Antwort auf Antisemitismus-Vorwurf der Jungen Grünen zu Farid Esack

An die Junge Grüne Steiermark
Viele Passagen eures Artikels auf https://www.facebook.com/notes/junge-gr%C3%BCne-steiermark/farid-esack-eine-absage-erteilen-antisemitismus-eine-absage-erteilen/10154429150625938/
verlangen nach einer Erwiderung. Einiges kann ich hier verkürzt anführen. Aufgrund der tiefgehenden Strukturen und weitreichenden Zusammenhänge zu diesem Thema wären für eine ernsthafte Auseinandersetzung mehrere Diskussionsrunden nötig. Das Angebot von Franz Sölkner (Steirische Friedensplattform) dazu wurde ausgesprochen.

Zum Ersten erwähnt ihr Farid Esack „als Vorstandsmitglied im südafrikanischen Ableger des BDS.“ Keine seine anderen Aktivitäten führt ihr an. Dass er im südafrikanischen Befreiungskampf eine Rolle gespielt hat, ist euch keine Erwähnung wert. Warum?

Ich habe in der Diskussion Farid Esack nicht als jemanden erlebt, der „eifrig das Narrativ eines israelischen Apartheidsstaats vorantreibt“. Farid hat in seinem Vortrag viele Facetten von Apartheid erläutert und ist dabei insbesondere auf die Vernetztheiten von Rassismus, Kolonialismus, Eurozentrismus, Gender und Antisemitismus eingegangen. Letzteren hat er an Hand von Beispielen klar benannt und jedem Versuch seine Aktivitäten und Aussagen in diese Richtung auch nur annähernd zu interpretieren, eine klare Absage erteilt.1

Es ist eine arrogante Haltung, diesem Mann aus dem globalen Süden mit dieser Geschichte, dem Erfahrungshorizont und wissenschaftlicher Expertise auszurichten, er solle „vernünftige Politik machen und legitime Kämpfe führen“. Das von euch verwendete Wort „Wahn“ erinnert mich an autoritäre Kommunikationsmethoden, die beabsichtigen politischen Gegnern ein gesundes Wahrnehmungsvermögen abzusprechen, um sie damit unglaubwürdig erscheinen zu lassen.

Ihr erwähnt, „Israelkritik“ sei die „vornehmste“ Form des Antisemitismus. In mena-watch, das ihr zitiert, habe ich keine Kritik an der israelischen Politik gefunden. Dieser Thinktank ist nicht unabhängig, wie er von sich behauptet, sondern ordnet undifferenziert jede Kritik an der israelischen Politik als antisemitisch ein. Ich meine, es geht zu allererst darum, Strukturen der Unterdrückung deutlich zu machen und danach Verantwortliche zu benennen. Gerade die strukturellen Dimensionen des Konflikts um Palästina/Israel bedürfen grundlegender Analysen und zugleich, wie Farid Esack sagte, konsequenter Selbstreflexion. Denn: mit welcher Brille schaue ich auf die Situation? Auf welche Seite stelle ich mich, wenn der Mann seine Frau schlägt, wobei er doch selbst Opfer seines rassistischen/ausbeuterischen Chefs ist? In welchem Kontext geschehen einzelne Ereignisse?

Ihr führt in eurem Schreiben einige Gründe an, warum es keine Apartheitsstrukturen in Israel gäbe. Ja, unter den vielen Faktoren, die Apartheid kennzeichnen sind einige, die nicht in derselben Form auf z.B. die israelische Legislative zutreffen, wie es in Südafrika der Fall war. Jedoch: nicht alle der in der UN-Anti-Apartheidskonvention von 1973 festgeschriebenen Kriterien müssen erfüllt sein, damit von Apartheid gesprochen werden kann. Drei wichtige Pfeiler von Apartheid sind 1-Kategorisierung und Segregation der Bevölkerung nach ethnischer Zugehörigkeit, 2-institutionalisierte systematische Diskriminierung und 3-strenge Sicherheitsgesetze.2       Mehrere Studien haben die Apartheid in Israel belegt. Manche unterscheiden zwischen den besetzten Gebieten (Westjordanland) und dem Land innerhalb der Grünen Linie. 3                                                                                       Und es gibt auch vielfach die Analyse– wie auch Farid Esack bestätigt – dass die Art der strukturellen Unterdrückung israelischer Regierungen gegenüber PalästinenserInnen noch andere, härtere Dimensionen beinhaltet als einst die Apartheid in Südafrika. Ronnie Kasrils, Freiheitskämpfer, Kommunist und Minister im Kabinett Mandela, sprach darüber klare Worte . 4                                                                                                         Vertriebene PalästinenserInnen erinnern immer wieder daran, dass sie keine Möglichkeit haben, in ihre Heimat von 1947/48 zurückzukehren. SüdafrikanerInnen konnten – wenn auch unter schlimmen Bedingungen- in ihrem Land bleiben.

Farid Esack hat in seinem Vortrag aus seiner Perspektive gesprochen. Er hat auch deutlich ausgedrückt, dass er auf der Seite der Unterdrückten steht. Dass seine Erfahrung in und mit dem südafrikanischen Befreiúngskampf ihm ein sensibles Wahrnehmungsvermögen für jeden Ausdruck von „white supremacy“ (weißer Vorherrschaft) verschafft hat, ist nach diesem Vortrag sicher nicht nur mein Eindruck.

Zuletzt kann nach dieser Veranstaltung sicher nicht behauptet werden, dass Farid Esack „kein Interesse an einer sachlichen und offenen Diskussion über den Nahost Konflikt“ habe, so wie ihr das im Vornhinein geglaubt habt festschreiben zu können. Farid hat alle Statements ausführlich beantwortet.

Ihr meint BDS würde Antisemitismus schüren. Das International Jewish Anti-Zionist Network schreibt zum Vorwurf des Antisemitismus gegenüber BDS: „BDS ist nicht antisemitisch. Wir weisen den Gedanken zurück, dass der BDS-Aufruf von 2005 aus Palästina und die BDS-Kampagne aus aller Welt, die es ins Leben rief aus einem antijüdischen Gefühl herkommt. Im Gegenteil BDS ist eine antirassistische Bewegung gegen die tägliche brutale Besetzung Palästinas und die militärische Bedrohung der Region durch den Staat Israel. Falsche Behauptungen von Antisemitismus verdrehen die wahre Natur des palästinensischen Kampfes und sind ein Affront und Verrat an der langen Geschichte des jüdischen Überlebens und Widerstandes gegenüber Verfolgung.“ 5

Eurer Meinung „Solidarität mit der Bevölkerung kann nur dann geschehen, wenn die wahren UnterdrückerInnen von Freiheit und Demokratie, wie die Hamas, Hisbollah und andere TerroristInnen benannt und bekämpft werden“, stimme ich nicht zu. Ich bin solidarisch mit den PalästinenserInnen und trete für die Verwirklichung der ihnen durch das Völkerrecht und die Menschenrechte garantierten Rechte ein. Es ist weder friedenspolitisch sinnvoll, noch wird es den –durch die Besatzung vielfach verunmöglichten – demokratischen Prozessen innerhalb der palästinensischen Zivilgesellschaft gerecht, diese oder jene politische Partei als „terroristisch“ zu brandmarken. Die Sicht durch meine europäische Brille auf ihre internen politischen Situationen hilft den PalästinenserInnen absolut nicht. Farid Esack sagte sinngemäß: Freiheit ist kein Lollipop, den man als Belohnung für Wohlverhalten bekommt. Ich befürworte BDS, weil diese Bewegung ihre Wurzeln in der palästinensischen Zivilgesellschaft hat. Sie ist weltumspannend und gewaltfrei. Ich glaube an ihren Erfolg.

Zuletzt noch eines: Der Slogan „Free Gaza from Hamas“! klingt wie ein erneuter Aufruf zur Bombardierung des Gaza-Streifens. Solche Bombardierungen wie 2008/9, 12 und 14, haben Tausende von Menschen getötet. Zu Recht sprach die palästinensische Politikerin Hanan Ashrawi von „Staatsterrorismus“. 6

Um es zu wiederholen: Aufgrund der tiefgehenden Strukturen und weitreichenden Zusammenhänge zu diesem Thema wären für eine ernsthafte Auseinandersetzung mehrere Diskussionsrunden nötig. Das Angebot von Franz Sölkner (StFp) dazu wurde ausgesprochen.
Helga Suleiman
1 Ausführlich dazu hier: https://bdsgruppebonn.wordpress.com/…/stellungnahme-von-fa…/
2 Wild, Petra: Apartheid und ethnische Säuberung in Palästina, S. 26
3 Ebd. S 26ff
4 Ebd. S 28
5 http://www.arendt-erhard.de/…/international_jewish_anti-zio…
6 http://diepresse.com/…/…/3841562/Gaza_Eskalation-ohne-Ausweg

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kommentieren

Du musst angemeldet sein, um kommentieren zu können.