Nein zu Lynchdrohung

jungeWelt     17.12.12

Nach jW vorliegenden Informationen hat der in Paris lebende Publizist, Soziologe und Politikwissenschaftler Alfred Grosser seine Unterschrift unter einen offenen Brief an den syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad (siehe jW vom 13. Dezember, Seite eins) zurückgezogen.

Von Arnold Schölzel
Alfred Grosser: Die Schlußdrohungen des Briefes sind nicht

Alfred Grosser: Die Schlußdrohungen des Briefes sind nicht akzeptabel
Foto: dapd

Der Text des Briefes wurde am 7. Dezember der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, am 9. Dezember in der französischen Tageszeitung Libération veröffentlicht, aber erst Mitte vergangener Woche über deutsche Nachrichtenagenturen verbreitet. Den Text unterzeichneten sechs Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels: Alfred Grosser, David Grossman, Claudio Magris, Orhan Pamuk, Boualem Sansal und Martin Walser. Grosser, der die Auszeichnung 1975 erhielt, teilte dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels am Sonnabend mit, »die Schlußdrohungen« des Briefes seien »wirklich nicht akzeptabel«. Er habe noch nie ein Jawort zurückgezogen, »ausnahmsweise« nehme er dieses zurück. Weder Grosser noch ein Sprecher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels waren am Sonntag für eine Stellungnahme erreichbar.

Die von Grosser bezeichnete Passage des Briefes hat folgenden Wortlaut: »Abgesehen von dieser Lösung (Rücktritt, Verhandlungen, Ausreise – d. Red.) gibt es nur eine andere für Sie, auch wenn das für Ihre Familie bedauerlich wäre: entweder getötet zu werden wie Saddam Hussein oder Muammar Al-Ghaddafi, oder ein Leben im Gefängnis in einer sterilen Zelle in Den Haag.«

Der offene Brief wurde im Namen einer »Vereinigung der Schriftsteller für den Frieden« verfaßt. Die Initiative wurde von David Grossman und Boualem Sansal Anfang Oktober mit einem »Straßburger Appell«, dem sich etwa 140 Schriftsteller anschlossen, ins Leben gerufen. Bei der Vorstellung der Vereinigung auf der Frankfurter Buchmesse war auch Alfred Grosser anwesend. Als künftiger Generalsekretär der Organisation wurde dort Denis Huber, Direktor des Zentrums Nord-Süd beim Europarat, vorgestellt.

Am Freitag hatte sich u. a. der Verband »Arbeiterfotografie« an Grosser gewandt, sein Bedauern über dessen Unterschrift ausgedrückt und ihn gebeten, mit Hinblick auf die Schlußpassage seine Unterstützung zu prüfen.

Ebenfalls am Sonnabend kritisierte das Istanbuler Nazim-Hikmet-Kulturzentrum in einer Presseerklärung den türkischen Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk wegen seiner Unterschrift unter den Brief. Das Zentrum schreibt u. a.: »Diese Autoren sind offen Werkzeuge der NATO geworden. (…) Der türkische Nobelpreisträger (…) repräsentiert nicht die Intellektuellen und die Öffentlichkeit der Türkei.«

Bereits am Donnerstag hatte der Liedermacher Konstantin Wecker seine Unterstützung für den Syrien-Aufruf »Freiheit braucht Beistand« von »medico international« und »Adopt a Revolution« zurückgezogen (siehe jW vom 14. Dezember). Er erklärte, daß einer der Hauptinitiatoren von »Adopt a Revolution«, Ferhad Ahma, zum Krieg in Syrien gesagt habe: »Ich glaube, um schnellstmöglichst einen Sturz des Regimes herbeizuführen, brauchen die Rebellen nach wie vor effiziente und bessere Waffen. Ansonsten wird dieser Kampf sich noch in die Länge ziehen.« Zu den 60 Erstunterzeichnern gehörten SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles, die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth, die Linkspartei-Vorsitzende Katja Kipping, der Schriftsteller Navid Kermani, der Theologe Friedrich Schorlemmer und ATTAC-Beiratsmitglied Elmar Altvater.

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