Hisbollah-Verbot in Deutschland. Warum jetzt?

Drei Beiträge hinterfragen die Motive der dt. Bundesregierung und die Sinnhaftigkeit des Betätigungsverbots für Hisbollah-Nahestehende:

1. Verkannte Realitäten, von Karin Leukefeld in der jungenwelt vom 4.5.20

2.Vorauseilender Gehorsam, von Werner Ruf, jungewelt vom 4.5.20

3.Die Hisbollah auf der EU-Terrorliste? Was bedeutet das? von Lukas Wank, shabka vom 9.5.2020, Stephan Reiner, Constantin Wagner

 

1.
Aus: Ausgabe vom 04.05.2020, Seite 7 / Ausland
Willkürakt

Verkannte Realitäten

Bundesregierung erklärt Betätigungsverbot für Hisbollah-Nahestehende. Iran wirft Berlin Respektlosigkeit gegenüber libanesischer Regierung vor
Von Karin Leukefeld
Christoph Soeder/dpa
»Deutsche Staatsräson«: Betätigungsverbot für Hisbollah hier in der Berliner Al-Irschad-Moschee durchgesetzt (30.4.2020)

»Hunderte Polizisten seit sechs Uhr im Antiterroreinsatz« titelte die Bild-Zeitung am vergangenen Donnerstag. »Seehofer verbietet Terrororganisation Hisbollah!« Weil die Bundesregierung eine ausländische Organisation, die keine Strukturen in Deutschland hat, jedoch nicht verbieten kann, sprach das Innenministerium ein »Betätigungsverbot« für diejenigen aus, die der Hisbollah hierzulande nahestehen sollen. Moscheen und Vereinsräume sowie Privatwohnungen wurden durchsucht. Vorhandenes Vermögen sei beschlagnahmt und zugunsten des Bundes eingezogen worden.

Die Hisbollah stelle das Existenzrecht Israels in Frage und rufe offen zu dessen gewaltsamer Vernichtung auf, sagte Innenminister Horst Seehofer. Das Verbot der Hisbollah gehöre »zu unserer historischen Verantwortung (…) Das ist deutsche Staatsräson.«

Die eigentliche Verfügung war bereits am 26. März von seinem Ministerium unterzeichnet worden. Vorausgegangen war ein Beschluss des Deutschen Bundestages vom 19. Dezember 2019, mit dem die Bundesregierung zu einem »wirksamen Vorgehen gegen die Hisbollah« (BT-Drucksache 19/16046) aufgefordert worden war. Der gleichnamige Antrag war von der CDU/CSU, SPD und FDP vorgelegt und befürwortet worden. AfD, Grüne und die Linkspartei enthielten sich.

Das Verbot wurde von US-Außenminister Michael Pompeo ausdrücklich begrüßt. Andere EU-Staaten sollten dem deutschen Beispiel folgen. Zustimmung kam auch aus Israel, und Saudi-Arabien gratulierte ebenso wie der Zentralrat der Juden in Deutschland. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) kündigte bereits an: »Das wird auch nicht die letzte Aktion gewesen sein.«

Kritik an dem Verbot kam dagegen aus Syrien, Irak, Iran und Jemen. Abbas Musawi, Sprecher des iranischen Außenministeriums, erklärte, die Entscheidung der Bundesregierung sei respektlos gegenüber der Regierung und der Bevölkerung im Libanon. »Die Hisbollah ist offizieller legitimer Teil der libanesischen Regierung und des Parlaments«, so Musawi. Sie habe »das Land stabilisiert und immer die Libanesen und die Völker der Region unterstützt«. Einige europäische Länder berücksichtigten nicht die Realitäten in der Region Westasien, so Musawi weiter. Hisbollah sei eine starke Kraft im Kampf gegen die Terrororganisation des IS.

Wie richtig das ist, wie bestimmt und in ihrem politischen Kurs entschlossen, und wie verantwortungsbewusst und zuverlässig die Hisbollah ist, weiß die Bundesregierung nur zu genau. Mehr als einmal vermittelte der Bundesnachrichtendienst (BND) in den vergangenen Jahren zwischen Israel und der Hisbollah und wurde dafür in höchsten Tönen gelobt. Mit Hilfe der Hisbollah wiederum konnte der BND mit der palästinensischen Hamas verhandeln, der Wunsch des BND, mit dem syrischen Geheimdienstchef Ali Mamluk über deutsche Dschihadisten in Syrien zu sprechen, wurde von der Hisbollah vermittelt.

Die Hisbollah entstand offiziell 1985 und war die Antwort auf den brutalen israelischen Einmarsch in den Libanon 1982 und die darauffolgende Besatzung des Südlibanon. Die Organisation wurde und wird vom Iran unterstützt und zeichnet sich durch hohe Disziplin und militärische Entschlossenheit aus. Mit dem Iran, Irak und Syrien bildet die Hisbollah heute die »Achse des Widerstandes« gegen das politische Modell von USA, Großbritannien, EU und Israel, die Region Westasien – in Europa auch als Naher oder Mittlerer Osten bekannt – unter westliche Kontrolle zu bringen.

Die Region ist seit der gewaltsamen Gründung des Staates Israel 1948 zerteilt, die ursprüngliche palästinensische Bevölkerung wurde vertrieben. Deren Nachkommen leben als Staatenlose oder Flüchtlinge in der Region verteilt. Die Besatzungspolitik Israels nehmen viele in der Region als Bedrohung wahr, daher genießt das entschlossene und militärisch starke Auftreten der Hisbollah weit über die muslimisch-schiitische Bevölkerung im Libanon hinaus große Anerkennung.

Hisbollahführer Hassan Nasrallah ging in seiner Freitagsrede nicht auf das Betätigungsverbot in Deutschland ein. Er gratulierte im libanesischen Sender Al Manar den Arbeitern und Werktätigen, Männern und Frauen in aller Welt zum Tag der Arbeit. Eine politische Analyse Nasrallahs wird für den heutigen Montag abend erwartet.

2.

https://www.jungewelt.de/loginFailed.php?ref=/artikel/377598.vorauseilender-gehorsam.html
04.05.2020 / Ansichten / Seite 8 Zum Inhalt dieser Ausgabe
Vorauseilender Gehorsam
Innenminister verbietet Hisbollah. Gastkommentar
Werner Ruf

Am 30. April verhängte Innenminister Horst Seehofer ein »Betätigungsverbot« gegen die (schiitische) libanesische Hisbollah (Partei Gottes) in Deutschland. Vier Moscheen und einige Vereinsräume wurden durchsucht. Was das »Betätigungsverbot« genau ist, lässt sich nicht präzise sagen: Es bezieht wohl auf das Zeigen von Flaggen, Symbolen und Kennzeichen oder sonstige Unterstützung. Die Hisbollah wird vom Verfassungsschutz als terroristische Vereinigung eingestuft. Als Partei war sie allerdings in Deutschland nicht aktiv.

Die Hisbollah ist eine politische Partei, die im Libanon, dessen politisches System auf den elf Religionsgemeinschaften des Landes basiert, die schiitische (offiziell viertgrößte, wahrscheinlich aber stärkste) Community vertritt. Sie ist seit Jahren an der Regierung beteiligt, zu der die Bundesrepublik normale diplomatische Beziehungen unterhält.

Die Hisbollah fand erstmals große internationale Beachtung im Sommer 2006 während des sogenannten Israel-Hisbollah-Krieges. Nach Zwischenfällen an der gemeinsamen Grenze bombardierte Israel Ziele in Libanon, vor allem die Hauptstadt Beirut, zerstörte wichtige Teile der Infrastruktur und begann eine Bodenoffensive im Süden des Landes. Der militärische Widerstand der Hisbollah führte schließlich zum Rückzug Israels. Die Hisbollah – und der Rest der arabischen Welt – feierten dies als ersten arabischen Sieg über die israelische Armee.

Seit Beginn des Krieges in Syrien unterstützt die Hisbollah auch militärisch und mit Hilfe des Iran den syrischen Staatspräsidenten Baschar Al-Assad. Die Organisation gilt als Pfeiler jenes »schiitischen Halbmonds«, der sich westlichen Konfliktszenarien von Iran bis ans Mittelmeer zieht und von Israel zur Existenzbedrohung hochstilisiert wird. Dass Israel dagegen die Fatah-Al-Scham-Front und andere, teils mit dem Islamischen Staat zusammenarbeitende Terrorbanden in der Region unterstützt, kommt nicht ins Visier dieses seltsamen Antiterrorkampfes.

Warum also dieses Verbot der Betätigung von Privatpersonen und Vereinen, die wohl der schiitischen Community in Libanon entstammen, zu einem Zeitpunkt, an dem Israel völkerrechtswidrig fast täglich Ziele in Syrien bombardiert? Eine Bedrohung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ging von diesen – noch zu beweisenden – Unterstützungshandlungen und Sympathiewerbungen für eine legale libanesische Partei wohl kaum aus. So sind sie zu verstehen als Sig­nal vorauseilender Unterstützung der israelischen Politik in Zeiten, in denen die Annexion weiter Teile Palästinas unmittelbar bevorsteht. Der heftige Applaus für die Entscheidung aus Israel und Washington lässt keinen anderen Schluss zu. Ein gelungener Beitrag zur Festigung des Feindbildes Islam hierzulande ist dieses wohl weitgehend symbolische »Betätigungsverbot« allemal.

Werner Ruf ist emeritierter Professor für Internationale Politik an der Universität Kassel

3.

https://shabka.org/blog/2020/03/09/eu-hisbollah-terrorliste/

Die Hisbollah auf der EU-Terrorliste? Was bedeutet das?

Sollte die EU auch den politischen Arm der Hisbollah auf ihre Terrorliste setzen, welche lokale, regionale oder globale Auswirkungen wären zu erwarten?

Die schiitisch libanesische Hisbollah wird in der Beurteilung der Europäischen Union seit 2013 in einen politischen und einen militärischen Arm geteilt. Diese Trennung ermöglichte es, den militärische Arm auf die EU Terrorismusliste zu setzen und gleichzeitig mit allen Institutionen und politischen Parteien im Libanon zusammenarbeiten zu können. Die USA, Kanada, die Niederlande sowie Großbritannien haben die Hisbollah in ihrer Gesamtheit auf ihre nationalen Terrorlisten gesetzt. In Österreich gibt es zurzeit eine Diskussion über ähnliche Schritte. In dieser Ausgabe von inform and debate stellen sich drei Autoren der Frage, welche lokale, regionale oder globale Auswirkungen zu erwarten wären, sollte die EU die Hisbollah in ihrer Gesamtheit auf die EU-Terrorismusliste setzen.

Lukas Wank_Shabka_Libanon_inform and debate

Lukas Wank | Shabka | Libanon

Stephan Reiner | Nahostexperte am Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement der Landesverteidigungsakademie

Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union haben unterschiedliche Zugänge zur libanesischen Hisbollah. Brüssel versuchte daher auch seit langem eine einheitliche Unionslinie zu finden. Letzte Aussagen dazu tätigte 2013 die damalige Außenbeauftragte Catherine Ashton. Ihre Position drückte vor allem die Sorge um die Stabilität des Libanons aus. Ashton machte einen Unterschied zwischen einem militärischen und einem politischen Arm der „Partei Gottes“. Ihre Bedenken waren, dass ein Gesamtverbot der Hisbollah eine negative Dynamik in der libanesischen Innenpolitik mit ebenso regionalpolitischen Außenwirkungen nach sich ziehen könnte, weil der politische Teil der Hisbollah im libanesischen Parlament vertreten war und immer noch ist. Dieser Argumentation folgten nicht alle Mitgliedsstaaten. Von mehreren Anschlägen und Anschlagsversuchen in Europa in den Jahren davor leiteten sowohl das Vereinigte Königreich als auch die Niederlande eine restriktivere Politik ab. In beiden Staaten ist die Hisbollah insgesamt verboten.

2016 entschieden sich auch die USA, Kanada, die Mitgliedsstaaten des Golfkooperationsrates, sowie die überwiegende Mehrheit der Außenminister der Arabischen Liga zu einem totalen Verbot der Hisbollah. Für die Arabische Liga diente es vor allem als Signal an die Islamische Republik Iran, allerdings enthielten sich der libanesische und der irakische Außenminister der Stimme.  Innerarabisch wird Hisbollah mit ihrer klaren ideologischen – iranischen Prägung durchaus eine regionalpolitische Bedeutung zugemessen. Tatsächlich ist in den aktuellen sunnitisch – schiitischen Brüchen (beispielsweise im Syrienkonflikt, im Jemenkonflikt und in der Golfregion) Hisbollah eine nicht zu unterschätzende Größe, insbesondere, weil sie als libanesische Parlamentspartei die dortige Innenpolitik maßgeblich mitbestimmen kann. Dies gilt es auch aus europäischer Sicht zu bedenken.

Der Südlibanon ist das Kernland der Hisbollah und hat eine direkte Grenze zu Israel. Mitgliedsstaaten der EU engagieren sich dort seit Jahrzehnten bei der militärischen Friedensmission UNIFIL. Neben der Überwachung des Waffenstillstandes zwischen dem Libanon und Israel hat diese Mission auch die Unterbindung des Waffenschmuggels zum militärischen Teil der Hisbollah zum Ziel.

Ein Verbot der gesamten Partei hätte daher auch Auswirkungen auf die Sicherheitslage der UNIFIL – Mission im Südlibanon. Ebenso würde sich ein Gesamtverbot der Partei negativ auf das Verhältnis zwischen der Europäischen Union und der Islamischen Republik Iran auswirken. Der Umgang mit Hisbollah ist letztendlich immer auch ein Signal an Teheran. Daher ist auch das Argument Ashtons weiterhin gültig. Ein instabiler Libanon ist aufgrund der vorherrschenden regionalen politischen und geopolitischen Gemengelage und den damit verbundenen konkreten Auswirkungen aus europäischer Sicht nicht wünschenswert.

Eine politische Entscheidung zum Verbot sollte daher an eine in sich konsistente Nahmittelost-Politik der EU und ihrer Mitgliedsstaaten gekoppelt sein.

Lukas Wank | Gründer und Co-Direktor von Shabka

Die libanesische Hisbollah besteht, vereinfacht dargestellt, aus einem militärischen und einem politischen Arm. Von einigen Staaten wird ihr militärischer Flügel als Terrororganisation eingestuft. Einige wenige – darunter die USA, Großbritannien und auch Deutschland – stufen die gesamte Organisation inklusive politischem Arm so ein. Die Debatte darüber, welche Teile der 1985 im libanesischen Bürgerkrieg gegründeten Organisation, als Terrororganisation einzustufen sind, ist jedenfalls kontrovers und wird selbst im Libanon unterschiedlichst gesehen. Vor dem Hintergrund der hochkomplexen politischen Gemengelage im Land, der verzweigten Organisarionsstruktur und den Verbindungen der Organisation in die Politik ist das nicht verwunderlich. Diese Undurchsichtigkeit ist mitunter auch ein Grund, warum viele Staaten keine Unterscheidung mehr zwischen politischem und militärischem Arm machen.

Daneben ist aber auch die Außendimension von hoher Relevanz. Nachdem die Organisation in allen Bereichen sicherheitspolitisch eng mit Iran verbunden ist, hängt auch die Debatte über Hisbollah in gewissem Maß an der Dynamik Teherans. Und diese kommt in Wellen: Engagement im Syrienkonflikt an der Seite der Regierungstruppen, Eskalationsspitzen zwischen Iran und USA bzw. Saudi-Arabien aber auch die Rolle, Interessen und Bedrohungslage Israels sind dabei im Mix der Abwägungen und beeinflussen die Debatte. Je mehr einer dieser Faktoren in den roten Bereich wandert, desto relevanter wird demnach die Hisbollah als Einflussfaktor, um die regionale Balance zu halten, was durchaus oft vorkommt. In diesem Sinn wird die Hisbollah vielfach als ein Bargaining Chip in der strategischen Großwetterlage wahrgenommen. Grundsätzlich setzen Staaten die Organisation daher selten aus ideologischen Gründen auf die Terrorliste (auch wenn es oft so dargestellt wird), sondern aus strategischem Kalkül wie etwa einer Vertiefung der Beziehungen mit den USA, als Druckmittel in Atomverhandlungen mit dem Iran oder etwa einer ökonomischem Annäherungen an die Golfstaaten.

Die Entscheidung, die Hisbollah als eine terroristische Organisation einzustufen, ist demnach üblicherweise eine strategische und von einer Haltung geprägt, die außenpolitische Interessen unterstützen. Ist ein Interesse, dass sich in einer klaren strategischen Entscheidung ausdrückt, nicht gegeben, sind es jedoch nicht selten Partikularinteressen (von einer Partei,  Interessensvertretungen, gesellschaftlichen Fraktionen, etc.) die im Vordergrund stehen. Ist das der Fall, muss man sich als Staat jedoch zumindest die Frage stellen, welche Grundhaltung und Werte der Entscheidung eine umstrittene, aber immerhin gewählte Partei als Terrororganisation einzustufen, zugrunde legt. In jedem Fall ist das mit Blick auf die Hisbollah relevant – zumal der Libanon am Rande von regionalen Konflikten und des eigenen wirtschaftlichen Zusammenbruchs gerade jetzt offene Gesprächskanäle braucht. Zudem ist das Signal, dass man in die Region sendet, indem man demokratisch gewählten Parteien und Regierungen deren Legitimität abspricht, problematisch.

Was es anstatt dessen bräuche, sind Verhandlungs- und Meditationinitiativen, um regionale Spannungen zu lösen. Mit Ressourcen bewehrte humanitäre und entwicklungspolitische Instrumente und Maßnahmen, um militanten Akteuren vor Ort die Mobilisierungsbasis zu entziehen, wäre eine andere Handlungsoption. Gangbar wäre auch eine außenpolitische Annäherung an die Region, die politische – v.a. demokratisch gewählte – Akteure in die Pflicht nimmt, ihre Verantwortung wahrzunehmen. Jede einzelne dieser Herangehensweisen währe im Falle der Hisbollah ein möglicher, realistischer und umsetzbarer Course of Action.

Gerade für Österreich, mit diplomatischer Restreputation in Nahost (langjährige Peacekeeping-Erfahrung, Wien als Verhandlungsort des Atomabkommens mit dem.Iran, etc.) und als verantwortungsvoller internationaler Akteur (derzeit als Mitglied im UN-Menschenrechtsrat, Wien als Sitz internationaler Organisationen, mit einer lebhaften und international erfahrenen zivilgesellschaftlichen Szene, etc.) wäre das die strategisch klügste aller Entscheidungen.

Constantin Lager | Projektkoordination Syrian Futures Projekt bei Shabka

Politische Legitimität ist eines der zentralen Hindernisse, um mit Gruppierungen, die als terroristisch gelten, offizielle Gespräche führen zu können. Organisationen, die zum Erreichen ihrer Ziele illegitime Mittel einsetzen, sollen durch das Label Terrorismus delegitimiert werden. Im Spannungsfeld zwischen politischer Legitimität und Delegitimation als Terrororganisation findet die neuerliche Bewertung des politischen Arms der Hisbollah statt.

Die Geschichte der letzten Jahrzehnte bietet uns jedoch zahlreiche Beispiele, in denen es terroristischen Organisationen gelang, politische Legitimität zu erlangen. So galt die palästinensische PLO einst als Terrororganisation genauso wie der Irgun, eine der Vorläuferorganisationen des israelischen Likuds.

Die neuere Konfliktforschung legt nahe, dass die Aufnahme von Gesprächen und die damit einhergehende politische Legitimierung von Terrororganisationen zu einer Reduktion von politischer Gewalt führen kann. Drei Gründe können dafür angeführt werden: A) Politische Legitimität von Terrororganisationen können gewissen Triebkräften – wie etwa dem Gefühl sozialer- und politischer Exklusion – entgegenwirken, indem sie gesellschaftspolitische Teilhabe versprechen. B) Moderate Kräfte innerhalb der Organisation können gegenüber den Hardlinern gestärkt werden. C) Politische Legitimität kann zur Wahl gewaltfreier strategischer Mittel beitragen.

Die Geschichte der IRA und ihrer politischen Partei Sinn Fein steht hierfür exemplarisch. Das Erlangen politischer Legitimität trug zum erfolgreichen Friedensprozess der späten 1980er und frühen 1990er Jahre bei.  Auch wenn das Erreichen politischer Legitimität nicht notwendigerweise in Friedensverträge mündet, wie im Fall Nordirlands, ist tendenziell eine Reduktion von physischer Gewalt zu beobachten.

Im Umkehrschluss kann jedoch argumentiert werden, dass die Verweigerung der Gesprächsaufnahme zu einer weiteren Radikalisierung der ohnehin bereits extremistischen Gruppen führen kann. Die Verweigerungshaltung  würde das Narrativ der sozial Ausgestoßenen und politisch Ohnmächtigen weiter bedienen und politische Gewalt als einzig brauchbares Mittel erscheinen lassen.

Für die Beantwortung der eingangs gestellten Frage ist dies von großer Bedeutung. Eine defacto Gesprächsverweigerung mit der Hisbollah auf internationaler Ebene könnte somit zu einer Gewaltsteigerung und weiteren Radikalisierung führen. Da die schiitisch islamistische Gruppierung nicht nur eine lokal agierende, sondern eine regionale ist, könnte dies auf die Stabilität des Libanons sowie der Region negative Auswirkungen haben.

Eine Beurteilung der Hisbollah mit den entsprechenden politischen Implikationen sollte daher nicht aufgrund emotionaler Argumentationen sondern aufgrund einer kritisch- realistischen Auseinandersetzung stattfinden. Dies würde auch der Komplexität der Internationalen Beziehungen Rechnung tragen.

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