K.Mellenthin über Pegida
Gegen »Islamisierung« wird seit Oktober in Dresden protestiert, ohne dass die Veranstalter bisher erklärt haben, was sie darunter verstehen und wogegen sich ihre Kritik richtet. Den wenigsten Teilnehmern der fremdenfeindlichen Aufmärsche ist wahrscheinlich bewusst, dass das Schlagwort vor über zehn Jahren von US-amerikanischen Rechtszionisten und Neokonservativen erfunden und verbreitet wurde.
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22.12.2014 / Schwerpunkt / Seite 3
Broder siegt in Dresden
Von Knut Mellenthin
Gegen »Islamisierung« wird seit Oktober in Dresden protestiert, ohne dass die Veranstalter bisher erklärt haben, was sie darunter verstehen und wogegen sich ihre Kritik richtet. Den wenigsten Teilnehmern der fremdenfeindlichen Aufmärsche ist wahrscheinlich bewusst, dass das Schlagwort vor über zehn Jahren von US-amerikanischen Rechtszionisten und Neokonservativen erfunden und verbreitet wurde. Im Zentrum dieser Ideologie steht die Verschwörungstheorie von der »schleichenden Unterwanderung« Europas durch den Islam und der »Kapitulation« der »dekadenten« Gesellschaften des alten Kontinents vor dieser Entwicklung. David Yerushalmi, eine herausragende Figur dieser Kreise, formulierte es in einem im März 2006 erschienenen Artikel ungewöhnlich offen und kategorisch: »Die muslimische Zivilisation befindet sich im Krieg mit der jüdisch-christlichen Zivilisation. (…) Die Muslime, diejenigen, die dem Islam, so wie wir ihn heute kennen, ergeben sind, sind unsere Feinde.«
So weit gehen die Initiatoren von PEGIDA nicht. Sie beschränken sich vorläufig darauf, in Punkt 13 ihres Programms »die Erhaltung und den Schutz unserer christlich-jüdisch geprägten Abendlandkultur« zu fordern. Dass es Feinde dieser Kultur gibt, vor denen sie geschützt werden muss, wird dabei stillschweigend und ohne sachliche Begründungen unterstellt und suggeriert.
Nach Deutschland wurde das Schlagwort »Islamisierung« vor allem durch das 2006 erschienene Buch des Journalisten Henryk M. Broder »Hurra wir kapitulieren! Von der Lust am Einknicken« getragen. Ähnliche Kampfschriften, wie etwa Udo Ulfkottes Bücher »Der Krieg in unseren Städten« (2003) und »Heiliger Krieg in Europa«, erreichten nur eine geringere Verbreitung. Der sehr viel bekanntere Broder, damals noch für den Spiegel tätig, konnte seine Thesen jahrelang in Talkshows vortragen, bis einige Redaktionen das Widerwärtige und Gefährliche seiner Positionen zu begreifen begannen. Die Bundeszentrale für politische Bildung unterstützte Broder, indem sie sein Buch zu Schleuderpreisen anbot.
Wie schon am Titel deutlich ist, wirft Broder der westlichen Welt Feigheit und Selbstaufgabe gegenüber dem Islam vor. In dieser Tendenz ähnelt er Thilo Sarrazin, der 2010 mit großem Auflagenerfolg und starkem Rückenwind aus dem Hause Springer sein Buch »Deutschland schafft sich ab« auf den Markt brachte. Beide Autoren sprechen die Ressentiments einer Klientel an, die sich persönlich und Deutschland insgesamt als ständiges Opfer fremder Kräfte sieht, gegen die man sich endlich zur Wehr setzen müsse. Die Schuldigen für eigene Probleme werden vorzugsweise bei Menschen gesucht, die es in Wirklichkeit noch schlechter getroffen haben als man selbst. Das ist, genau betrachtet, das Gegenteil einer politischen Protestbewegung.
Einer, der die aggressiven Aufrufe zum Widerstand gegen die vermeintliche Islamisierung ernst nahm, war der Norweger Anders Behring Breivik. Am 22. Juli 2011 ermordete er auf der Insel Utøya 69 Kinder und Jugendliche, die an einem Ferienlager der Jungsozialisten teilgenommen hatten. Als Motiv gab Breivik an, er habe Norwegen gegen den Islam und den »Multikulturalismus« verteidigen wollen. Die regierenden Sozialdemokraten seien für den »Massenimport von Moslems« verantwortlich.
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22.12.2014 / Schwerpunkt / Seite 3Inhalt
Sprachloses Gemecker
PEGIDA und ein 19-Punkte-Programm: Die Dresdner Montagsprotestierer haben nichts zu sagen. Heute wollen sie singen
Von Knut Mellenthin
SCHWAROGO-Fahnen beim PEGIDA-Marsch in Dresden (15. Dezember 2014)
Foto: AP Photo/Jens Meyer
Seit Oktober wird an jedem Montag abend in Dresden demonstriert. Von anfangs 350 stieg die Zahl der Teilnehmer, darunter viele Angereiste aus anderen Teilen Deutschlands, ständig an. 15.000 waren es vor einer Woche. So viel Stetigkeit der Mobilisierung erreichen Kampagnen selten. Es scheint also um etwas Wichtiges und Ernsthaftes zu gehen. Aber worum eigentlich? Vor den Kameras der immer zahlreicheren Fernsehteams geben einzelne Teilnehmer erschreckende Selbstauskünfte. Freilich weiß man nicht, ob einige der aggressiv Räsonierenden nicht vielleicht Undercover-Journalisten eines anderen Senders oder schlichtweg Mitarbeiter des sogenannten Verfassungsschutzes sind.
Die Veranstalter verweisen Neugierige gern auf ihre »19 Punkte«, in denen angeblich die Ziele der Dresdner Montagsdemonstrationen dargestellt sind. Vielleicht hat dabei irgendein historisch beschlagener Organisator mehr oder weniger bewusst an das 25-Punkte-Programm der NSDAP von 1920 gedacht. Da stand zwar auch nicht alles drin, was man wirklich anstrebte, aber es hatte immerhin konkrete Inhalte. Davon kann in den 19 Punkten keine Rede sein. Sie sind das Produkt von Leuten, die ihre wahren Ziele vertuschen wollen, politisch zudem nicht viel im Kopf haben.
Um beim Schwerwiegendsten zu beginnen: Die Demonstrationen finden unter dem Abkürzungsmonstrum PEGIDA statt. Die Buchstaben stehen für »Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes«. »Islamisierung« ist ein Kampfbegriff, der vor über zehn Jahren von Rechtszionisten und Neokonservativen in den USA erfunden wurde. Was wollen die Drahtzieher der Dresdner Aufmärsche mit der Übernahme dieses Wortes sagen, welche konkrete Kritik an bestehenden Verhältnissen soll damit ausgedrückt werden? Überraschendes Ergebnis: In den 19 Punkten kommt das Wort »Islamisierung« nicht ein einziges Mal vor. Selbst »Islam« kann man dort nicht finden. Offenbar scheut man beim zentralen Punkt der eigenen Kampagne jede noch so vage Festlegung und setzt nur auf unausgesprochene Ressentiments.
Auch von den Angehörigen dieser Glaubensgemeinschaft ist nur an einer Stelle kurz die Rede: Man sei »nicht gegen hier lebende, sich integrierende Muslime«, heißt es in Punkt 10. Das lenkt zum nächsten Thema: Was verstehen die PEGIDA-Regisseure unter »Integration«? In Punkt 2 wird gefordert, »die Pflicht zur Integration« ins Grundgesetz aufzunehmen. Eine Begriffsklärung findet jedoch nicht einmal in Ansätzen statt. Das bleibt der gefühlsbetonten Phantasie jedes einzelnen Demonstrationsteilnehmers überlassen.
Kluge Leute sprechen ihre Absichten nicht aus, haben sich die Organisatoren wohl gedacht. Sie bauen darauf, dass sie die Vorurteile vieler Deutscher auf ihrer Seite haben. Bild veröffentlichte am 18. Dezember Ergebnisse einer von ihr in Auftrag gegebenen Umfrage. Danach haben 58 Prozent auf die Suggestivaussage »Ich habe Angst vor dem zunehmenden Einfluss des Islam in Deutschland« mit Ja geantwortet. 56 Prozent meinen, dass der Islam »eine Gefahr für Deutschland« sei. 27 Prozent glauben, dass Muslime »aggressiver« seien als sie selbst, und fast ein Drittel hält sie für »weniger bildungsorientiert«.
Apropos Bildung: Laut einer Untersuchung des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung überschätzten 70 Prozent der Befragten die Zahl der Muslime in Deutschland. Rund ein Viertel der Deutschen vermuten sogar, der muslimische Bevölkerungsanteil liege bei über 20 Prozent. Tatsächlich bezeichnen sich rund vier Millionen Menschen in Deutschland, das sind fünf Prozent der Bevölkerung, als Muslime.
Die Mehrheit der 19 Punkte beschäftigt sich mit dem Asylrecht. Genannt werden keine Fakten, und die Forderungen sind, wenn man von der »dezentralen Unterbringung« absieht, bereits Teil der staatlichen Praxis. Aber was soll man über die Ehrlichkeit von Leute wie dem mehrfach wegen Besitzes harter Drogen vorbestraften PEGIDA-Chef Lutz Bachmann denken, die in Punkt 3 ihres Programms über »teilweise menschenunwürdige Heime« für Flüchtlinge klagen, aber in Interviews von »Asylbewerbern in luxuriös ausgestatteten Unterkünften« phantasieren?
Bei den Dresdner Montagsdemonstrationen wird überwiegend geschwiegen. Außer Deutschland-Fahnen sieht man nur wenige Plakate und Spruchbänder mit geistig schlichten Formeln, unter denen sich jeder vorstellen kann, was er will: »Mut zur Wahrheit«, »Für die Zukunft unserer Kinder« oder »Gegen religiösen Fanatismus«. Diese Leute können sich, sobald sie den Mund auftun, nur blamieren. Vielleicht machen sie heute abend beim geplanten Singen von Weihnachtsliedern eine bessere Figur.
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