Verteilungskrieg
Israel will Widerstand in Gaza brechen: Angriffe auf Hamas-Mann Dschabari torpedierten Verhandlungslösung für langanhaltenden Waffenstillstand
20.11.2012 / Schwerpunkt
Von Karin LeukefeldDer Angriff auf Gaza zeigt, daß die Regierung Netanjahu kein Interesse an Verhandlungen über einen palästinensischen Staat hat. Sie will den Widerstand im Gazastreifen brechen, ein und für alle Mal«, ist Marie Debs von der Kommunistischen Partei Libanons überzeugt. Im Gespräch mit jW in Beirut erinnert Debs daran, daß der palästinensische Widerstand mehr Gruppen umfasse, als die Islamisten von Hamas und Islamischem Dschihad. Auch linke Gruppen wie die Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) leisteten militärischen Widerstand gegen die Besatzungsmacht. »Israel macht aus dem Konflikt mit den Palästinensern einen religiösen Konflikt zwischen Muslimen und Juden«, sagt Marie Debs. Damit mobilisiere Regierungschef Benjamin Netanjahu die reaktionärsten Kräfte in Israel. Die eigentliche Ursache des Konflikts – illegale Besatzung, Ausbau der Siedlungen und wirtschaftliche Unterdrückung insbesondere im Gazastreifen durch die anhaltende Belagerung – würden ausgeklammert. Außerdem spiele die Kontrolle von Energiequellen, Öl und Gas, eine Rolle. Im Mittelmeer zwischen Libanon, Gaza und Zypern sei ein »goldenes Dreieck« von Gas gefunden worden, das wolle Israel sich aneignen. Die größten Gasressourcen lägen auf libanesischem Gebiet, vor der Küste von Gaza würden die zweitgrößten Ressourcen vermutet. Mit Zypern habe Tel Aviv einen Vertrag über die Ausbeutung der dortigen Gasvorkommen geschlossen, »doch im Libanon und Gaza bleibt Israel außen vor.« Eine Bodenoffensive der israelischen Armee hält Marie Debs nicht für wahrscheinlich. »Es sei denn, sie wollen ein Massaker in Gaza anrichten.« Hamas sei »im Herzen der Menschen« und zudem an einem dauerhaften Waffenstillstand interessiert.
Darauf verweist auch der Friedensaktivist Gershon Baskin. Der »Mord an Dschabari war ein Präventivschlag gegen die Möglichkeit eines lange anhaltenden Waffenstillstandes«, schreibt er in einen Beitrag für das Aachener Friedensmagazin www.aixpaix.de. Baskin, der im Hintergrund der Freilassung des israelischen Soldaten Gilad Schalit eine Rolle spielte, hatte durch eine Vermittlerperson bei der Hamas einen Mechanismus für einen anhaltenden Waffenstillstand vorgeschlagen. Das Papier war Hamas-Militärchef Ahmed Al-Dschabari zur Ermittlung von »Reaktionen darauf in Gaza« vorgelegt worden. Zur Vorlage des Papiers auf der israelischen Seite kam es nicht mehr, die israelische Luftwaffe hatte Dschabari am vergangenen Mittwoch getötet. »Und mit ihm die Chance für eine für beide Seiten vorteilhafte Verständigung auf einen lange anhaltenden Waffenstillstand«, schreibt Baskin.
Für die Historikerin Sofia Sadeh ist der Krieg gegen Gaza »Teil eines Verteilungskrieges« in der Region. Rußland, China und die USA würden ihre Grenzen abstecken. Bei einer Neuaufteilung der Weltmacht, wie der US-Globalstratege Zbigniew Brzezinski es in seinem jüngsten Buch »Strategische Vision« formuliert habe, müßten Washington und Moskau sich einigen. Die Professorin für Moderne Geschichte des Nahen Ostens an der Arabischen Universität in Beirut meint, Netanjahu fürchte, daß Washington sein Interesse am Nahen Osten verliere, denn »die USA haben längst ihre Augen auf das chinesische Meer gerichtet«, und »Krieg an zwei Fronten, im Nahen Osten und gegen China«, könne die US-Armee nicht führen. Mit dem Krieg gegen die Hamas wolle Netanjahu die USA wieder an sich binden, doch Präsident Barack Obama habe den ägyptischen Staatschef Mohammed Mursi angerufen, um in Gaza zu intervenieren. Ägypten und die Türkei sollten demnach den Konflikt zwischen Israel und der Hamas lösen, meint Sadeh. In Jordanien entstehe gerade ein neuer Stellvertreterkrieg zwischen dem König und Islamisten und Salafisten. Die Interessenssphären im Nahen Osten könnten nach Meinung von Sadeh zwischen den USA und Rußland neu abgesteckt werden, wie zwischen Großbritannien und Frankreich im Sykes-Picot-Abkommen 1916. Iran, Irak, Syrien und Libanon könnten russische und chinesische Einflußsphäre werden, alles südlich davon Einflußsphäre der USA.
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