnt.6 Der Entschließungsantrag eskaliert diesedoppelbödige Politik sogar noch einmal weiter: Unser Parlament soll sich im Interesse derfortdauernden harten Unterdrückung des palästinensischen Volkes durch Israel dazuhergeben, zivilgesellschaftliche organisierte Sanktionsmaßnahmen als antisemitisch zudiffamieren, öffentliche Debatten darüber zu unterbinden und so die gewaltfreie BDS-Bewegung insgesamt in ihrer Wirksamkeit zu unterdrücken.79. Die BDS-Bewegung wird von der rechtsnationalistischen Regierung Netanjahu seit dreiJahren mit einer im Westen gut orchestrierten und jährlich mit mindestens 30 Mio US-Dollaraus dem Staatsbudget gut dotierten Kampagne bekämpft.8 Der „Antisemitismus-Vorwurf“gegen die BDS-Kampagne hat dabei einen für Israel unschätzbaren propagandistischen Wert:Wo immer er erhoben wird, entsteht eine heftige öffentliche Debatte um die Frage, ob dieserVorwurf zurecht besteht. Und im Windschatten dieses Streits verschwindet IsraelsBesatzungspolitik, die vor keiner aufgeklärten Vernunft und keinem humanistischen Ethos zurechtfertigen ist. Der Antrag stellt sich in den Dienst dieser Propaganda.10. Insgesamt macht der Ihnen vorliegende Antrag daher den Eindruck, dass ihm keinerleieigenständig-unabhängige Beschäftigung der AntragstellerInnen mit der BDS-Bewegungzugrunde lag, sondern hier einfach die Anti-BDS-Propaganda der israelischen Regierung undder sie auch hierzulande unterstützenden prozionistischer Organisationen unkritischübernommen wurde. Wir appellieren an Sie, sich nicht in diese Kampagne einspannen zulassen.11. Der Antrag will eine Dämonisierung und Delegitimierung Israels verhindern. Er verkenntaber das Ausmaß, in dem sich Israel durch seine harte Unterdrückung des palästinensischenVolkes in den Augen einer Mehrheit der Weltbevölkerung häufig selbst dämonisiert unddelegitimiert. Man dämonisiert nichts, wenn man z.B. auf die häufige und völligeUnangemessenheit des Einsatzes militärischer Gewalt und das dadurch verursachte————————-6 Sehen Sie dazu u.a. die zahlreichen rüstungs- und militärwirtschaftlichen Kooperationen Österreichs mit Israel im Rahmen der EU-Forschungsprogramme (Horizont 2020, Horizont Europa). Angesichts des Umstandes, dass Israel sich mit einigen seiner Nachbarländer nach wie vor im Kriegszustand befindet, es völkerrechtswidrig fremde Territorien annektiert hat und seine Armee das Land seines Nachbarvolkes besetztund belagert hält, erscheinen dabei die Kooperationsvereinbarungen des neutralen Österreich – auch seines Bundesheeres – mit der Armee und der Rüstungsindustrie Israels besonders inakzeptabel. 7 Nur am Rande sei darauf hingewiesen, dass die zionistische Bewegung selbst in ihrem Kampf um einen eigenen Staat schon in ihrer Frühzeit Boykottmaßnahmen gegen die arabische Bevölkerung Palästinas propagierte und organisierte. Dies geschah etwa unter den Begriffen „Jüdische Ware“ („Tozeret Ivrit“) und „Jüdische Arbeit“ („Avoda Ivrit“). Siehe dazu Walter Hollstein, Kein Friede um Israel. Zur Sozialgeschichte des Palästina-Konflikts, Berlin 1984, S 52ff. Diese Maßnahmen wurden nach der Staatsgründung 1948 in vielfältiger Weise in die Staatspolitik übernommen.8 Siehe das oben in Pkt. 6 genannte Buch „Legitimer Protest“, Seite 29. Zusätzlich werden große Beträge von jüdischen und evangelikal-christlichen, proisraelischen Lobbygruppen aufgebracht, so etwa im Juni 2015 ca. 50 Mio. US-$ allein zur Bekämpfung von BDS an US-amerikanischen Hochschulen, siehe „Legtimer Protest“, Seite 68ff.5 von 8
Verhältnis der zivilen Opferzahlen hinweist, die in extremen Fällen bei den PalästinenserInnenum das Dutzendfache9 über jenem der jüdischen Israeli liegt. Man demonisiert nichts, wennman die völkerrechtswidrige Siedlungspolitik als kolonialistisch bezeichnet. Und mandämonisiert nichts, wenn die Folgen der Belagerung von Gaza als schweren Verstoß gegendas humanitäre Menschenrecht kritisiert. Genauso wenig wie bei einem anderen Staat, machtes bei der Beurteilung Israels Sinn, von einem Abstraktum zu reden. Form und Inhalt gehörenzusammen. Es ist Israels eigene Politik, die den Staat legitimiert oder delegitimiert. Nur auf derBasis des Völkerrechts und/oder grundlegender Menschenrechte wird es zwischen Mittelmeerund Jordan ein friedliches Zusammenleben von JüdInnen und PalästinenserInnen geben. Miteiner darwinistisch-machiavellistischen Politik, die alternativlos darauf setzt, das nach dem 2.Weltkrieg errungene internationale Recht durch einen Rückfall in das Recht des Stärkeren zuersetzen, wie es auch Israels Premier Benyamin Netanjahu unter dem Schutz dergleichgesinnten US-Administration Trump propagiert10, wird es letztlich scheitern. Es machtfassungslos, sich vorzustellen, unser Parlament könnte Netanjahu und Trump auf diesem fürIsrael längerfristig selbstzerstörerischen Weg per Annahme des EntschließungsantragesHandlangerdienste leisten.12. Wir wollen eine Politik der Reduktion von Gewalt und der friedlichen Lösung vonKonflikten. Gerade in unserer geopolitischen Nachbarschaft des westasiatisch-nordafrikanischen Raumes ist das auch eine Frage unserer langfristigen eigenen Sicherheit.Die Schlüssel zur Lösung des mehr als 100 Jahre alten Konflikts zwischen Juden und Arabernum das historische Palästina liegen in der Menschenrechtscharta, die jeden ethnozentrischenÜberlegenheitsdünkel zurückweist und gleiche Rechte für alle vorsieht, sowie im Völkerrecht.Im Völkerrecht des 21. Jahrhunderts darf es keinen Platz für Kolonialismus geben. Wirersuchen Sie, in diesem Sinn auf das Parlament und die Regierung in Israel einzuwirken.13. Mit der BDS-Bewegung hat ein wesentlicher Teil der palästinensischen Gesellschaftdeutlich gemacht, dass er eine Lösung unter Verzicht auf Gewalt will. Sich in dieser Situationbewusst oder unbewusst in den Dienst der israelischen Propaganda zu stellen und diepalästinensische Position bei kommenden Verhandlungen dadurch zu schwächen, dass manihr im Interesse ethno-nationalistischer Herrschaftsansprüche das gewaltfreie Instrument BDSaus der Hand schlägt, halten wir für einen schweren realpolitischen Fehler. Wer ihn begeht,sollte ehrlichweise auch sagen, dass er/sie bereit ist, die zigtausendfache alltäglicheDemütigung der PalästinenserInnen durch die israelische Besatzung weiter hinzunehmen unddann auch bereit zu sein, das Weiterdrehen der Spirale von Gewalt und Gegengewalt und diedadurch auf beiden Seiten entstehenden Opfer mit zu verantworten.14. Gewiss, nicht jede Kritik an der Politik Israels ist in motivatorischer Hinsicht frei von An-tisemitismus. Aber antisemitische Stereotype fallen auch nicht einfach vom Himmel. Sozialgenerierte Überforderungen und existenzielle Verunsicherungen vieler Menschen, das—————————-9 Und in Einzelfällen wie etwa beim Gaza-Krieg 2008/2009 gar um den Faktor 100!10 Es sei eine „einfache Wahrheit“ der Geschichte, dass es „in ihr keinen Platz für die Schwachen gibt. Die Schwachen werden zerbröckeln, werden niedergemacht und aus der Geschichte gelöscht, während die Starken überleben und respektiert werden.“, zitiert nach dem engl. Originalzitat in Rainer Mausfeld, Warum schweigen die Lämmer? Wie Elitendemokratie und Neoliberalismus unsere Gesellschaft und Lebensgrundlagen zerstören, Frankfurt/Main, 2. Auflage 2019, Seite 218, FN 8. 6 von 8
faschistoide Bedürfnis nach identitärer Reinheit und Volksgemeinschaft, dersozialpsychologisch vermittelte Zwang, die eigenen Ängste und Probleme auf eineSündenbock-Gruppe projizieren zu können und andere Mechanismen spielen hier zweifelloseine große Rolle. Einem guten Teil dieser gefährlichen Phänomene könnte durch einenPolitikwechsel, weg von der Politik der neoliberalen Globalisierung, wirksam begegnet werden.Diese notwendige Umsteuerung liegt wesentlich in der Verantwortung auch desösterreichischen Parlaments. Während diese, auf die Tiefenstruktur der Gesellschaft zielende,notwendige Neuorientierung der Politik aber unterbleibt, geben maßgebliche politische Kräfteder Versuchung nach, Problemlösungen verstärkt in oberflächlichen Symptombehandlungenzu suchen. Der vorliegende Antrag ist ein Instrument dieser kurzsichtigen Politik.15. Auffallend beim vorliegenden Entschließungsantrag ist auch, dass er überhaupt nicht inErwägung zieht, es könnte zwischen dem Siedlerkolonialismus und der BesatzungspolitikIsraels einerseits und dem Wiedererwachen antisemitischer Tendenzen allgemein und spezielldem sogenannten „israelbezogenen Antisemitismus“ andererseits, einen – freilich oftvertrackten – kausalen Zusammenhang geben und es könnte das eine durch das anderebefördert werden.11 Anstatt (auch) darauf zu fokussieren, wird der Zusammenhang einfachumgedreht. Nach dem Kopf-in-den-Sand-Modell, demnach „nicht sein kann, was nicht seindarf“, basiert der Antrag auf dem Dogma, antisemitische Erscheinungen hier können mit dieserPolitik dort gar nichts zu tun haben. Diese fast völlige analytische Abtrennung des Phänomensdes Antisemitismus von der systematisch menschenrechts- und völkerrechtswidrigenPalästina-Politik Israels entwertet den Antrag in seiner realpolitischen Wirksamkeit. In derVerweigerung zuzugeben, dass Israels ethno-nationalistische Politik im Gemüt wenigreflektierter Menschen ursächlich an der Entstehung und Verbreitung antisemitischerStereotype beteiligt sein könnte und leider oft auch ist, wird das vorgegebene Zielkonterkariert. Der Kampf gegen Antisemitismus wird damit zur Tünche über den mangelndenWillen, ihn auch zu gewinnen.16. In den konkreten Maßnahmen zielt der Antrag darauf, Initiativen, Organisationen undVereinen, die die Palästina-Politik Israels mit kritischer Öffentlichkeitsarbeit begleiten, dieFörderwürdigkeit abzusprechen und ihnen die Benützung öffentlicher Räume zu untersagen.Wir verweisen Sie darauf, dass Sie damit die Grenze der Verpflichtung zur Wahrung derMeinungsfreiheit überschreiten. Als VolksvertreterInnen sind Sie auf unsere „schöneBundesverfassung“ (copyright Bundespräsident Alexander Van der Bellen), d.h. auch auf denArt. 13 StGG und auf den in die Bundesverfassung übernommenen Art. 10 EMRK vereidigt. Esobliegt Ihnen daher ausdrücklich nicht, die Meinungsfreiheit der von Ihnen Vertreteneneinzuschränken, sondern sie zu wahren. In Deutschland gibt es erste Gerichtsurteile, dieVerbote von Benützungen öffentlicher Räume, die auf Basis von Beschlüssen, wie jenem, derIhnen vorliegt, als grundrechtswidrig erklärt haben.12 Wir hoffen sehr, dass sich unserelegislativen und exekutiven Organe durch eine kluge, vorausschauende Politik derleiZurechtweisungen durch unsere Judikative ersparen.————————-11 Dies gilt natürlich auch im Falle seines Auftretens bei bestimmten Gruppen von MigrantInnen, die von einer (noch) starken emotionalen Bindung an ihre arabische oder islamische Herkunft geprägt sind.12 Sehen sie etwa https://www.sueddeutsche.de/muenchen/stadt-unterliegt-in-rechtsstreit-umstrittene-filmvorfuehrung-1.43699287 von 8
17. Vor 25 Jahren veröffentlichte Samuel Huntington seine These vom „Zusammenstoß derKulturen“. Vieles von dem, was sich seither geopolitisch ereignet hat, scheint ihm Recht zugeben. Die unter Führung der USA von den Staatskanzleien und Parlamenten des Westensbetriebene Politik der harten Konfrontation mit der arabisch-islamischen Welt hat daranwesentlichen Anteil.Die Palästina-Frage ist dabei ein neuralgischer Punkt. Die bedingungslose Unterstützung des Westens für Israels Besatzungspolitik wird in breiten Schichten der Bevölkerung des arabischen und darüber hinaus des islamischen Raumes als fortwährende Demütigung empfunden. Solange die europäischen Politiken es dabei belassen, in mutlos-litaneihaft vorgetragenen Erklärungen an der Zweistaatenlösung festzuhalten, sie aber de facto in einer komplizenhaften Realpolitik hinnehmen, wie die Politik Israels demgegenüber einen eigenen lebensfähigen palästinensischen Staat durch konsequent und permanent gesetzten Fakten seiner Annexions-, Besatzungs- und Siedlungspolitik verunmöglicht, tragen wir in vorsätzlicher oder fahrlässiger, jedenfalls aber von uns zu verantwortenden Weise zur Verschärfung dieses Kampfes bei.Zusammenfassend: Der Ihnen vorliegende Antrag ist geprägt durch einen Mangel anhistorischer Weisheit und friedenspolitischer Vernunft. Im gegebenen Kontext ist ergeeignet, Huntingtons These eine weitere, scheinbar sachzwanghafte Bestätigung zuliefern und Antisemitismus zu fördern. In aller Regel reagieren nämlich Menschen aufunangemessene Tabuisierungen mit einem inneren Groll, der geeignet ist, vernünftigeDifferenzierungen zu überlagern oder völlig zu verdrängen. Wir wünschen Ihnen dieWeisheit, dieser unreflektierten Wutbürgerei mit der ihr innewohnenden Tendenz zutatsächlich antisemitischen Haltungen keinen Vorschub zu leisten und in Wahrung desMenschenrechts auf Meinungsfreiheit den öffentlichen Raum für diese notwendigenDebatten zur Lösung der Palästina-Frage offen zu halten.Aus all den genannten Gründen ersuchen wir Sie dringend, dem Antrag dieZustimmung zu versagen.Für die Plattform Palästina Solidarität Österreich,Franz Sölkner, Thal bei Graz Dr. Angela Waldegg, Wien—————Kontaktdaten:Franz SölknerAm Lindenhof 78051 ThalTel.: 0677 61 39 29 90Email: palsolioe@listen.jpberlin.dePS.: Im Falle Ihrer mehrheitlichen Zustimmung zum gegenständlichen Entschließungsantragersuchen wir um eine ausführliche inhaltliche Beantwortung unserer Punktation.8 von 8
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