Broder siegt in Dresden
Von Knut Mellenthin
![]() Das Schlagwort »Islamisierung« hat in der BRD Henryk M. Broder popularisiert
Foto: Stephanie Pilick/dpa
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Gegen »Islamisierung« wird seit Oktober in Dresden protestiert, ohne dass die Veranstalter bisher erklärt haben, was sie darunter verstehen und wogegen sich ihre Kritik richtet. Den wenigsten Teilnehmern der fremdenfeindlichen Aufmärsche ist wahrscheinlich bewusst, dass das Schlagwort vor über zehn Jahren von US-amerikanischen Rechtszionisten und Neokonservativen erfunden und verbreitet wurde. Im Zentrum dieser Ideologie steht die Verschwörungstheorie von der »schleichenden Unterwanderung« Europas durch den Islam und der »Kapitulation« der »dekadenten« Gesellschaften des alten Kontinents vor dieser Entwicklung. David Yerushalmi, eine herausragende Figur dieser Kreise, formulierte es in einem im März 2006 erschienenen Artikel ungewöhnlich offen und kategorisch: »Die muslimische Zivilisation befindet sich im Krieg mit der jüdisch-christlichen Zivilisation. (…) Die Muslime, diejenigen, die dem Islam, so wie wir ihn heute kennen, ergeben sind, sind unsere Feinde.«
So weit gehen die Initiatoren von PEGIDA nicht. Sie beschränken sich vorläufig darauf, in Punkt 13 ihres Programms »die Erhaltung und den Schutz unserer christlich-jüdisch geprägten Abendlandkultur« zu fordern. Dass es Feinde dieser Kultur gibt, vor denen sie geschützt werden muss, wird dabei stillschweigend und ohne sachliche Begründungen unterstellt und suggeriert.
Nach Deutschland wurde das Schlagwort »Islamisierung« vor allem durch das 2006 erschienene Buch des Journalisten Henryk M. Broder »Hurra wir kapitulieren! Von der Lust am Einknicken« getragen. Ähnliche Kampfschriften, wie etwa Udo Ulfkottes Bücher »Der Krieg in unseren Städten« (2003) und »Heiliger Krieg in Europa«, erreichten nur eine geringere Verbreitung. Der sehr viel bekanntere Broder, damals noch für den Spiegel tätig, konnte seine Thesen jahrelang in Talkshows vortragen, bis einige Redaktionen das Widerwärtige und Gefährliche seiner Positionen zu begreifen begannen. Die Bundeszentrale für politische Bildung unterstützte Broder, indem sie sein Buch zu Schleuderpreisen anbot.
Wie schon am Titel deutlich ist, wirft Broder der westlichen Welt Feigheit und Selbstaufgabe gegenüber dem Islam vor. In dieser Tendenz ähnelt er Thilo Sarrazin, der 2010 mit großem Auflagenerfolg und starkem Rückenwind aus dem Hause Springer sein Buch »Deutschland schafft sich ab« auf den Markt brachte. Beide Autoren sprechen die Ressentiments einer Klientel an, die sich persönlich und Deutschland insgesamt als ständiges Opfer fremder Kräfte sieht, gegen die man sich endlich zur Wehr setzen müsse. Die Schuldigen für eigene Probleme werden vorzugsweise bei Menschen gesucht, die es in Wirklichkeit noch schlechter getroffen haben als man selbst. Das ist, genau betrachtet, das Gegenteil einer politischen Protestbewegung.
Einer, der die aggressiven Aufrufe zum Widerstand gegen die vermeintliche Islamisierung ernst nahm, war der Norweger Anders Behring Breivik. Am 22. Juli 2011 ermordete er auf der Insel Utøya 69 Kinder und Jugendliche, die an einem Ferienlager der Jungsozialisten teilgenommen hatten. Als Motiv gab Breivik an, er habe Norwegen gegen den Islam und den »Multikulturalismus« verteidigen wollen. Die regierenden Sozialdemokraten seien für den »Massenimport von Moslems« verantwortlich.
https://www.jungewelt.de/2014/12-22/026.php
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