Zucht und Ordnung

Hilfspolizisten dürfen in Schulen der USA tun, was Lehrern verboten ist: Schüler mit Handschellen fesseln, in Sicherheitsgewahrsam nehmen oder ins Gefängnis überführen. Jugendlicher Widerstand soll klein gehalten werden

Von Jürgen Heiser
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Hatte ihr Handy dem Lehrer nicht herausgegeben: Eine 16jährige Schwarze wird von einem weißen Hilfssheriff ausgehebelt, durchs Klassenzimmer ­geschleift und schließlich in Handschellen gelegt (Handyvideo einer Mitschülerin, Ende Oktober in der Highschool von Columbia in South Carolina)

Jürgen Heiser schrieb zuletzt auf diesen Seiten am 28.10.2015 über den Washingtoner Juristen Eric Holder und dessen Karriere als Chef des US-Justizministeriums.

Die in Montgomery, Alabama, angesiedelte afroamerikanische »Equal Justice Initiative« (EJI) geht in ihrer Arbeit zur Verteidigung der Menschen- und Bürgerrechte davon aus, dass »in Armut lebende Kinder von Minderheiten in den vergangenen 30 Jahren an ihren Wohnorten, in Schulen und in der Strafjustiz immer häfuiger zur Zielscheibe einer unfairen und aggressiven Polizeiarbeit geworden sind«. Diese Kinder und Jugendlichen seien in vielen Fällen Opfer missbräuchlichen Verhaltens von Behörden, die Schutzbefohlene großen Gefahren und unverhältnismäßiger Gewalt aussetzten.Die EJI nimmt an, dass in der Mehrzahl der US-Bundesstaaten schwarze und hispanische Schülerinnen und Schüler überproportional von der Strafjustiz verfolgt und dass sie in den US-Südstaaten ebenso überproportional von staatlichen Schulen suspendiert oder verwiesen werden. Laut einer aktuellen Studie machen Schwarze in South Carolina 36 Prozent der Gesamtschülerschaft aus, sind jedoch zu 60 Prozent von Schulverweisen betroffen.

Ein Fall aus diesem US-Bundesstaat soll Ausgangspunkt für die Beantwortung der Frage sein, warum heute in den USA rund 20.000 Polizisten an staatlichen Schulen stationiert sind und warum dann, wenn sich schwarze Gemeinden gegen rassistische Polizeigewalt wehren, immer zuerst die Schulen geschlossen werden.

Gewaltexzess eines Polizisten

Das Video ging Ende Oktober um die Welt und löste Empörung aus: Ein weißer Polizist wirft eine schwarze Schülerin der Spring Valley High School in Columbia/South Carolina brutal zu Boden, schleift sie durch das Klassenzimmer und legt sie schließlich wie eine Schwerverbrecherin in Handschellen (siehe Kolumne von Mumia Abu-Jamal in der jW vom 9.11.2015). Was hatte die 16jährige Schlimmes getan? Nichts. Jedenfalls nichts, was einen solchen Gewaltexzess gegen sie rechtfertigen würde. Nach Aussage ihres Mathematiklehrers hatte die Schülerin während des Unterrichts ihr Handy herausgenommen und sich dann geweigert, es dem Lehrer zu übergeben. Als der Pädagoge nicht mehr weiterwusste, wollte er die Schülerin durch einen telefonisch herbeigerufenen Beamten aus der Verwaltung vom Unterricht ausschließen lassen. Doch auch dessen Aufforderung kam die Jugendliche nicht nach und erwiderte, sie habe nichts falsch gemacht. Daraufhin rief der Lehrer den zum Schuldienst abkommandierten Polizisten Ben Fields zu Hilfe. Er sollte die disziplinarische Anordnung des Lehrers durchsetzen und die Schülerin aus dem Klassenzimmer entfernen.

Eine Mitschülerin und ein Mitschüler hielten mit ihren Handys auf Video fest, was dann passierte: Fields ging auf die friedliche Schülerin zu, forderte einen Mitschüler neben ihr auf, Platz zu machen, nahm ihr Schulnotebook vom Klapptisch und legte es beiseite. Dann packte er die Schülerin mit einer Hand am Genick, griff mit der anderen unter ihr linkes Bein, hob sie mitsamt Stuhl hoch und ließ sie kopfüber auf den Boden krachen. Danach schleifte er das wehrlose Mädchen an ihren in völliger Schockstarre verharrenden Mitschülern vorbei zum Lehrerpult, kniete sich auf die bäuchlings vor der Tafel Liegende, bog ihr die Hände auf den Rücken und legte ihr Handschellen an. Dann bricht das Video ab.

Mitschüler gaben später an, Fields habe die Schülerin abgeführt und wegen »Störung des Unterrichts« in dem dafür vorgesehenen »Sicherheitsraum« in Gewahrsam genommen. Eine der fassungslosen Zeuginnen war die gleichaltrige Niya Kenny, die kurz darauf selbst von Fields festgenommen wurde. Sie hatte es gewagt, ihre attackierte Klassenkameradin wenigstens verbal zu verteidigen, indem sie zu Fields sagte, was er gemacht habe, sei »nicht richtig«. Niya Kenny wurde in das Alvin-S.-Glenn-Gefängnis gebracht und erst am Abend gegen eine Zahlung von 1.000 US-Dollar Kaution wieder freigelassen. Sie ist seitdem von der Schule suspendiert und will gegen diese Behandlung klagen.

Die misshandelte Schülerin, deren Name zu ihrem Schutz nie veröffentlicht wurde, durfte zwar nach Entlassung aus dem Schulgewahrsam nach Hause zu ihrer Pflegefamilie zurückkehren – sie hatte erst kürzlich ihre Mutter und Großmutter verloren –, aber nach Auskunft ihrer Pflegemutter gegenüber der Daily News ist sie »traumatisiert« und nicht mehr fähig, in die Schule zu gehen. Der Anwalt der Familie, Todd Rutherford, machte öffentlich, dass seine Mandantin im Gegensatz zu den Angaben von Fields Dienstherrn, Sheriff Leon Lott, durch die Misshandlung des Schulpolizisten erhebliche Verletzungen im Gesicht, an Rücken und Genick davongetragen hatte und dass ein Arm in Gips gelegt werden musste.

Nach entsetzten Reaktionen vor allem in der afroamerikanischen Bevölkerung weit über Columbias Bezirk Richland County hinaus und nach einem über Sheriff Lott und seine Dienststelle hereinbrechenden Proteststurm sah sich dieser zwei Tage nach dem Vorfall zur Entlassung von Fields gezwungen. Unter Druck geriet Lott auch, weil die Bürgerrechtsabteilung des US-Justizministeriums, das FBI und der für Columbia zuständige Bundesstaatsanwalt ankündigten, eigene Ermittlungen aufzunehmen.

Eine von der antirassistischen Initiative »Color Of Change« in Umlauf gebrachte und in 24 Stunden von knapp 100.000 Menschen unterschriebene Petition forderte die Einleitung eines Strafverfahrens gegen Fields. Sheriff Lott wertete jedoch dessen Übergriff auf den Teenager nur als Verstoß gegen Dienstvorschriften und nicht als Straftatbestand. Lott drehte vielmehr den Spieß um und schob der Schülerin »eine gewisse Mitschuld« am Übergriff gegen sie zu. »Sie hat die Aktion selbst ausgelöst«, war sein Kommentar auf einer extra einberufenen Pressekonferenz. Dabei ging der Ordnungshüter sogar so weit zu behaupten, die »Störerin« und ihre filmende Mitschülerin Kenny hätten »das Gesetz gebrochen«. Trotzdem räumte der Sheriff ein, sein Untergebener habe »falsch gehandelt, als er die Schülerin hochhob und auf den Boden warf«. Damit habe er sich nicht gemäß dem verhalten, was ihm in der Ausbildung beigebracht worden sei. Trotzdem müsse aber auch »die Schülerin für das zur Rechenschaft gezogen werden, was sie getan hat«.

Niya Kenny sagte auf die Frage eines CNN-Moderators, warum sie den Vorfall gefilmt habe, Fields habe in dem Ruf gestanden, »gefährlich« zu sein. Das habe sie durch ihr Video beweisen wollen. Sofort als der Mann den Raum betrat, habe sie ihre Klassenkameraden aufgefordert, ihre Handys bereitzuhalten. Beide Schülerinnen sind nun aktenkundig, und die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen »Störung des Schulfriedens« gegen sie. Als Höchststrafe erwartet sie eine Geldstrafe von 1.000 US-Dollar oder 90 Tage Gefängnis. Gegen die attackierte 16jährige wird auch wegen »Schulschwänzens« ermittelt, weil sie seit dem Vorfall dem Unterricht fernblieb. Die Gerichtsverfahren sollen im Januar 2016 stattfinden.

»Störung des Schulfriedens« oder »Störung des Unterrichts« sind nach dem Gesetz in South Carolina Vergehen. Darunter fällt, »absichtlich oder unnötigerweise (…) zu stören« oder sich »auf anstößige Weise zu verhalten« und dadurch Schüler am Lernen oder den Lehrer an der Ausübung seines Jobs zu hindern. Ist der oder die Beschuldigte minderjährig, werden diese Fälle vor Familiengerichten verhandelt. »Störung des Schulfriedens« ist laut statistischen Erhebungen der Jugendjustizbehörde South Carolinas für 2014 nach Körperverletzung und Ladendiebstahl das dritthäufigste Delikt des Bundesstaates.

»School-to-prison-pipeline«

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In den USA sind 20.000 Polizisten in Schulen stationiert. Als Schutz u. a. gegen Amokläufe eingestellt, sind sie heute für den Kasernierungsgehorsam der (meist schwarzen) Kinder und Jugendlichen zuständig (Antiamokübung in Orlando in Florida, 18.7.2013)

Der weiße Polizist Fields war einer von zwei »School Resource Officers« (SRO) an der Spring Valley High School, deren Schülerschaft sich zu 52 Prozent aus Schwarzen und zu 30 Prozent aus Weißen zusammensetzt. Er versah seinen Dienst dort seit sieben Jahren. Niya Kenny wurde auf der Internetseite der Tageszeitung The State zitiert, Fields sei unter den Schülern berüchtigt gewesen, und man sei ihm aus dem Weg gegangen. Die Miss­handlung der Schülerin war nach CNN-Recherchen nicht sein erster Übergriff auf Minderjährige. In einem anderen Fall hatte er den Schüler Ashton Taylor auf dem Schulhof festgenommen und behauptet, er sei in »Gangaktivitäten« verwickelt. Daraufhin wurde Taylor ohne Anhörung durch die Schulleitung von der Schule verwiesen. Die Organisation »Color Of Change« kommentierte, bei einem weißen Schüler wäre ein solch hartes und unverschämtes Vorgehen undenkbar. Schwarze Jugendliche stünden aber unter Generalverdacht, Gangs anzugehören.

Alle Versuche Taylors, an einer anderen High School des Bezirks Richland County angenommen zu werden, scheiterten. Es blieb ihm dadurch verwehrt, sein High-School-Diplom zu machen und ein Collegestudium aufzunehmen. Seine Mutter erklärte auf CNN, Ashton sei nichts anderes übriggeblieben, als irgendeinen Job anzunehmen, bis sein Gerichtsverfahren abgeschlossen ist. Sein Anwalt Bakari Sellers kritisierte, dies sei der beste Weg, einen jungen Menschen zu kriminalisieren und in die »School-to-prison-pipeline« zu schicken. Dieser Begriff umreißt den Tatbestand, dass schwarze Schülerinnen und Schüler durch Diskriminierung und polizeilicher Verfolgung quasi zu einer Gefängniskarriere gedrängt werden, statt dass ihnen das Schulsystem durch unterstützende Begleitung Bildungswege eröffnet und so eine berufliche Laufbahn ermöglicht.

Vorfälle wie der, den Officer Fields provozierte, häufen sich schon seit einiger Zeit im staatlichen Schulsystem der USA. Gäbe es nicht die hin und wieder auf Video dokumentierten und ins Internet gestellten Beweise, würde die Öffentlichkeit nicht realisieren, wie sich das Klima an diesen Schulen verändert. Cornell William Brooks von der Bürgerrechtsorganisation NAACP erklärte auf CNN zu dem Übergriff auf die Schülerin, ein SRO wie Ben Fields habe die Aufgabe, für Sicherheit im öffentlichen Schulsystem zu sorgen und kriminellen Handlungen vorzubeugen. Wie der Name schon sage, seien SRO Hilfsbeamte, die vor allem wehrlose Mädchen und Jungen gegen Gewaltakte von Mitschülern oder gegen bewaffnete Eindringlinge von außen schützen sollten. Und sie sollten nicht auf Geheiß von Lehrern Schülerinnen ihr Handy im Unterricht abnehmen oder sie aus dem Klassenzimmer entfernen. »Ich habe noch nie etwas erlebt, das so scheußlich und krank war«, erklärte der Schüler Tony Robinson junior, der ebenfalls den Gewaltausbruch von Fields mit seinem Handy gefilmt hatte, in einem Bericht des Senders ­WLTX 19. »Das ging so weit, dass sich meine Mitschüler abwandten, nicht wussten, was sie tun sollen, weil sie in dem Moment um ihr Leben fürchteten.« Dabei sei Fields doch jemand gewesen, der zu ihrem Schutz da war und nicht, »um uns in Angst und Schrecken zu versetzen«.

Staat kontrolliert Schüler

Die Etablierung der SRO in den staatlichen Schulen der USA begann schon in den 1950er Jahren, wenn auch unter anderen Vorzeichen als heute. Dokumentiert ist der erste Einsatz dieser Schulpolizisten, zu dem es 1953 in Michigan kam, in der 2008 erschienenen Studie »School Resource Security Officers: School protection Officers for Public Schools« von Christopher F. McNicholas. Als in den von Protesten und politischen Bewegungen geprägten 1960er Jahren im kalifornischen Freso ein regelrechtes SRO-Programm entwickelt wurde, verfolgten die Initiatoren des örtlichen Police Departments die Absicht, »das polizeiliche Erscheinungsbild in den Augen der Jugend« aufzufrischen. In den ersten Jahren wurden dazu SRO in Zivilkleidung in den Grund- und Mittelschulen eingesetzt, »um die Beziehung der Polizeibehörde mit der Jugend zu pflegen«. Laut Autor McNicholas ist das bis heute das Ziel, auch wenn diese Polizisten im Schulalltag inzwischen bewusst in Uniform auftreten.

Mittlerweile wurde der SRO-Einsatz auf das ganze Land ausgedehnt. Weiteren Aufschwung erhielt es unter dem Eindruck des Columbine-High-School-Massakers in Colorado von 1999 und 2012 nach dem Amoklauf in der Sandy-Hook-Grundschule in der Kleinstadt Newtown/Connecticut, bei dem insgesamt 28 Menschen ums Leben kamen, darunter 20 Kinder. Seitdem wird das Programm von Washington direkt gefördert und erhält regelmäßige Zuschüsse aus Bundesmitteln.

Wie Brad A. Myrstol in seiner 2011 erschienenen Monographie »Public Perceptions of School Resource Officer Programs« schreibt, beschäftigen örtliche Polizeibehörden und Sheriffbüros rund 20.000 Schulpolizisten in Vollzeit, die je nach Verwaltungsbezirk und Bundesstaat in der Regel auch bewaffnet sind. Nach den tödlichen Schüssen auf den Teenager Michael Brown am 9. August 2014 in Ferguson und dem martialischen Auftreten der Polizei gegen die Proteste sorgten aufgeschreckte Eltern immerhin in vielen Städten dafür, dass SRO heute nicht mehr über Sturmgewehre und anderes militärisches Gerät verfügen.

Die Dienstvorgesetzten der SRO sitzen in den Polizeibehörden, sie arbeiten aber eng mit den Schulleitungen zusammen. In ihren Dienstverantwortlichkeiten unterscheiden sie sich kaum von ihren Kollegen außerhalb der Bildungseinrichtungen. Sie haben das Recht, zu kontrollieren und festzunehmen, können jederzeit in Notfällen gerufen werden und sind für alles zuständig, was sich auf dem Schulgelände ereignet. Zu ihren zusätzlichen Aufgaben gehört die Betreuung von Klassen und Schulpersonal, und sie sollen zu Fragen, die die jeweiligen Altersgruppen der Schülerschaft und ihre Sicherheit betreffen, Ratschläge erteilen und Vorträge vor Klassen halten.

Gesetzlich erlaubte Züchtigung

Aber das ist reine Theorie. In der Praxis taucht gerade in den letzten Jahren die Frage auf, ob das SRO-Programm die Sicherheit an den Schulen wirklich verbessert hat. Schließlich hat es auch trotz schärferer Kontrollen, wie durch Metalldetektoren und körperliche Durchsuchungen an Eingängen, Probleme mit eingeschmuggelten Waffen und auch weitere Amokläufe gegeben. Vermehrt wird Kritik laut, dass Schulpolizisten immer stärker zur Disziplinierung der Schülerschaft eingesetzt werden. Vor allem fällt auf, dass es dort, wo sie aktiv sind, eher zu Disziplinar- und Strafverfahren und zu Schulverweisen kommt. Schon sehr junge Kinder und Jugendliche werden wegen harmloser Ordnungsverstöße vom Unterricht ausgeschlossen oder gar aus der Schule geworfen. Dazu gehört lautes Reden ebenso wie ein Verstoß gegen die Kleiderordnung oder der Aufenthalt auf dem Schulgelände ohne den eigenen Schülerausweis. Charles F. Coleman, praktizierender Bürgerrechtsanwalt und Strafrechtsprofessor am Berkeley College in New York, sieht denn auch an den staatlichen Schulen eine Entwicklung hin zu »Minicamps, die an Gefängnisse erinnern, in denen Polizisten darüber wachen, dass sich die Schüler leise in Reih’ und Glied durch die Flure bewegen«, so Coleman im Blog The Root.

Zunehmend wird der gewaltsame Einsatz der Hilfspolizisten gegen Kinder und Jugendliche zu einem Alltagsproblem, vergleichbar mit der ständigen Gefahr erruptiver Polizeigewalt in den Wohngebieten von Schwarzen und Latinos. Die sozialen Netzwerk sind voll von Videos, die diese Vorfälle im normalen Schüleralltag dokumentieren. In der Round Rock High School in Austin, Texas, würgte ein SRO einen 14jährigen Schüler zu Boden – »zu seiner eigenen Sicherheit«, wie es nachher hieß. In Alabama setzten Schulpolizisten regelmäßig Pfefferspray gegen Schüler ein, wenn es zu Streitereien kam. Und in einem Fall, der sicher zu den schockierendsten der letzten Zeit gehört, lag der 17jährige Noe Niño de Rivera aus Bastrop County in Texas 52 Tage im künstlichen Koma, nachdem er im November 2013 in seiner Schule wegen einer Lapalie mit einer Taserwaffe beschossen worden war und beim Sturz ein schweres Schädeltrauma erlitt. Der Schüler wird für den Rest seines Lebens unter dessen Folgen leiden.

Vor diesem Hintergrund und dem Vorfall an der Spring Valley High School in South Carolina warf Brittney Cooper, Dozentin für »Women’s and Gender Studies« und »African Studies« an der Rutgers University in New Jersey, im Blog Salon.com die Frage auf: »Zählen schwarze Leben noch an staatlichen Schulen?« Cooper sieht in der Gewalt im Schulalltag und dessen immer stärkere Regelung durch die Polizei eine »unheilige Allianz« zwischen Schule und Gefängnis. Deshalb komme es nicht von ungefähr, wenn Schulleitungen das Disziplinieren von Schülern und Klassen an Polizeibeamte »outsourcen« würden. Die dürfen nämlich das tun, was Lehrern verboten ist: Sie dürfen Schüler mit Handschellen fesseln und so »ruhigstellen«. Außerdem können sie sie in Sicherheitsgewahrsam nehmen und notfalls per Strafanzeige ins Gefängnis und in »Härtefällen in Untersuchungshaft überführen. Das sorgt dafür, dass die »School-to-prison-pipeline« stets Nachschub erhält.

Riss zwischen Schwarzen und Weißen

Dabei ist nicht ganz unwichtig, dass South Carolina zu den 19 US-Bundesstaaten gehört, die auch heute noch die körperliche Züchtigung an Schulen erlauben. Der Artikel im Gesetz lautet: »Die Verwaltung jedes Schulbezirks kann die körperliche Züchtigung für einen jeden Schüler vorsehen, wenn sie als gerecht und angemessen erachtet wird«. Kein Wunder also, dass SRO Fields seinen körperlichen Angriff auf eine in seinen Augen widerspenstige Schülerin auch nach dem Gesetz für angemessen hielt.

Nicht zufällig sind es ausgerechnet 13 Bundesstaaten in den traditionell schwarzen Südstaaten, die landesweit für 55 Prozent aller Schulverweise gegen afroamerikanische Schülerinnen und Schüler verantwortlich sind. Zehn dieser 13 Staaten halten die körperliche Züchtigung ihrer »Zöglinge« in den Schulen nach wie vor für angebracht.

Cooper sieht in jeder schwarzen Schülerin, die sich selbstbewusst zu ihren eigenen Bedingungen durch ihr Leben bewegen will, eine potentielle Bedrohung für das in den USA vorherrschende patriarchale Denken weißer Überlegenheit. Für einen weißen Polizisten, der mit allen Insignien der Macht für seinen Dienstbereich ausgerüstet ist, muss deshalb die Weigerung, seinen Befehlen Folge zu leisten, wie eine Kampfansage wirken – auch wenn sein Gegenüber friedlich und zurückhaltend ist. In der gewaltsamen Reaktion der Unterwerfung ist dann sogleich die Warnung an alle enthalten, die Zeugen solcher Übergriffe werden: Ihr seid die nächsten, wenn ihr aufmuckt und euch solidarisiert!

Auf die allgemeine gesellschaftliche Situation der USA bezogen bedeutet das: Die von schwarzen Frauen gegründete »Black Lives Matter«-Bewegung sowie wachsender Unmut gegen Polizeigewalt, gegen die um sich greifende private Bewaffnung in den Vorstädten der Weißen und gegen rassistische Strukturen an den Hochschulen sind Warnzeichen, dass der Riss zwischen Schwarz und Weiß sich vertieft und Unrecht und Gewalt nicht mehr widerstandslos hingenommen werden. Nicht zufällig wurden in Ferguson, Baltimore und anderen »Riot Cities« nach polizeilichen Todesschüssen und vor Großdemonstrationen immer zuerst alle Schulen geschlossen. Vor allem an den High Schools hat sich ein neues politisches Bewusstsein in der Schülerschaft herausgebildet und dazu geführt, dass Klassenverbände und ganze Schulen sich Protesten anschlossen. In dieser Entwicklung kommt den SRO zunehmend die Aufgabe zu, schon an den Schulen Widerstandspotentiale zu beobachten und kleinzuhalten. Kontrolle, Disziplinierung und Unterwerfung der Jüngsten – all das ist Ausdruck des Willens, eine potentiell gegen unhaltbare gesellschaftliche Verhältnisse aufbegehrende junge Generation so lange wie möglich im Zaum zu halten.

Junge Welt, 22.12.2015

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