Gespräch mit Daoud al Ghoul, 1.10. GRAZ

Daoud al Ghoul lebt in Silwan, einem Stadtteil von Ost-Jerusalem.  Er ist Politologe, Reiseführer und beteilig sich führend an den politisch-sozialen Organisationen in Silwan. Er wurde aus Jerusalem deportiert und von den Besatzern verhaftet und bedroht.

Freitag, 1. Okt., 19:00, Gasthaus Lendplatzl, Lendplatz 11, Graz

Illegal zu Hause:
Die Geschichte von Daoud al-Ghoul

Ohne Beweise und unter dem willkürlichen Vorwurf, eine Bedrohung für die Stadt zu sein, wird ein in Jerusalem lebender Palästinenser aus seinem lebenslangen Zuhause ausgewiesen.

Am Sonntag, 30. November wurde al-Ghoul auf die Polizeiwache in der Altstadt von Jerusalem gerufen. Der Grund, wie er erfahren sollte, war, ihn für sechs Monate aus der Stadt zu verweisen. Auf der Grundlage einer geheimen Akte, die besagte, dass er eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellte, wurde ihm mitgeteilt, dass er sich plötzlich illegal in der Stadt aufhielt, die er sein ganzes Leben lang sein Zuhause genannt hatte. Wenige Tage später wurde al-Ghoul aufgrund ähnlich undurchsichtiger Beweise aus dem West-Jordanland verbannt…

Auszug aus einem Artikel in Middle East Eye vom 24. Juli 2015 über unseren Referenten

Die Ereignisse im Frühjahr 2021

Im Frühjahr 2021 kam es erneut zu tatsächlichen und drohenden Vertrei­bungen von arabischen Bewohnerinnen und Bewohnern aus verschiede­nen Vierteln Jerusalems (Sheikh Jarrah, Silwan,…). Hinzu kamen  während des Ramadan Provokationen der israelischen Polizei am Zugang zum Ha­ram asch Sharif. Dagegen setzten sich palästinensische Jugendliche Mit­teln entschieden  zur Wehr und tun es noch immer. In der Folge kam es, unterstützt von der Polizei, zu antiarabischen Pogromen durch faschisti­sche Siedler – nicht nur in Jerusalem. Die israelische Polizei rückte mit Hartgummi-Geschossen und Tränengas in den Bereich der beiden großen Moscheen vor. Ein Ultimatum zur Einstellung der Gewalt und Rückzug der Polizei ließ Israel unbeantwortet. Die daraufhin von Gaza aus auf Israel abgeschossenen Raketen  wurden fast alle vom israelischen Raketenabwehrsystem „Iron Dome“ abgefangen. Israel antwortete mit ei­nem wochenlangen massiven Bombardement auf dicht besiedelte Wohn­bereiche in Gaza. Wie schon bei den früheren Angriffen auf Gaza war die Opferbilanz vor allem für die Palästinenserinnen verheerend. Auf israeli­scher Seite gab es insgesamt 11 Tote und 355 Verwundete. In Gaza 248 Tote (davon 66 Kinder) und über 1000 Verwundete. Hinzu kamen 28 Tote und ca. 1.500 verwundete AraberInnen in Ostjerusalem und der Westbank.

Die Berichterstattung unserer Massenmedien

Wie häufig wenn es um diesen 120 Jahre alten Kolonialkonflikt geht, haben die meisten europäischen Medien in israelfreundlicher Weise berichtet. Die tieferliegenden Hintergründe der Ereignisse wurden verschwiegen: Israels fortgesetzte Apartheid, sein Siedler-Kolonialismus und die von unzähligen Menschenrechtsverletzungen und permanenten Demütigungen des palästinensischen Volkes begleitete harte Militärbesatzung. Stattdessen  griff man ganz im Sinne Israels wieder einmal zu bewährten Opfer-Täter-Umkehr.

Daoud al Ghoul lebt in Silwan, ist Politologe, Reiseführer und beteiligt sich führend an den politisch-sozialen Organisationen in Silwan. Er wurde aus Jerusalem deportiert und von den Besatzern verhaftet sowie bedroht.

Israels Politik der Enteignung und Vertreibung

Textfeld: Illegal zu Hause: Die Geschichte von Daoud al-Ghoul Ohne Beweise und unter dem willkürlichen Vorwurf, eine Bedrohung für die Stadt zu sein, wird ein in Jerusalem lebender Palästinenser aus seinem lebenslangen Zuhause ausgewiesen. Am Sonntag, 30. November wurde al-Ghoul auf die Polizeiwache in der Altstadt von Jerusalem gerufen. Der Grund, wie er erfahren sollte, war, ihn für sechs Monate aus der Stadt zu verweisen. Auf der Grundlage einer geheimen Akte, die besagte, dass er eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellte, wurde ihm mitgeteilt, dass er sich plötzlich illegal in der Stadt aufhielt, die er sein ganzes Leben lang sein Zuhause genannt hatte. Wenige Tage später wurde al-Ghoul aufgrund ähnlich undurchsichtiger Beweise aus dem West-Jordanland verbannt Auszug aus einem Artikel in Middle East Eye vom 24. Juli 2015 über unseren Referenten „Es geht nicht um einen jüdischen Staat in Palästina, sondern um Palästina als jüdischen Staat!“

Dieses Zitat von Staatsgründer David Ben Gurion stammt aus der Zeit vor der Staatsgründung. Präzise charakterisiert es den Kern zionistischer Politik: Es geht um ein „Groß-Israel“ zwischen Mittelmeer und Jordan mit absoluter, ethno-nationalistisch-jüdischer Dominanz. Die indigene arabisch-palästinensische Bevölkerung sollte darin nur als kleine, politisch rechtlose Minderheit Platz haben. Nach der massenhaften Vertreibung und Flucht von insgesamt 1 Mio. arabischer BewohnerInnen in den beiden Kriegen 1948/49 („Nakba“ = Katastrophe) und 1967 schien das Problem im Interesse des zionistischen Staatsideologie vorübergehend entschärft. Der Oslo-Friedensprozess und sein Scheitern an der ununterbrochen vorangetriebenen Siedlungspolitik verdeutlichten den Unwillen Israels einen lebensfähigen palästinensischen Nachbarstaat zuzulassen. Die demographische Entwicklung stellte die Zionisten aber vor neue Herausforderungen. Westlich des Jordans sind die beiden Bevölkerungsteile mit je ca. 7 Mio. Menschen inzwischen wieder ungefähr gleich groß.

Fallweise tauchten bei maßgeblichen Politikerinnen Israels zwar immer noch Vorschläge  für einen neuerlichen großangelegten Transfer der Palästinenserinnen auf (z.B. lancierte die Sozialministerin Gila Gamliel im Nov. 2017 bei Verhandlungen in Kairo  den Vorschlag der Gründung eines Staates Palästina im Sinai), aber die israelische Führung weiß natürlich, dass eine  neuerliche, großangelegte ethnische Säuberung zu einen massiven palästinensischen Widerstand und entsprechenden, international verbreiteten Bildern von massenhaften israelischen Menschen- und Völkerrechtsverbrechen  führen würde. Darüber hinaus würde dies die jüdische Bevölkerung in Israel selbst spalten, den gesamten arabischen Raum revolutionieren und der weltweiten Palästina-Solidaritätsbewegung starken Auftrieb geben.  Daher haben die israelischen Regierungen während und nach den Oslo-Verhandlungen ihr Konzept der „ethnischen Dominanz“ angepasst: Gaza wurde isoliert, die großen palästinensischen Städte und ihr nahes Umfeld (Zone A und B) wurden als zivile Selbstverwaltungskörper von Israels Gnaden (ähnlich den früheren „Bantustans“ Südafrikas) konzipiert. Die Zone C (= ca. 60 % der Westbank) steht ausschließlich unter der Herrschaft der israelischen Militärregierung. Dort wird die völkerrechtswidrige Siedlungspolitik vorangetrieben. Die Zahl der dort wohnenden Palästinenserinnen soll möglichst klein gehalten werden. Daher werden ihnen Baugenehmigungen verweigert. Im Trump-Netanjahu-Plan war dieses Gebiet für weitere Annexionen vorgesehen.

Brennpunkt Ost-Jerusalem

Israel hat den arabische Stadtteil 1980 völkerrechtswidrig als Teil „seiner ewigen und unteilbaren Hauptstadt“ annektiert. Seither wird versucht, ihn verstärkt zu judaisieren. Ein Mittel besteht darin, den palästinensischen Bewohnerinnen ihr Eigentums- und Wohnrecht abzuerkennen.

USA, EU und Österreich ermöglichen dies

Bei alldem dürfen wir niemals vergessen, dass diese Politik Israels nicht möglich wäre ohne die Unterstützung der USA und Europas. Die Haltung Österreichs und der EU sind dabei besonders verlogen. Während man in wortreichen Erklärungen für einen souveränen „Staat Palästina“ eintritt, hofiert man Israel bei jeder Gelegenheit und nimmt dessen Apartheid, brutale Besatzung und Siedlerkolonialismus sanktionslos hin. BK Kurz und sein Außenminister Schallenberg stehen dabei in der unseligen Tradition der langen Geschichte des europäischen Kolonialismus und seiner Verachtung für außereuropäische Kulturen und Völker.

Im Rahmen einer Tour wird Daoud al Ghoul in Wien, Graz, Linz, Innsbruck, München, Stuttgart, Düsseldorf, Berlin und Frankfurt sprechen.

Vor einem den PalästinenserInnen entrissenen Haus in Ostjerusalem

Daoud Al Ghoul

Daoud Al Ghoul

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