Medieninformation zum Beschluss gegen Antisemitismus, Antizionismus und BDS

Stadtparlament leistet Hilfe bei der Unterdrückung der Kritik an Israel

Menschenrechtsbeirat nicht einbezogen

Kein Name fiel in der  Grazer Gemeinderatssitzung vom 14. Nov. 2019 öfter als der von Elie Rosen. Hatte sich der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde doch selbst in die Besuchergalerie des Rathauses gesetzt, um der Zustimmung zum „Beschluss gegen Extremismus/Antisemitismus“ beizuwohnen. Eine Entscheidung für die er lange lobbyiert hatte. Insbesondere die GemeinderätInnen der FPÖ und ÖVP, welche die Mehrheit im Gemeinderat bilden, beriefen sich auf das Bemühen  des Herrn Rosen, betreffend Verabschiedung einer derartigen Resolution, insbesondere mit Erwähnung von „Antizionismus“ und „BDS“. Mario Eustacchio, langjähriger FPÖ- Funktionär und Vizebürgermeister, zuletzt in den Schlagzeilen wegen Verteidigung der Identitären, begrüßte Herrn Rosen mit einem „Herr Präsident, heute wirst Du öfter bemüht“ und schilderte, wie er nach dem von Präsident Rosen geäußerten Wunsch mit dem Koalitionspartner ÖVP sogleich übereingekommen sei, dass Graz eine derartige Beschlussfassung brauche.

 

Menschenrechtsbeirat ignoriert

Wiederholt wurde in der Debatte auf die „Menschenrechtsstadt Graz“ Bezug genommen, und das, obwohl der Menschenrechtsbeirat völlig ungenügend in den Diskussionsprozess miteinbezogen worden war. Grüne und KPÖ plädierten daher für eine Verschiebung der Verabschiedung bis zur nächsten Sitzung Anfang Dezember. ÖVP und FPÖ jedoch war es daran gelegen, den Beschluss rasch durchzubringen.

Die KPÖ, seit 2017 zweitgrößte Fraktion im Rathaus, wollte den Begriff “Antizionismus“ herausreklamieren. Dieser dürfe nicht gleichgesetzt werden mit Antisemitismus, denn er sei Ausdruck einer „zutiefst nationalistischen Haltung“, welche die KPÖ nicht goutiere. Der Antrag sei einseitig  zugeschnitten auf die BDS-Bewegung, der die KPÖ zwar auch nicht nähertreten wolle, jedoch fehle im  Antrag die Abgrenzung vom rassistischen deutschnationalen Antisemitismus.

Auch die Grünen machten geltend, dass 94% des Antisemitismus auf rechtsextremen Kreisen komme, beharrten aber darauf, dass der „versteckte Antisemitismus“ umso wichtiger sei, und dass zwar nicht alle in der BDS-Bewegung Antisemiten seien, aber es genügend Belege gäbe, dass sie das Existenzrecht Israels bestreite.

 

„Importierter Antisemitismus“ und die Angst vor einer gewaltlosen internationalen Palästina-Solidaritätsbewegung

Der Ton der Grünen wurde von Bürgermeister Nagl gerne aufgegriffen.In 10 Punkten  listete er die bekannten Argumente der BDS-GegnerInnen auf. Selbstredend fehlte der Hinweis auf den „importierten Antisemitismus“ nicht, mit dem „3/4 unserer Mitbürger ein großes Problem haben“. Heute, so Nagl, gehe es aber einmal „nur um BDS“. Diese sei gemäß Anne-Frank-Zentrum in Hessen antisemitisch, weil sie das Rückkehrrecht (für die vertriebenen PalästinenserInnen) fordere, und dieses würde „nicht Frieden, sondern Krieg“ bedeuten. Weiters störe der Vergleich mit Südafrika, sei ja Israel die einzige Demokratie im Nahen Osten, usw. Zur Lösung des Konflikts dort könne man nichts beitragen. Ihm gehe es ausschließlich darum, dass die jüdischen BürgerInnen in Graz keine Angst haben müssten.

 

Der Antrag von KPÖ nach einer Einzelabstimmung der einzelnen  Beschlusspunkte wurde abgelehnt. Konsequenterweise trug  die KPÖ als einzige Fraktion die Erklärung nicht mit.

 

Resümee:

  • Weder der Menschenrechtsbeirat, noch die Argumente der Friedens- bzw. Solidaritätsgruppen wurden einbezogen. Man berief sich ausschließlich auf prozionistische Stimmen und Unterlagen. Kritische Studien – wie etwa die kürzlich erschienene des Antisemitismusforschers Peter Ullrich – wurden ignoriert.
  • Mandatare von KPÖ, Grüne und SPÖ monierten, dass es keine Möglichkeit zur politischen Diskussion zwischen den Fraktionen gegeben habe. Sie seien von VP/FP über die Zeitung vor vollendete Tatsachen gestellt worden.
  • Entsprechend – also ohne jedwede einigermaßen differenzierte Analyse – wurden ausschließlich Anti-BDS-Argumente vorgebracht.
  • Das Völkerrecht und die zahlreichen UN-Resolutionen wurden schlichtweg missachtet. Der Beschluss war ein Dienst an einer kleinen aber einflussreichen proisraelisch-nationalistischen Interessensvertretung. Dessen Zweck ist die Tabuisierung der Politik Israels. Mit der zustimmenden Erwähnung der dafür vom rechten Likud-Minister Natan Sharansky entwickelten „3-D-Definition“ – zugespitzt: Israel darf nur kritisieren, wer zuvor auch Saudi-Arabien und das Regime Assad kritisiert hat – schreckte man auch vor geistigen Anleihen von ganz rechts nicht zurück.
  • Mit keinem Wort fanden jene jüdischen Menschen und Organisationen Erwähnung, die BDS gegen den Vorwurf des Antisemitismus in Schutz nehmen, vor einer Vermischung von Antisemitismus mit Antizionismus warnen und die selbst harsche Kritik an der rechtsnationalistischen Politik Israels üben. Vor die Wahl gestellt, wo man stehen möchte, entschied man sich in Graz für die Netanyahus und Liebermans und fiel der israelisch/jüdischen-palästinensischen Friedens- und Menschenrechtsbewegung in den Rücken.
  • Mehrfach wurde das Existenzrecht Israels beschworen. Welches konkrete Besatzungs- und Unterdrückungsregime man da mit verteidigt, war nebensächlich. Dass auch das palästinensische Volk Rechte haben könnte, spielte bei den Antragstellern keine Rolle, auch nicht bei den Grünen. Die bestehende riesige Machtüberlegenheit Israels und das daraus folgende Scheitern aller bisherigen Friedensbemühungen war keiner Erwähnung wert.
  • Die Menschenrechte, die jede/r so gern in den Mund nahm, gelten nach Dafürhalten der Mehrheiten in diesem Stadtparlament nicht für alle Menschen gleich. Denn die Lage der PalästinenserInnen unter Besatzung, Blockade und nationalistischer Gesetzgebung wurden total ausgeblendet.

 

Die schwarz-blau regierte Stadt Graz leistet mit dieser Erklärung  einen weiteren Beitrag zur autoritären Rechtswende. Auch die Grünen orten aktuellen Antisemitismus zunehmend in einem „muslimischen, insbesondere arabischen Milieu“. Definitionen von Antisemitismus werden jenen Kräften überlassen, die sich letztlich mit der rechtsnationalistischen israelischen Regierung im Boot wissen. Hier haben sich verwandte Ideologien gefunden. Kritik an brutalen Praktiken der Machtstaatspolitik Israels wird in Graz zukünftig vermehrt unter Antisemitismusverdacht stehen. Öffentliche Räume stehen dafür nicht mehr zur Verfügung. Geförderten Institutionen und Vereinen wird im Bezug auf den schier unendlichen und bitteren Konflikt um das historische Palästina ein Knebel verpasst. Der Deutsche Bundestag, mehrere deutsche Städte und Wien wurden mit ähnlichen Beschlüssen als Vorbilder erwähnt. Dass hohe UN-Amtsträger sich über diese Einschränkungen der in der UN-Menschenrechtscharta verbürgten Meinungsfreiheit besorgt geäußert und deutsche Gerichte mehrere Saalverbote bereits als unstatthafte Eingriffe in die Grundrechte beurteilt haben, wurde ignoriert. Das kann man ignorieren, wenn man sich in einer elitär geführten breiten  Gesinnungsgemeinschaft wähnt.

 

Ganz sicher wurde am 14. November 2019 der Glaubwürdigkeit des Bekenntnisses der Stadt Graz zu Menschenrechten und einer offenen demokratischen Diskussionskultur kein guter Dienst erwiesen.Wie war das? Die Geschichte lehrt ununterbrochen, aber sie findet keine SchülerInnen. Graz hat’s bewiesen …

 

Die Steirische Friedensplattform

 

 

 

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