Leserbrief von Franz Sölkner, Steirische Friedensplattform

Karas verdrängt
Als Jung-ÖVPler war Othmar Karas in den 1980er-Jahren eine wichtige Stimme der österreichischen Friedensbewegung. Inzwischen haben ihn offensichtlich die Machtstrukturen der EU voll vereinnahmt. Sein Satz „Die Ursachen der Probleme liegen bei Putin und nicht bei uns“ nimmt eine völlig einseitige Ursachenzuweisung vor.
Er will den vom Westen politisch, wirtschaftlich und niederschwellig-militärisch geführten „Vorkrieg“ völlig vergessen machen. Die von Gorbatschow eröffnete Chance wurde nicht genutzt. Der Warschauer Pakt wurde aufgelöst. Anstatt die NATO ebenso auf den Müllhaufen der Geschichte zu entsorgen, wurde sie auf Expansionskurs gebracht. Nach dem monetaristischen Rezept der Chikago Boys trieb man das russysische Volk unter Jelzin mit einer „neoliberalen Schockstrategie“ (Naomi Klein) in die Armut. Die Sehnsucht nach einem starken, großrussisch-nationalistischen Führer erhielt einen kräftigen Schub, die Demokratie wurde untergraben. Die NATO wurde nach Osten ausgeweitet und Russlands roten Linien überschritten. Selbst in den USA gab es namhafte warnende Stimmen: George Kennan, Jack Matlock, John Mearsheimer, Robert H. Black, Henry Kissinger u.a.. Allesamt keineswegs Pazifisten, sondern Vertreter der Schule der „Realistischen Geopolitik“, die aus der Einsicht in die eigenen imperialen Interessen der USA solche auch der russischen Föderation zugestanden. Anstatt Ostmitteleuropa von Estland bis Bulgarien in einer neutralen Brückenfunktion zu stärken und zu entwickeln wurde es wirtschaftlich der EU und militärisch der NATO eingegliedert. Letztere steht seit 2004 direkt an der russischen Grenze, 30 Raketensekunden vor der Millionenstadt St. Petersburg. Beim Bukarester Gipfel 2008 wollten die USA Georgien und die Ukraine in die NATO holen. Merkel und Sarkozy wehrten sich und so stellte man den Ukrainern diesen Schritt nur in Aussicht, legte aber hinfort entsprechende politische Schienen. Die EU stellte die Ukraine mit dem Assoziationsvertrag vor die „Wir oder Russland!“-Alternative. Der blutige und verfassungswidrige Regimewechsel am Maidan 2014 folgte einem US-Drehbuch und wurde von Washington finanziert. Kiew wurde unterstützt, den Minsk II – Vertrag nur teilweise einzuhalten. Ein Großteil der 14.000 Toten in der russischsprachigen Ostukraine seit 2014 ist das Opfer ukrainischer Waffen. Seit 2019 steht der NATO-Beitritt sogar als Ziel in der Verfassung der Ukraine. Und knapp vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine stellte Selenskyj in seiner Videoansprache bei der Münchner Sicherheitskonferenz sogar das Budapester Memorandum von 1994 in Frage, in dem die Ukraine auf Atomwaffen verzichtete. Was blendet Othmar Karas, wenn er all das nicht sehen kann oder sehen will?
Der diplomatische Ausweg
Spätestens seit dem Tschetschenien-Krieg ist klar, dass Putin ein brutaler Machtpolitiker ist und für den Krieg gegen die Ukraine gibt es keine hinreichende Entschuldigung. Auffallend ist aber auch, dass derzeit von Seite des Westens keinerlei kraftvollen diplomatischen Initiativen zugunsten eines Waffenstillstands vorgetragen werden. Dieses Feld überlässt man dem Autokraten am Bosporus. Putin hat zu Beginn seiner Amtszeit, z.B. bei seiner Rede 2001 im Deutschen Bundestag, noch selbst das alte Angebot Gorbatschows nach einer gemeinsam auszuhandelnden neuen europäischen Sicherheitsarchitektur auf das Tapet gebracht. Er wurde ignoriert. Wenn der Westen diesen Krieg tatsächlich beenden und nicht nur „Russland ruinieren“ (so die kriegstreibende grüne deutsche Aussenministerin Baerbock) will, so läge ein guter Ansatz darin, anders als Karas, die Fehler des Westens einzugestehen und der russischen Führung offensiv ernsthafte Verhandlungen über eine neue europäische Sicherheits- und Friedensordnung anzubieten. An dieser Frage wird sich zeigen, ob die Politik den Willen und die Kraft hat, sich gegen die Interessen der Aktionäre der großen Rüstungskonzerne an explodierenden Aktienkursen durchzusetzen.
Mit freundlichen Grüßen,
Franz Sölkner

 

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