Antwortbrief der Indentantin des Grazer Schauspielhauses

auf den Brief einiger Organisationen zu den geplanten Aufführungen des  Schauspielhauses in Tel Aviv ( auf unserer hp veröffentlicht).

An

Frauen in Schwarz (Wien)

Kritische Jüdische Stimme (Österreich)

Boycott from Within. Israeli citizens for BDS

BDS Gruppe Berlin

Steirische Friedensplattform

Verein für Palästina (Steiermark)

Deutsch-Palästinensischer Frauenverein

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit, Bad Ischl

Med.Rat. Dr. George Nicola

Graz, 2. März 2012

Betrifft: Ihre geplante Aufführung am Habima Theater, „Habima Festival of International Collaborations“, 15. – 24. März 2012

Sehr geehrte Damen und Herren,

keinen von uns kann das, was im Nahen Osten vor sich geht, kalt lassen, ganz besonders uns Künstler nicht. Uns erschüttern die zivilen Opfer in Israel durch Raketenangriffe der radikalen Hamas genauso wie die Opfer durch massive israelische Gegenschläge unter den Palästinensern.

Wir als Theater könnten uns jetzt einseitig auf die eine oder andere Seite schlagen, Kooperationen wahlweise mit palästinensischen Theatern oder mit israelischen Theatern boykottieren. Aus unserer Sicht vergibt man sich damit die Chancen, die das Theater als gesellschaftskritische Instanz gerade in diesen Ländern hat. So hat beispielweise die israelische Regisseurin Yael Ronen (Tochter des künstlerischen Leiters des Habima Nationaltheaters) ein viel beachtetes Stück „Third Generation“ mit israelischen, palästinensischen und deutschen Schauspielern der dritten Generation nach dem Holocaust inszeniert, das in ganz Europa beim Publikum Verständnis für die Sichtweisen aller drei Seiten geweckt und vor allem die kritische Sichtweise dieser Generation herausgearbeitet hat. In Israel war die Produktion ein Skandal.

Die Produktion, mit der wir jetzt nach Tel Aviv fahren, ist Bestandteil einer 6-Länder-Kooperation von jungen Künstlern, die dezidiert politische Theaterabende zu Brennpunkt-Themen ihrer Gesellschaften entwickelt haben. Dazu gehört – als israelisches Pendant – eine mutige Arbeit des jungen israelischen Regisseurs Shay Pitowsky, die ebenfalls beim Festival gezeigt wird. Wir halten es für außerordentlich wichtig, diese Art von künstlerischem Dialog zu eröffnen und zu fördern.

Grundsätzlich sind künstlerische Kooperationen mit Theatern anderer Länder langfristig angelegte Vertrauensbeziehungen, die Zeit brauchen um zu wachsen und zu reifen. Wenn wir das Auf- und Ab politischer Strömungen oder gar Regierungswechsel zum Taktgeber unserer Kooperationen machen würden, wäre die notwendige Kontinuität nicht herzustellen.

Dazu ein Beispiel aus unserer Nähe: Wir haben eine lange, fruchtbare Beziehung zu dem ungarischen Regisseur Viktor Bodó und seiner Sputnik Shipping Company. Es gibt gemischte Inszenierungen, wo Schauspieler beider Länder zusammen spielen, Regiearbeiten von Viktor Bodó bei uns, wechselseitige Gastspiele in Graz und Budapest. Ich glaube nicht, dass wir den Ungarn einen Gefallen täten, wenn wir diese Kooperation beenden, nur weil gegenwärtig eine rechtslastige, undemokratisch agierende kulturfeindliche Regierung an der Macht ist. Im Gegenteil sehen wir Theater als ein geeignetes Instrument – wer wenn nicht das Theater –, gegen Unrecht, diktatorische Herrschaft, einseitige Sichtweisen und für Moral und Aufklärung zu spielen.

Wir haben den künstlerischen Leiter des Habima Nationaltheaters, Ilan Ronen, gebeten, sich zu seiner derzeitigen Lage in einem zunehmend schwierigeren politischen Umfeld zu äußern.

Er berichtete von dem enormen Druck, dem er bei Teilnahmen an internationalen Festivals ausgesetzt ist, wie jetzt beim GLOBE TO GLOBE Festival in London. Rechtsgerichtete israelische Gruppierungen versuchen ihn massiv daran zu hindern, im Ausland ein angeblich antisemitisches Stück zu inszenieren, das den antisemitischen Bewegungen in Europa in die Hände spiele: Und dieses Stück ist Shakespeares „Kaufmann von Venedig“!

Der israelische Kulturminister hat allen Repertoire-Theatern in Israel gedroht, ihnen die finanzielle Unterstützung zu entziehen, wenn sie nicht in Ariel spielen. Angesichts der vielen öffentlichen Verlautbarungen von Künstlern, die die gegenwärtige Regierungspolitik und die Okkupation massiv kritisieren, ist die Situation für die Theater entsprechend kompliziert. Von rund 1500 Theateraufführungen, die das Habima im vergangenen Jahr im gesamten Land spielte fanden 5 in Ariel statt. Ilan Ronen hat es den Schauspielern freigestellt, in Ariel zu spielen oder es ohne Sanktionen zu verweigern.

Das bisher Geschilderte lässt erahnen, dass gerade in dieser Region Dinge komplizierter sind als sie auf den ersten Blick scheinen und es simpel gestrickte Lösungen und Entscheidungen nicht geben kann.

Wir haben uns für die Fortführung der Kooperation mit dem Habima Nationaltheater entschieden, weil durch einen Boykott nichts gewonnen aber sehr viel verloren wäre: die im Rahmen eines Festivals öffentlich gemachte Sicht europäischer Theater und Künstler auf aktuelle Themen und die Schwächung einer in Israel zunehmend gewichtigen kritischen Stimme, der des Habima Nationaltheaters.

Mit freundlichen Grüßen,

Anna Badora

geschäftsführende Intendantin
SCHAUSPIELHAUSGRAZ
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From: Badora Anna <Anna.Badora@schauspielhaus-graz.com>
Date: 2012/3/2
Subject: AW: Ihre geplante Aufführung am Habima Theater, „Habima Festival of International Collaborations“, 15. – 24. März 2012
To: „fraueninschwarzwien@gmail.com

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1 Kommentar zu “Antwortbrief der Indentantin des Grazer Schauspielhauses”

  1. abumidian sagt:

    Omri Nitzan ist nicht Athol Fugard
    Peter Brook hat die Aufführung seiner Produktion im Kameri-Theater in Tel-Aviv abgesagt. Daraufhin reagierte der Kameri-Intendant in einer israelischen Zeitung. Hier meine Antwort zur Reaktion von Omri Nitzan auf Peter Brook
    http://abumidian.wordpress.com/deutsch/nicht-in-unserm-namen/brook/

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