OFFENER Brief an Humantechnologiecluster Stmk betr. Israelengagement

Wie einschlägige Medien berichteten, haben Sie in der Karwoche dieses Jahres an einer Delegation nach Israel teilgenommen.1 Der steirische „Humantechnologie-Cluster“ will insbesondere mit Biomed-Unternehmen Israels (Shizim Konzern) Kooperationen durchführen. Die Universitäten der Steiermark und ansässige Konzerne wie Infineon, AT&S, ams bis hin zur lokalen Klinik Judendorf-Strassengel planen ihre Beteiligung an den Investitionen, die von 5 bis 25 Millionen Euro ausmachen sollen.

OFFENER BRIEF

Ergeht per Mail an:

Robert Brugger, ICS Steiermark – robert.brugger@ic-steiermark.at

Günther Schabhüttl, WKO – telaviv@wko.at

Barbara Eibinger Miedl, Landesrätin – barbara.eibinger-miedl@stmk.gv.at

Johan Harer, Humantechnologie GF – johann.harer@human.technology.at

Lars-Peter Kamolz, Med-Uni – lars.kamolz@medunigraz.at

Peter Riedler, Vizerektor der Karl-Franzens-Uni – vizerektor.finanzen@uni-graz.at

Werner Leodolter, Kages – werner.leodolter@kages.at

Günter Lackner, Silicon Alps – guenther.lackner@silicon-alps.at

Stefan Rohringer, Infineon – alexandra.wachschuetz@infineon.com

Peter Grieshofer, Klinik Judendorf Strassengel – peter.grieshofer@klinik-judendorf.at

Von:

Steirischer Friedensplattform/Palästina Solidarität Steiermark

friedensplattform@gmx.at

www.friedensplattform.at

 

Guten Tag!

Wie einschlägige Medien berichteten, haben Sie in der Karwoche dieses Jahres an einer Delegation nach Israel teilgenommen.1 Der steirische „Humantechnologie-Cluster“ will insbesondere mit Biomed-Unternehmen Israels (Shizim Konzern) Kooperationen durchführen. Die Universitäten der Steiermark und ansässige Konzerne wie Infineon, AT&S, ams bis hin zur lokalen Klinik Judendorf-Strassengel planen ihre Beteiligung an den Investitionen, die von 5 bis 25 Millionen Euro ausmachen sollen.

Wir wollen sie über folgende Fakten aufklären:

Israel betreibt ein Apartheidregime gegenüber den PalästinenserInnen. Diese Apartheid umfasst alle Bereiche der Gesellschaft, Ökonomie und Politik. Gerade im Bereich Gesundheit, der sich durch hohe moralische Anforderungen auszeichnen sollte, zeigt sich diese Apartheid in einer erschreckenden Form: Dem biopolitischen und nekropolitischen Projekt, das auf den Körper der palästinensischen Frau abzielt.2

Biopolitisch, weil ihr Körper als demographische Sicherheitsbedrohung dargestellt wird. Das von Ayelet Shaked, der weit rechtsstehenden ehemaligen israelischen Justizministerin zustimmend veröffentlichte fb-posting, in dem ein Journalist forderte, auch „die Mütter der Märtyrer“ zu töten und „ihren Söhnen nachfolgen“ zu lassen, sonst würden sie „weitere kleine Schlangen großziehen“ 3 drückt diese Politik wohl am deutlichsten aus. Durchgesetzt wird sie strukturell über den täglichen Terror vor allem durch das israelische Militär, Misshandlungen an Checkpoints, willkürliche Körperkontrollen und traumatisierende Hausdurchsuchungen.

Die koloniale Gewalt Israels stößt palästinensische Frauen in die „Zone des Todes“. Sie ist gekennzeichnet durch tägliche Drangsalierung, Rassismus, Mangelversorgung, Bedrohung durch SiedlerInnen/SoldatInnen, Angst um gefährdete Kinder und Angehörige sowie Trauer um jene, die dem Besatzungsregime zum Opfer fielen. Die insgesamt geplant betriebene Verursachung von permanentem traumatischem Stress zielt letztendlich auf die Auslöschung von Körper und Identität der Palästinenserin.

Viele Dramen spielen sich an israelischen Checkpoints ab, die das widerrechtlich 1967 besetzte Land in zahllose „Bantustans“ zerteilen. Israelische Behörden und SoldatInnen erteilen nach Willkür an Checkpoints Passagiermöglichkeiten. Zwischen 2000 und 2006 haben 69 Frauen ihre Kinder an Checkpoints geboren.4 Manche Frauen verlieren ihre Kinder und/oder ihr eigenes Leben.

In einem Artikel von 2014 beschreibt die Forscherin Rana Sharif von israelischen Soldaten beschriftete T-Shirts, auf denen zu lesen war: „Ein Schuss zwei Tote“, daneben gezeichnet eine schwangere muslimische Frau und „Besser Durex benützen“ ebenso mit einer Frau, vor der ein Kind liegt.5

Dreimal hat die israelische Armee Gaza innerhalb von sechs Jahren angegriffen. Der letzte Angriff verursachte gemäß UN-Angaben 2101 Tote insgesamt, darunter 1460 Zivilisten, davon 493 Kinder und 253 Frauen.6 Am 4.9.2017 hat eine Hilfsorganisation den Gaza-Streifen für rund eine Million Kinder als nicht mehr bewohnbar eingestuft. Was bedeutet das für diese Kinder, deren Mütter oder schwangere Frauen?

Der Konzern Shizim und seine Start-ups sind Teil dieser Politik. Sie sind israelische Unternehmen und damit Teil eines Systems, das auf strukturellem Rassismus gründet und das Resultat der mehr als 60jährigen völkerrechtswidrigen Landnahme und menschenrechtswidriger Vertreibung ist.

Der Konzern Shizim arbeitet eng mit der Technion-Universität in Haifa zusammen: „Das Technion betreibt seit seiner Gründung intensiv die Erforschung neuer Militärtechnologien und bewirbt stolz seine Partnerschaften mit der Rüstungsindustrie. Zu den Entwicklungen aus jüngerer Zeit zählt bspw. eine ferngesteuerte Version des IDF D9 Caterpillar Bulldozer, der vorwiegend zum Abriss palästinensischer Häuser eingesetzt wird. Mit dem Rüstungskonzern Elbit, der unter anderem die Überwachungstechnik für Israels illegale Sperranlage im Westjordanland herstellt, hat das Technion sogar ein eigenes Forschungszentrum gegründet. Und dem Präsidenten von Elbit verlieh das Technion die Ehren-Doktorwürde. Es ist daher wenig verwunderlich, dass Technion-Student_innen in ihren Abschlussarbeiten teils direkt Waffenforschung betreiben.“7

Siedlungen in der Westbank sind gemäß 4.Genfer Konvention illegitim, weil sie auf palästinensischem Boden gebaut werden. Die vorhergehenden und weiter vor sich gehenden gewaltsamen Zerstörungen und die Vertreibungen der ansässigen BäuerInnen basieren auf der Kollaboration von Armeekräften mit den bewaffneten Siedlern. Immer wieder werden dabei PalästinenserInnen ermordet, wovon in den Medien kaum berichtet wird.

Amnesty International schreibt im Bericht 2017:

„Israelische Soldaten, Polizisten und Angehörige des Sicherheitsdienstes töteten 2017 mindestens 75 Palästinenser aus den besetzten Gebieten einschließlich Ost-Jerusalem und fünf Palästinenser mit israelischer Staatsbürgerschaft. Einige der Opfer wurden in Situationen erschossen, in denen sie Israeli angriffen oder man sie verdächtigte, einen Angriff zu beabsichtigen. In vielen Fällen handelte es sich jedoch um rechtswidrige Tötungen, da von den Betreffenden – unter ihnen auch Kinder – keine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben anderer Personen ausging. Einige der Getöteten wurden allem Anschein nach Opfer außergerichtlicher Hinrichtungen, so z. B. Yacoub Abu al-Qi’an, der im Januar 2017 in Umm al-Hiran in seinem Auto von Polizisten erschossen wurde.“

Die koloniale Besatzungspolitik Israels, die in einem ersten Schritt die Bevölkerung terrorisiert, um danach das Land zu enteignen, hat Kontinuität bis heute. So hat Benjamin Netanjahu schon vor seiner Wahl angekündigt, die Westbank völlig annektieren zu wollen. Das bedeutet eine totale Verunmöglichung der 2-Staaten Lösung, wie sie in den Verhandlungen in Oslo angepeilt wurde und auch von der EU vertreten wird.

Wir hoffen, dass diese Informationen Ihnen klar werden lassen, dass die israelische Wirtschaft, die sich unbedingt als innovativ und fortschrittlich verkaufen will, nichts als ein fahler Schein und ein lautes Getöse ist, mit dem die permanenten Verbrechen an der palästinensischen Bevölkerung zugedeckt werden sollen. Wirft man einen Blick hinter die Fassade, wird schnell deutlich, dass Israel als koloniale Besatzungsmacht agiert und es keinen Bereich gibt, der nicht auch ein Rad in der militärisch-ökonomisch-psychologischen Unterdrückungsmaschinerie gegen die PalästinenserInnen ist.

Wenn Sie sich der Zusammenarbeit mit Israel, deren wahlberechtigte Mehrheit sich vor Kurzem für die Dominanz einer extrem rechten Regierung entschieden hat, zuwenden, dann sollten Sie die Sinnfrage Ihres Handelns gut bedenken.

Wollen Sie mit ihrem Engagement mithelfen, die rassistisch geprägte Gesundheitspolitik der israelischen Regierung rein zu waschen, indem Sie deren Politiken gegenüber den PalästinenserInnen verschweigen?

Sind Ihnen die Stimmen jener Holocaust-Überlebenden und Nachfahren, wie die der Preisträgerin des Göttinger Friedenspreises 2019, Iris Hefets, Vorsitzende der «Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost“, die sich mit Vehemenz gegen die Vereinnahmung durch rechtsextreme israelische Politiken wehren und sich klar zur Solidarität mit den unterdrückten PalästinenserInnen bekennen, bekannt? 8

Möglicherweise haben Sie nur einseitige Informationen erhalten, sodass Sie sich der Komplizenschaft mit dem Unrecht nicht bewusst sind.

Wir hoffen, dass Sie durch unsere Informationen angeregt sind, sich mit den „anderen Seiten“ des sich als boomend und schillernd gebenden Israels auseinanderzusetzen: Jener der rohen Besatzungsmacht und jener ihrer KritikerInnen und MenschenrechtsverteidigerInnen in Israel und weltweit.

Wir hoffen, dass Sie Ihr exklusives Engagement mit der Besatzungsmacht Israel revidieren.

Wir ersuchen Sie Ideen zu entwickeln, wie Ihr Betrieb zu Frieden und Gerechtigkeit beitragen kann.

Falls Sie es vorziehen diesen Brief als belanglos zu betrachten, sei Ihnen der Spruch von Jean Paul Sartre ans Ende dieses Briefes gestellt:

Ich kann immer wählen, aber ich sollte wissen, dass ich auch dann wähle, wenn ich nicht wähle.

 

Mit freundlichen Grüßen

Im Namen der Steirischen Friedensplattform/Palästina Solidarität Steiermark

Franz Sölkner

Helga Suleiman

 

PS: Falls Sie an einem Gespräch/weiterführenden Informationen Interesse haben, stehen wir gerne zur Verfügung: friedensplattform@gmx.at

2 Eine genaue Analyse der israelischen Besatzungspolitik gegenüber palästinensischen Frauen liefern die Wissenschafterinnen Nadera Shaloub-Kervorikan, Hebräische Universität in Jerusalem und Sara Ihmoud, Universität Texas in einer Abhandlung in der Zeitschrift Inamo, Winter 2016. Shaloub-Kervorikan veröffentlichte 2019 eine Recherche, wonach die israelischen Besatzungsbehörden großen Pharmaunternehmen die Erlaubnis erteilen, Tests an palästinensischen und arabischen Gefangenen durchzuführen: https://www.middleeastmonitor.com/20190220-israel-pharmaceutical-firms-test-medicines-on-palestinian-prisoners/

4 While most births in the oPt take place in a hospital, timely access cannot be ensured due to the checkpoints, and delay has sometimes been the cause of maternal or neonatal deaths. Between 2000 and 2006, 69 cases were reported of Palestinian women giving birth at checkpoints, with 4 maternal deaths and 34 neonatal deaths (Human Rights Council 2007).http://icph.birzeit.edu/system/files/Checkpoints%20on%20the%20Long%20Road%20to%20Palestinian%20Women%E2%80%99s%20Health.pdf, S.7 https://palestine.cz/en/newsd-documenting-palestinian-checkpoint-births

https://newint.org/blog/2011/07/13/palestine-birth-at-checkpoint

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