Leserbrief zum Interview mit Arik Brauer „Wir haben ein Problem mit dem Islam“, Falter 10/18

in seiner Ausgabe 12/2018, Seite 27 – 29 brachte der Falter ein großes Interview mit Arik Brauer. Mit „unsäglichen“ Aussagen zum Israel-Palästina-Konflikt.
Franz Sölkner hat  einen Leserbrief geschrieben:

Betrifft: Leserbrief zum Interview mit Arik Brauer  „Wir haben ein Problem mit dem Islam“, Falter 10/18
Ich habe gleich mehrere Probleme mit Arik Brauers undifferenzierten Aussagen. Anders als Brauer sehe ich  kein Problem mit „dem Islam“, wohl aber mit dessen fundamentalistisch-radikaler Ausprägung. Zu erklären wäre dann freilich, warum  sich Teile des Islam in den letzten Jahrzehnten politisch radikalisiert haben. Dazu schweigt der Künstler.  Würde er auch darüber nachdenken, käme er auf die Antwort, dass dieser „Hass auf den  Westen“ (Jean Ziegler) nicht vom Himmel gefallen ist, sondern wesentlich vom Westen – vor allem den USA – gesät wurde und die arabisch-muslimischen Völker dafür „den Sturm geerntet“ haben (Michael Lüders).  Der erbitterte Kampf zwischen Juden und Arabern um Palästina spielt hier eine besondere Rolle. Den PalästinenserInnen ist die von unserer Eltern- und Großelterngeneration  in Europa veranstaltete Barbarei des Holocaust an den Juden auf den Kopf gefallen. Als die von den Großmächten dominierte UNO das Land am 29. Nov. 1947  teilte, lebten zwischen Mittelmeer und Jordan ca. 1,2 Mio. Araber und ca. 600.000 Juden. Ca. 7 Prozent des Landes waren damals im Besitz der jüdischen Minderheit. Aufgrund des sehr geschickten Lobbyings der Zionisten wurde ihnen aber ca. 56 % zugesprochen, darunter auch der Großteil der fruchtbaren Küstenebene. Wie hätte sich die arabische Seite damit einfach abfinden können? Und die seither bedingungslose Unterstützung Israels durch den Westen – allen voran wieder die USA – nährt bei breiten Massen der arabischen Welt das Gefühl permanenter Demütigung, verursacht antiwestliche Gefühle und trägt mit dazu bei, dass ein kleiner Teil der Gläubigen sein Heil in einer dogmatisch-gewaltverherrlichenden Interpretation der Glaubens sucht.

Die aktuell in Europa zunehmend geübte Kritik an der brutalen und demütigenden Militärbesatzung von Rest-Palästina, am ungebrochen vor sich gehenden  völkerrechtswidrigen fortgehenden Raub von Land und Wasser, an den zahlreichen Menschenrechtsverletzungen durch das israelische Militär  usw. erscheint Brauer als illegitimes journalistisches Gebraü. Es setze sich zusammen aus Äußerungen von „linken israelischen Intellektuellen“, einer „um ihre zwei Kinder trauernden Mutter im Gaza“ und eines „vertrodelten jüdischen Fanatikers“. Den israelischen Linksintellektuellen merkt er an, dass sie nicht die Mehrheit der Israelis repräsentieren. Wundert ihn das wirklich? Schließlich ist diese Mehrheit seit der Ermordung Rabins unter der Politik der

Netanyahus, Sharons, Liebermans, Bennetts usw. zunehmend in eine rechtsnationalistische, bisweilen faschistoide Mentalität gekippt.  Was für ein famoses Argument! Sollten wir deshalb auch die  KritikerInnen rechtsnationalistischer Politiken anderswo pauschal delegitimieren?

Nicht nur oberflächlich, sondern grob faktenwidrig sind Brauers Aussagen über die  im Zuge der Staatsgründung Israels 1948 vor sich gegangene Flucht und Vertreibung  von mind. 750.000  PalästinenserInnen und die Zerstörung von mindestens 420 arabischen Dörfern und Kleinstädten. Dafür war von der zionistischen Führung um Ben Gurion schon vor der Staatsgründung der „Plan Dalet“ ausgearbeitet worden. Um eine panische Massenflucht der arbischen Bevölkerung auszulösen, wurden in mehr als 30 Dörfern Massaker durchgeführt.

„Deir Yassin!“, der Name des friedfertigen Dorfes, in dem jüdische Milizen schon eine Woche vor Staatsgründung mehr als hundert Männern, Frauen und Kindern umgebracht hatten, wurde im ganzen Land zu einem Schreckensruf.

Den Anspruch der PalästinenserInnen auf ganz Palästina, weiß Brauer zu zitieren. Das mehrfach verbürgte Zitat des Staatsgründers Ben Gurion „Es geht nicht um einen jüdischen Staat in Palästina, sondern um Palästina als jüdischen Staat“ ist ihm hingegen nicht geläufig. Darüber will Brauer nichts wissen.  Könnte er aber: Er müsste dazu nur die peniblen Forschungen renommierter Historiker kennen. Da ihm arabische Forscher wie Walid Khalidi und andere wahrscheinlich von vorneherein unglaubwürdig erscheinen, seien ihm einige jüdisch-israelische empfohlen: Simcha Flapan, Teddy Katz, Ilan Pappe, Shlomo Sand, Tom Segev,  Avi Shlaim …..
Würde Brauer deren Forschungsergebnisse zur Kenntnis nehmen, käme er freilich in eine kognitive Dissonanz. Er müsste vor sich etwas rechtfertigen, was mit intellektueller Redlichkeit nicht zu rechtfertigen ist. Dieses Dilemma scheint ihn zu überfordern. Also flüchtet er in die Geschichtsklitterung. Er selbst hat ja ein Atelier/Haus in En Hod (arabisch: Ayn Howd), einem vor 1948 rein arabischen Dorf südlich von Haifa. Sämtlicher Grund- und Immobilienbesitz dort war vor 1948 zu 100% arabisch. Brauers heutige Liegenschaft wurde also von Israel enteignet und seine rechtmäßigen Eigentümer dafür bis heute nicht entschädigt. Was liegt da näher, als sich einzureden, „schuld“ seien damals „junge arabische Männer“ gewesen, die auf jüdische Autobusse geschossen haben. Von Seite der jüdischen Soldaten sei „kein  einziger Schuß gefallen“, die arabische Dorfbevölkerung sei von der jordanischen Armee – die dort aber gar nicht in der Nähe war! (Anm. FS) – zur Flucht überredet worden, Israel habe sie sogar vergeblich zur Rückkehr zu überreden versucht, und wären sie nicht geflüchtet, so könnten sie bis heute unbehelligt in Israel leben.

Und als Oberschnurre beruft er sich auf einen alten, längst verstorbenen Scheik, der ihm das alles in arabischer Sprache – kann Bauer arabisch? Wenn ja, wie gut? – erzählt habe. Detailreicher dargestellt finden sich die Ereignisse unter http://www.palestineremembered.com/Haifa/Ayn-Hawd/index.html . Auch Wikipedia spricht deutlich von einer „Vertreibung“ der Bevölkerung des Dorfes: https://de.wikipedia.org/wiki/En_Hod .

Als Fazit bleibt: Arik Brauer möge sich neben der Pflege seines Stolzes auf die

„Erfolgsgeschichte Israel“ faktenbasiert mit jenen schmerzlichen Folgen auseinandersetzen, die das zionistische Projekt  für seine palästinensischen Opfer hatte und hat.  Tut er das nicht, so möge er schweigen. An der Verbreitung von irgendwelchen nationalistischen Geschichtsmythen  besteht nämlich kein Bedarf. Auch nicht an israelischen.

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Mit freundlichen Grüßen,

Franz Sölkner

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