Sicherheitsexperte über Möglichkeiten militärischer Intervention in Syrien

Markus Kaim, er leitet die Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik meint, die Folgen einer Syrien-Invasion wären „unvorhersehbar“. Er rät stattdessen zu Waffenlieferungen und Unterstützung der Rebellen.

Nach Einschätzung von Markus Kaim, Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik ist ein Einmarsch in Syrien keine Option. Denkbar wären aber andere Formen des militärischen Engagements, denen sich auch Deutschland nicht entziehen könne.

Jörg Degenhardt: Von einer dramatischen Lage zu sprechen, würde im vorliegenden Fall den Tatbestand der Verharmlosung erfüllen. Seit Monaten schon gehen die Truppen al-Assads in Syrien mit aller Härte gegen die eigenen Leute vor. Tag für Tag erhöht sich die Zahl der Opfer. Menschenrechtsaktivisten sprechen von mehr als 7600 Toten. Appelle und Sanktionen lassen den syrischen Machthaber scheinbar unbeeindruckt.

Was also kann getan werden? Welche Möglichkeiten, aber auch Risiken bietet etwa eine militärische Intervention? Kann das Beispiel Libyen helfen? Darüber möchte ich mit Markus Kaim sprechen, er leitet die Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Morgen, Herr Kaim!

Markus Kaim: Schönen guten Morgen, Herr Degenhardt!

Degenhardt: Im Weltsicherheitsrat blockieren Moskau und Peking eine Verurteilung Syriens. Sanktionen verpuffen bisher. Kommt die internationale Staatengemeinschaft nicht umhin, stärker über eine militärische Lösung nachzudenken?

Kaim: Das tut sie ja bereits seit der gescheiterten VN-Resolution, die Sie angesprochen haben, und verstärkt jetzt auch seit dem vergangenen Freitag, seit dem Treffen der sogenannten Freunde Syriens in Tunis, wo ja gerade arabische Staaten sehr verstärkt für ein militärisches Engagement – ich würde noch nicht von einer Intervention sprechen, sondern von einem militärischen Engagement – gesprochen haben.

Das ist eine Ergänzung des bisherigen Instrumentariums, was die erzielte Verhaltensänderung des syrischen Regimes nicht erreicht hat, nämlich die Gewalt zu beenden, eine Ergänzung der politischen Komponente – also das heißt der diplomatischen Verhandlung – und der ökonomischen Komponente, das heißt, den Sanktionen, die ja gestern von der Europäischen Union auch noch einmal verschärft worden sind.

Degenhardt: Um das gleich mal klarzustellen: Wo sehen Sie den Unterschied zwischen einem militärischen Engagement und einer militärischen Intervention?

Kaim: Also ich glaube, von einer militärischen Intervention, da könnte man ja zum Beispiel an einen Irak – an das Irakmodell 2003 denken, also eine volle Invasion. Davon geht im Moment, glaube ich, niemand aus, und die Konsequenzen eines solchen Schritts wären auch unvorhersehbar, politisch wie militärisch. Aber ein militärisches Engagement mit einem geringen Eskalationsniveau wären zum Beispiel die angesprochenen Waffenlieferungen und die Ausrüstung für die Rebellen, damit sie sich schützen können.

Degenhardt: Die europäischen Außenminister haben gestern erst wieder ein militärisches Eingreifen abgelehnt. Ist ihnen das Risiko zu groß?

Kaim: Der Eindruck drängt sich auf. Und eine gewisse Vorsicht ist ja auch angebracht, weil bei jedem militärischen Engagement sind die militärischen Folgen wie die politischen Folgen nicht immer klar absehbar. Aber die Frage ist doch tatsächlich: Wie will man denn dem Morden in Syrien ansonsten bekommen? Ich habe es ja eben schon angedeutet, die bisherigen Instrumente sind ja versucht worden, die diplomatischen und die ökonomischen, und haben eben ein Ende der Gewalt nicht bewirkt. Bestimmte Möglichkeiten sind im Moment nicht weiter zu beschreiten, weil der VN-Sicherheitsrat in dieser Frage blockiert ist. Somit drängt sich die Frage auf, diejenigen, die eine militärische Komponente ablehnen, wie sie denn tatsächlich in Syrien weiterkommen wollen.

Degenhardt: Taugt denn das Beispiel Libyen möglicherweise als Blaupause für ein Vorgehen in Syrien, oder sind die Verhältnisse überhaupt nicht miteinander zu vergleichen?

Kaim: Also ich glaube, niemand kann sich davon freimachen, Journalisten wie Politiker wie Analytiker, dass die letzte Krise, das war Syrien, tatsächlich auch die Blaupause für die neue, für die nächste Krise ist, nämlich Syrien, aber die Parallelen drängen sich schon auf, insofern weil wir auch hier wieder einen Fall haben, wo eine Regierung gegen die Bevölkerung vorgeht. Es geht im Moment um einen Machtkonflikt zwischen Regierung und Opposition.

Die selben Argumente werden vorgebracht, das ist die internationale Schutzverantwortung, die sogenannte Responsibility to protect, die auch gerade die deutsche Regierung in den letzten Monaten – und die haben immer sehr stark im Munde geführt, das gehabt, geradezu gebietet einzugreifen. Und die Frage steht im Raum, wie lange wir denn noch warten wollen. Und es ist, glaube ich, weniger, hat mit den Situationen in Syrien und Libyen zu tun, sondern tatsächlich eben mit einer westlichen Prädisposition, jetzt zu sagen, wir haben in Libyen eingegriffen und werden es bislang in Syrien noch nicht so tun, das ist eben Politik.

Degenhardt: Sie hatten sich ja mit verschiedenen Szenarien in diesem Zusammenhang beschäftigt. Also was könnte militärisch in Syrien gehen? Ist es zum Beispiel vorstellbar, dass man durch gezielte Schläge Militäranlagen des Regimes ausschaltet?

Kaim: Das kann man versuchen, und ich glaube, man kann auch davon ausgehen, dass das in weiten Teilen funktionieren würde, und es gibt auch eine große Überlegenheit des Westens, wenn ich es mal so sagen darf. Man müsste ja noch festlegen, wer denn tatsächlich überhaupt sich an einem militärischen Engagement beteiligt. Nur ich glaube, man darf sich der Illusion nicht hingeben, dass das so einfach ginge, wie man das vielleicht sich ausmalt. Wir haben es hier mit einem Akteur zu tun, Syrien, der gerade in den letzten Jahren seit 2009 von Russland noch einmal sehr stark – wenn ich das so sagen darf – aufgerüstet worden ist, gerade im Bereich der Luftaufklärung und Luftverteidigung.

Das heißt, es würde nicht so einfach sein, es wäre mit eigenen Verlusten zu rechnen, es wäre im schlimmsten Falle auch mit zivilen Toten auf syrischer Seite zu rechnen. Das unterstreicht den Punkt, den ich eben versucht habe zu machen: Selbst wenn man über militärische Optionen spricht, und das tue ich auch, muss man immer über den Preis reden und über die Konsequenzen.

Degenhardt: In Amerika wurde die letzten Wochen auch darüber diskutiert – wahrscheinlich hängt das auch mit dem Wahlkampf zusammen, ob man nicht die Opposition in Syrien stärker oder überhaupt bewaffnen sollte. Was würde so etwas bringen?

Kaim: Das ist tatsächlich – das erinnert wirklich an das Libyen-Szenario, wo das ja tatsächlich auch vergleichsweise effektiv gewesen ist, und ein weiteres Beispiel gilt es in Erinnerung zu rufen, genau in den 90er-Jahren ist das ja auch in Bosnien passiert, wo man eben die Bosniaken bewaffnet hat gegenüber den serbischen Milizen. Also wir haben mindestens zwei Fälle, wo das ein vergleichsweise effektives Instrumentarium gewesen ist, wo man einen unterlegenen Gegner, der Drangsalierung einer Regierung ausgesetzt gewesen ist, so bewaffnet hat, dass er sich selber wehren konnte, und dass schlimme Massaker an der Zivilbevölkerung aufgehört haben. Von daher würde ich diesen Vorschlag, der jetzt in den USA diskutiert wird, auch weit in demokratische Kreise mittlerweile hinein, nicht von der Hand weisen wollen.

Degenhardt: Sie haben gerade davon gesprochen, es sei noch gar nicht klar, wer bei einem eventuellen militärischen Vorgehen überhaupt mit dabei wäre von den Vertretern des Westens. Könnte sich denn Deutschland wieder sozusagen zurückziehen, wie das im Fall Libyen passiert ist?

Kaim: Aus verschiedenen Gründen glaube ich, dass es nicht geht, wenn diese Erwartungen an Deutschland herangetragen worden wurde. Erstens, ich habe es eben angedeutet, gerade die Bundesrepublik, die Regierungen der vergangenen Jahre, haben diese Schutzverantwortung, die die Vereinten Nationen verkündet haben, die ja auch gerade angesichts der Massaker in Jugoslawien in den Neunzigern und angesichts der Massaker in Ruanda verkündet worden ist, sehr stark immer propagiert, und hat damit auch Erwartungen geweckt, wie wir uns selber verhalten würden.

Und von daher ist es sehr, sehr schwer, vorzustellen, dass wir angesichts der Bilder, die wir aus Syrien bekommen, dass die deutsche Politik jetzt einfach die Hände in den Schoß legt und dem Morden seinen Lauf lässt, und zum Zweiten, glaube ich, wird Libyen insofern eine mögliche Syrien – ein Syrien-Engagement beeinflussen, weil es, glaube ich, zum zweiten Mal nicht mehr möglich sein wird, sich zu entziehen und eine Politik des ohne uns zu verfolgen, im Gegenteil: Gerade, weil wir uns in Libyen nicht beteiligt haben, rechtlich, politisch und militärisch, deshalb wird der Erwartungsdruck umso höher sein, dass Deutschland jetzt in irgendeiner Form einen Beitrag leisten würde.

Degenhardt: Die Situation in Syrien und viele offene Fragen – das war Markus Kaim, er leitet die Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Vielen Dank, Herr Kaim, für das Gespräch!

Kaim: Gerne!

28.02.2012 · 06:50 Uhr

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