Wilfried Hanser über Johann Schögler

Liebe GenossInnen,

 

wie ihr wisst, ist unser Genosse Johann Schögler an den Spätfolgen einer schweren Verletzung am Auge, die ihm eine Tränengasgranate der französischen Polizei bei einer Demonstration beigebracht hat, gestorben. Er starb somit letztlich aus politischen Gründen.

Für mich war Johann ein unermüdlicher, unerschrockener Kämpfer gegen Ausbeutung und Unterdrückung. Sein ganzes Leben lang. Er hatte etwas von einer Lokomotive des Revolutionszuges an sich. Er hat unzählige Analysen, Berichte, Texte, Artikel geschrieben und teilweise aus dem Französischen übersetzt, damit wir im deutschsprachigen Raum besser verstehen können, was in Frankreich diskutiert und wofür gekämpft wird. Einige davon durfte ich selbst redigieren und weiterverbreiten. Ich habe immer wieder versucht, ein bisschen an den Formulierungen zu schleifen um die manchmal recht knorrige Sprache etwas lesbarer zu machen. Das hat vermutlich mit seiner Zweisprachigkeit zu tun, Teile seines Lebens hat Johann in Frankreich gelebt. Unzählige Referate, Vorträge, Statements hat Johann organisiert, ReferentInnen und DiskutantInnen eingeladen und sich auch immer wieder selbst zu Wort gemeldet, gefragt und oft auch ungefragt. Johann waren Verstehen, Analyse, über Grenzen hinweg, Verbreitung von Ideen, Aufklärung im kleinen Kreis und für die vielen Menschen immer wichtig. Er hat dafür sehr vieles getan. Unter anderem wurde von ihm die „Linke Woche“ initiiert, eine wöchentlich aktualisierte Homepage (http://www.linkewoche.at/ ). Zu deren regelmäßiger Herausgabe hat er wohl am meisten Arbeit beigesteuert. Es handelt sich um eine Zusammenschau Dutzender linker online-Publikationen, nach Themen sortiert. Inzwischen sind 314 Ausgaben dieser Homepage erschienen, das allein sind hochgerechnet 6 Jahre kontinuierlicher politischer Aufklärungs- und Informationsarbeit. Die „Linke Woche“ ist kein Zufallsprodukt von Johann. Sie zeigt eine seiner Methoden: Zusammenschau, sich bewusst zu machen, dass Viele analysieren, berichten, Strategien überlegen, Erfahrungen machen und diese zueinander in Beziehung setzen, diese würdigen, einander ergänzen, die unterschiedlichen Informationen und Beiträge verarbeiten und weitergeben. Ihm war immer wichtig, sich aufeinander zu beziehen und sich als kollektive Kraft zu begreifen, auch wenn die unterschiedlichen Bewegungen und Organisationen oft nichts oder wenig voneinander wussten, sich teilweise sogar ignorierten oder sich gar in gegenseitige Konkurrenz verstrickten. Was ist das Verbindende, das hat Johann in den Vordergrund gestellt, was bringt die Bewegungen voran, was bringt langfristigen nachhaltigen Erfolg?

 

Johann war aber keiner, der sich nur auf die Theorie, Schulungen und Propaganda beschränkt hätte. Sein hauptsächliches Engagement galt der Praxis, den realen Menschen, ihren Interessen, den sozialen und politischen Bewegungen. Wie viele Male hat er wohl die Menschen zusammengetrommelt, um gegen Missstände, für bestimmte Forderungen, für internationale Solidarität, bessere Arbeitsbedingungen in den Schulen usw. zu demonstrieren, zu kämpfen? Hunderte Versammlungen, Diskussionen, Kundgebungen, Demonstrationen, Aktionen, auch Streiks hat Johann maßgeblich organisiert, und ich sah ihn immer in der ersten Reihe, wenn es um den Kampf gegen Rassismus, gegen Diktaturen, für politisch Verfolgte, für die Rechte der Arbeitenden Klasse, der Frauen, der Jugend, von Minderheiten, oder wenn es gegen rechte Demagogen, gegen Sozialabbau, für eine ausreichende Finanzierung des öffentlichen Bildungssystems und gute Arbeitsbedingungen für die darin Tätigen (Johann war Lehrer), für den Schutz der Umwelt oder für internationale Solidarität ging. Auf ihn war stets Verlass, wenn es um die Organisation der österreichischen Sozialforen, der sozialen Protestbewegung in der Steiermark oder um die Vorbereitung der europäischen- und Weltsozialforen ging. Ja, in der ersten Reihe fanden wir ihn immer, er ging keiner Arbeit aus dem Wege, war sich für nichts zu schade.

 

Gleichzeitig war Johann völlig uneitel. Johann ging es nie um seine Person, sondern um die Anliegen, um die Menschen. Er hat einige Höhepunkte der sozialen Bewegungen miterlebt und mitgestaltet, von den Barrikaden des Mai 68 in Frankreich bis hin zu den massenhaften Protesten gegen Sozialabbau in der Steiermark. Und er hat auch die Tiefpunkte, die Niederlagen und langen Durststrecken immer als politischer Aktivist durchschritten. So sehr Johann auf die Spontaneität der Bewegungen setzte und völlig unsektierisch alles tat, um sie – gemeinsam mit GenossInnen und Freunden unterschiedlicher politischer Strömungen – aktiv zu unterstützen, so klar hat Johann auch daran gearbeitet und eingefordert: Die Bewegungen brauchen auch ein organisiertes Gedächtnis, eine dauerhafte Kraft, die unabhängig vom Auf- und Ab der Bewegungen lernt, Erfahrungen verarbeitet und diskutiert, eine Art „kollektives Gedächtnis“ leistet, zersplitterte Bewegungen verbindet und versucht, gegenseitige Solidarität zu initiieren, selbst nach Kräften Solidarität organisiert und dazu Beiträge leistet. Vor allem dürfen die Bewegungen nicht als lokal oder national beschränkte begriffen und diesen Beschränkungen überlassen werden. Johann hat sich immer dafür eingesetzt, sie mit anderen Bewegungen und Widerstände zu verknüpfen, international zu begreifen und miteinander in Beziehung setzen – so schwierig das auch jeweils sein mochte. Und auch der Aufbau von Kontinuität im Engagement war ihm ein zentrales Anliegen. So war er maßgeblich an der Gründung und am Aufbau der „Linke Steiermark“ beteiligt. Ebenso kann ich mich gut erinnern, dass er als einer der Aktiven, die das Österreichische Sozialforum in Graz organisiert haben, bei den Vorbereitungstreffen für das nächste Sozialforum die Weitergabe der Erfahrung und praktische Unterstützung des Grazer Komitees angeboten hat. Es ging ihm, wie an diesem Beispiel ersichtlich wird, vor allem um die Weitergabe von Verantwortung, Wissen und Erfahrung, gleichzeitig auch um die Ermutigung anderer, selbst aktiv zu werden und die Organisation der praktischen Unterstützung dafür. Und auch darum, dem Widerstand und den sozialen Bewegungen dauerhafte Instrumente zu schmieden, darum, dass nicht nur geredet, spontan protestiert wird, Protest- und Widerstandsbewegungen aufblühen, sondern dass sie auch Wirkung entfalten, etwas durchsetzen, dass die Erfahrungen daraus weiterleben und in den nächsten Wellen und Generationen weiter genutzt werden können, ohne dass bittere Erfahrungen immer wiederholt werden müssen. Dass einzeln und kollektiv Verantwortung übernommen, gemeinsam geplant und Aktionen vorbereitet und umgesetzt werden, gemeinsam auch die gewonnenen Erfahrungen ins Bewußtsein geholt und verarbeitet werden, damit Konsequenzen für die künftige Arbeitsweise gezogen werden. Lessons learned, im Sinne von: Wie machen wir das in Zukunft auf intelligente Weise? Der Dreischritt: Sehen – urteilen – handeln als Entwicklungsspirale, voneinander und miteinander lernen, in einem verbindlichen, kollektiven Sinne. Organisation eben, transparente, solidarische, demokratische, lebendige Organisation, und auch: Selbstverpflichtung und Verbindlichkeit leben. Praktische Solidarität. In einem Gespräch in Leoben hat mir Johann einmal erklärt, dass eine revolutionäre Organisation nicht dadurch entsteht, indem man in Zeiten der Flaute der Bewegung (und davon haben wir in Österreich wohl genügend!!!) fleißig diskutiert und schult, so wichtig das auch ist. Johann war zwar immer ein Freund von Schulungen, Vorträgen, Diskussionen. Aber ihm war das bei Weitem nicht genug! Er hat mir eindringlich erklärt, wie wichtig es ist, dass die AktivistInnen in der praktischen Aktion, immer wieder und wieder, Erfahrungen sammeln, wie die Menschen denken, wie sich bestimmte Aktionsformen bewähren – oder auch nicht – wie man Interessen und Proteste organisiert und dass in stetiger Erprobung in der Praxis die erforderlichen Instrumente für die Umgestaltung der Welt entwickelt werden müssen.

 

Johann, du warst uns in vielem ein leuchtendes Vorbild! Und du warst auch ein Mensch wie wir, mit allen Beschränkungen, mit denen wir es eben auch zu tun haben. Manchmal hat mich die Knorrigkeit deiner Sprache gestört, manchmal hast du zum Argumentieren auch eher zum Holzhammer gegriffen, wenn du etwas deutlich machen wolltest. Das und vieles andere war nicht immer nach meinem Geschmack, war mir manchmal auch nicht sensibel genug. Ich habe auch leider sehr wenig über dich als Person, als Privatmensch, erfahren. Von dir hast du fast gar nicht gesprochen. Dir ging es immer um die Sache, um die Anliegen der vielen Menschen. Und du warst immer geradeheraus. Was du gesagt hast, das hast du auch gemeint und es war immer Verlass auf dich. Und du warst weitblickend! Jammern war dir fremd. Anpacken dessen, was Not tut, war deine Art. Kräftig, klar und beharrlich!

 

Johann, dein Tod reißt eine große Lücke in unsere Reihen. Wir könnten verzagen und uns sagen: Wenn so ein toller, engagierter, energievoller und beharrlicher Mensch wie Johann stirbt, welches Recht habe ich denn, der ich viel weniger geleistet habe, weiterzuleben? Wir könnten uns aber auch fragen: Was war gut von dem, was Johann getan, wofür er sich eingesetzt hat, ein Leben lang? Wie könnten wir sein Engagement und sein Andenken ehren, wie könnten wir die Ziele, für die er sich eingesetzt hat, weiterführen, damit er weiterlebt in unserem Gedenken und Engagement, in den Bewegungen?! Einzeln, kollektiv und gemeinsam.

 

Es lebe die Solidarität! Es lebe die internationale Solidarität!

 

Wilfried 4.11.2016

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