WESTSAHARA : Für Freiheit und Selbstbestimmung : PALÄSTINA

Essay anlässlich eines Augenzeugenberichts in Graz

Der Journalist Paul Huemer hat die Flüchtlingslager und die besetzten Gebiete in der Westsahara besucht und seine Eindrücke auf einer Veranstaltung des Bildungsvereins der KPÖ am 28.1.geschildert. Bei einem Besuch in den besetzen Gebieten haben PalästinenserInnen ihn dazu angeregt, sich mit den Sahauris in der besetzten Westsahara zu beschäftigen, so P. Huemer.

Tatsächlich gibt es viele Parallelen zwischen den beiden Konflikten: Vertreibung und Besatzung, Sperrwall, Ignoranz mächtiger Staaten, Tatenlosigkeit der UNO, Kürzungen der Gelder für die Flüchtlingslager; – und ebenso Intifadas, Widerstand und Verhandlungen, internationale Solidaritätsbewegungen mit BDS-Forderungen.

AKTUELLE LAGE

80% der Gebiete in der Westsahara sind gemäß UNO durch Marokko völkerrechtswidrig besetzt, 20% durch die Frente Polisario befreit.Insgesamt ist das Gebiet halb so groß wie Frankreich. Es gibt eine lange „Mauer der Schande“, die das Land durchschneidet, große Phosphatvorkommen und reiche Fischvorkommen an der Küste, ausschließlich ausgebeutet von EU-Konzernen und marokkanischer Regierung.

Die Afrikanische Union und 45 Staaten haben die Westsahara als Staat anerkannt, darunter Venezuela, Vietnam und Iran, doch kein einziges EU-Land.

Dabei ist der Konflikt, wie auch der Konflikt um Palästina, durch die europäische Kolonialpolitik des 19. Jhdts ursprünglich verursacht.

Bereits gegen die erste Kolonialmacht Spanien organisierte sich der Widerstand der Sahauris. Die Franco-Diktatur ermöglichte Marokko und Mauretanien 1975 eine Invasion, während derer große Teile der indigenen Bevölkerung durch Giftgas vertrieben und getötet wurden. Sie flüchteten in die algerische Wüste und bauten dort Flüchtlingslager auf.

Im selben Jahr veranlasste das marokkanische Militär die Ansiedelung von 350.000 Menschen im sahaourischen Gebiet um die Bevölkerungsmehrheiten zu verändern.

Die Guerilla der Sahaouris zwang die mauretanische Regierung 1979 zum Rückzug. Der 16 Jahre dauernde Widerstandskampf der Sahaouris, organisiert durch die Frente Polisario, eroberte ein Fünftel des Landes von Marokko zurück.

 

DER WALL

Als die marokkanische Regierung eine Niederlage befürchtete, empfahlen Frankreich und Israel den Bau eines Sandwalls, mit dem 1981 begonnen wurde. Nach jedem militärischen Landgewinn auf Kosten der Sahaouris wurde die Mauer weiter ins sahaourische Gebiet verschoben. Mit 2500 km Länge trennt dieser Wall die befreiten von den besetzten Gebieten, ist mit Minen und Scharfschützen gespickt.

Ein Versuchsballon für Palästina.

 

DIE UNO

1991 vermittelten die UN einen Waffenstillstand zwischen Frente Polisario und marokkanischer Regierung. Vereinbart wurde eine Volksabstimmung, um die Sahaorauis über die Zukunft der Westsahara bestimmen zu lassen.

Auf dieses Referendum warten die Sahaouris noch heute. Was die UNO tat, war eine Mission einzurichten, die MINURSO, welche den Waffenstillstand bis heute überwacht. De facto ist diese „Überwachung“ eine Befestigung des Status Quo, sowohl territorial, denn die MINURSO schützt den Wall und seinen Verlauf, also die den Sahaouris militärisch aufgezwungene Grenze, als auch politisch, denn die diversen UN-Beauftragten, zuletzt der ehem. deutsche Bundespräsident Hans Köhler blieben handlungsohnmächtig.

Hingegen mobilisierte die repressive marokkanische Monarchie bis zu drei Millionen MarokkanerInnen um gegen den Begriff „Besatzung“ zu demonstrieren, mit dem Ban Ki Moon die marokkanische Herrschaft über die Westsahara bezeichnet hatte, als er 2015 ein sahaourisches Flüchtlingslager besuchte.

Die marokkanische Regierung wies in Folge mehr als 80 zivile Mitarbeiter der UN-Mission aus, kündigte die militärische Unterstützung der Blauhelme in der Westsahara auf und drohte, seine Soldaten auch aus anderen Blauhelm-Missionen abzuziehen. Ohne die Unterstützung Marokkos, so ein ehemaliger Militärbeobachter der Mission, wäre die MINURSO am Ende.

 

FLÜCHTLINGSLAGER

165.000 Flüchtlinge aus der Westsahara leben im Nachbarland Algerien, die meisten in selbstorganisierten Flüchtlingslagern. Ihr Flüchtlingsschicksal erstreckt sich bereits über drei Generationen.

Auch hinsichtlich der Situation in den Lagern entwickeln sich Diskurse in den internationalen politischen Gremien. Denn die scharf zunehmende Prekarität und der jahrelange Zustand des Ausharrens hat negative Auswirkungen. Notgedrungen entwickeln sich stadtähnliche Strukturen, die Schichten diversivisieren sich, zum Beispiel dadurch, dass es einigen RückkehrerInnen aus Europa gelingt, minimale Selbstständigkeit zu entwickeln. Zugleich ist die Selbstorganisation eine großartige Leistung, die Hubert Höllmüller, der Bildungsprojekte zwischen Österreich und der DARS organisiert, so beschreibt:

„Die von der POLISARIO beschworene Revolution und der Kampf gegen Sklaverei und Tribalismus ist eine Modernisierungsfolie, die die segmentäre Organisation nicht ersetzt hat, sondern bloß überformt. Das Schaffen von modernen Staatsstrukturen und die damit verbundene Rollenmehrzahl für die saharawischen Menschen bewirkt keine funktionale Differenzierung. Unbezahltes, symbolisch bezahltes und bezahltes Engagement passieren nebeneinander und von denselben Personen. Der permanente Ausnahmezustand sichert bis jetzt das segmentäre Organisationsprinzip. Dabei ist dieser erst durch Exil und Flüchtlingsrealität entstandene Staat in mehrfacher Hinsicht einzigartig.“

Generationen von Sahaouris sehnen sich nach der Rückkehr. Das ist Teil ihrer Geschichte und ihrer Identität. In den Lagern bleiben sie rechtlos und auf Hilfe von außen sowie des Gastlandes Algerien angewiesen.

Zwei Ärzte von medicins sans frontieres über den Gesundheitszustand der Flüchtlinge:

„Innerhalb einer Generation hat die durchschnittliche Körpergrösse um zehn Zentimeter abgenommen, ihr durchschnittliches Körpergewicht sogar fast um einen Drittel. Der Mangel an Vitaminen und Eiweiß hat verheerende Spuren hinterlassen.“

Die „Geberländer“, allen voran die USA reduzieren ihre Gelder weiter. Von den zunehmend rechtsgerichteten Regierungen in der EU ist immer weniger zu erwarten. Es ist eine Politik mit der Absicht des langsamen Aushungerns, ähnlich den internationalen US-gepushten Maßnahmen gegenüber den PalästinenserInnen.

Und wie sie in den Lagern im Libanon, sind die Sahaouris zu einem prekären Leben in einer permanenten Warteposition verurteilt. Kein Zweifel, dass sich der Wunsch nach einem Leben in Würde und Selbstbestimmung Wege des Widerstands sucht.

LEBEN IM BESETZTEN LAND

100.000 bis 150.000 Sahaouris befinden sich in der besetzten Zone – gemeinsam mit 160.000 marokkanischen Polizisten und Soldaten.

Menschenrechtsverletzungen gegen Sahaouris sind tägliche Praxis: Überwachung, willkürliche Festnahmen und unangemessene Gerichtsverfahren, bis hin zu Folter in Gefängnissen. Jegliche Kritik an der marokkanischen Westsahara-Politik wird verfolgt und unterbunden. Die Erwähnung des Referendums wird als Angriff auf die territoriale Integrität gewertet und schwer geahndet. 500 Sahaouris sind in Gefängnissen „verschwunden“. Familienangehörige, die über ihr Schicksal erfahren wollten, wurden festgenommen und gefoltert.

Es ist skandalös, dass der UN-Sicherheitsrat am 30. Oktober 2019 das UN-Mandat MINURSO um ein weiteres Jahr verlängert hat – erneut mit dem Verbot, Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren. Auch die Verleihung des alternativen Nobelpreises an die sahaourische Menschenrechtsaktivistin Aminatou Haidar hat daran nichts geändert. Einflussreiche Medien berichteten nicht einmal darüber.

Verglichen mit der Aufmerksamkeit die der Unabhängigkeitsbewegung in Hong Kong geschenkt wird, kann das als rassistische Diskriminierung der Sahaouris gewertet werden, worauf ein Schweizer Korrespondent zu Recht hinweist.

 

INTERESSEN DER EU

2018 hat der Europäische Gerichtshof bestätigt, dass Marokko keine Fischereiberechtigung im Gebiet der Westsahara habe. Marokko fror daraufhin die Beziehungen zur EU ein, was Frederica Mogherini – vermutlich auf Druck Frankreichs und Spaniens hin – rasch dazu bewog, der Monarchie zuzusichern, dass Widerspruch gegen diese Entscheidung eingelegt werde. In Folge hat die EU aufs Neue das Fischerei-Abkommen mit Marokko bekräftigt. Wie in Palästina, gehen Geschäftsinteressen vor Völkerrecht und Menschenrecht.

Die Ignoranz gegenüber dem Recht bezieht sich zudem auf weitere Ressourcen in der Westsahara: Phosphat, Erdöl, Erdgas, Kohle, Edelsteine und Metalle.

Was die EU noch an das marokkanische Regime fesselt, ist ihr Rassismus, basierend auf der Leugnung der eigenen Geschichte und Gegenwart. Flüchtlinge, die über die spanischen Enklaven auf marokkanischem Boden Ceuta und Melilla nach Europa kommen wollen, werden von Marokko unter Einsatz von Gewalt abgehalten.

Im Januar 2019 hat die EU dem Königreich insgesamt 140 Millionen Euro an Hilfen für „Grenzschutz“ zugesagt. Menschenrechtsorganisationen in Marokko bezeichnen die dafür angewandten Methoden der marokkanischen Marine als rechtswidrig: viele Boote seien gekentert, es gäbe viele Vermisste und Tote.

Am 20. Dezember 2019 kündigte die Europäische Kommission neue Kooperationsprogramme im Wert von 389 Mio. Euro zur Unterstützung diverser Reformen und der „Grenzverwaltung“ an.

 

WAS TUN?

Der Politikwissenschaftler Werner Ruf sagt im Deutschlandfunk: „Wenn man gegenüber einem Land wie Marokko Druck machen will, dann kann man es nicht auf der einen Seite hofieren, kann man nicht auf der einen Seite groß die Grüne Woche feiern, den Tourismus feiern oder darüber hinwegsehen, dass Marokko nach wie vor die Westsahara völkerrechtswidrig besetzt hält. Dann muss man dort ansetzen, wo man Druck ansetzen kann. Das hat natürlich dann wieder Rückwirkungen auf unsere eigene Wirtschaft.“

Internationale Proteste gegen Kooperationen und Geschäfte mit Marokko, insbesondere wenn sie sich gegen die Ausbeutung der besetzten Westsahara richteten, sind zum Teil erfolgreich. So kommt der deutsche Automobilzulieferant Continental momentan stark unter Druck von MenschenrechtsaktivistInnen. Wenn allerdings der Druck nachlässt, beginnen die Geschäfte erneut.

Western Sahara Ressource Watch, eine weltweit aktive Solidaritätsgemeinschaft schreibt: „Jede Geschäftsbeziehung mit marokkanischen Firmen oder Verwaltungen in den besetzen Gebieten verleiht dieser Besetzung ein Stück politische Legitimität. Sie schafft Arbeitsplätze für marokkanische Siedler und verschafft der marokkanischen Regierung Einnahmen. Western Sahara Resource Watch fordert alle ausländischen Firmen auf, die Westsahara zu verlassen, bis eine Lösung dieses Konfliktes herbeigeführt worden ist.“

Die Vereinigung hat auch in Österreich eine Ansprechpartnerin: Karin Scheele, Landtagsabgeordnete der SPÖ in Niederösterreich.

Ob und wenn welche Aktivitäten WSWR in Österreich setzt, war über Internetrecherche nicht herauszufinden.

Der WK-Außenwirtschaftsreport Marokko jedenfalls wirbt mit den „sehr guten“ Wachstumsperspektiven für das Land, insbesondere für österreichische Lieferanten von Maschinen und Anlagen. Er lobt die „grundsätzlich optimistische Stimmung und die Transformation Marokkos hin zu einem höheren Entwicklungsstand“.

Zur Situation Westsahara ist zu lesen: „Die Verabschiedung der EU-Abkommen über Landwirtschaft und Fischerei durch das Europaparlament bestätigt, dass „jedes Abkommen, das die marokkanische Sahara abdeckt, nur vom Königreich ausgehandelt und unterzeichnet werden kann, wenn es seine volle Souveränität über diesen Teil seines Territoriums ausübt.“ Durch besonders vorteilhafte Bedingungen sollen ausländische Investoren angezogen werden. In letzter Zeit wurde und wird sehr viel an öffentlichen Mitteln dort investiert um Landwirtschaft, Tourismus, Fischerei und Aquakultur sowie erneuerbare Energien auszubauen. Auch will man durch besonders vorteilhafte Bedingungen ausländische Investoren anlocken. Es bestehen keine Bedenken auf Firmenebene, Kontakte zu Unternehmen in der Westsahara zu pflegen. (im Original fett)

Die Begriffe Völkerrecht, Menschenrecht kommen im Bericht nicht vor.

Dass die österreichische Volkshilfe in der Entwicklungszusammenarbeit mit der Westsahara aktiv ist und die FH Kärnten, Studiengang Soziale Arbeit, mit der sahaourischen Universität Tifariti in einem Erasmus+ Projekt zusammenarbeitete, sind nennenswerte Maßnahmen.

Doch solange das Königreich Marokko auf EU-Ebene nicht effektiv unter Druck gesetzt wird, verschlimmert sich die Lage der Sahaouris. Islamistisch motivierte Kräfte versuchten bereits, sich der Flüchtlingslager zu bedienen. Zugleich bauen die USA die militärische Zusammenarbeit mit Marokko aus, das Königreich kauft Panzer und F16-Kampfflugzeuge. Das strategische Interesse der Weltmacht an der Sahel-Region ist ungebrochen, ihre Militarisierung schreitet mit Riesenstiefeln voran.

Welche Möglichkeiten bleiben den Sahaouris für ihren Weg in Freiheit und Selbstbestimmung unter diesen Bedingungen?

Wie können sie, ausgesetzt der Doppelmoral der Kolonialmächte, die Rechte predigen und Ressourcen trinken, überleben?

Diese Frage steht groß im Raum.

Wir in Europa jedoch sind in der Lage etwas tun. Eine aktive, solidarische Zivilgesellschaft kann die EU dazu zwingen, ihre propagierten Standards einzuhalten.

Boykott, Desinvestment und Sanktionen, wie es die BDS-Kampagne gegen die israelische Besatzung erfolgreich praktiziert, wären ein Werkzeug dafür.

Letztendlich ist es aber der Neoliberalismus, als systemischer Verursacher von Kolonialismus und Krieg, dem wir entgegentreten müssen.

Für die Freiheit der Sahaouris, der PalästinenserInnen und aller Unterdrückten dieser Welt.

 

Februar 2020

HS

 

http://kpoe-bildungsverein.at/westsahara-die-letzte-kolonie-afrikas-geschichte-und-gegenwart-eines-vergessenen-konflikts/

 

https://de.wikipedia.org/wiki/Internationale_Anerkennung_der_Demokratischen_Arabischen_Republik_Sahara

 

https://www.dw.com/de/westsahara-streit-un-team-verl%C3%A4sst-marokko/a-19130206

 

https://www.dw.com/de/un-mission-in-der-westsahara-die-h%C3%BCter-des-status-quo/a-19205987

 

https://soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/view/621/1084

 

https://www.dw.com/de/bei-den-vergessenen-fl%C3%BCchtlingen-aus-der-westsahara/a-47975736

 

https://www.derstandard.at/story/2000011371493/westsahara-durch-minen-und-sand-vom-heimatland-getrennt

 

https://www.disorient.de/blog/menschenrechte-der-westsahara

 

https://www.amnesty.de/jahresbericht/2018/marokko-und-westsahara

 

https://de.qantara.de/inhalt/demokratie-und-menschenrechte-in-marokko-der-polizeistaat-ist-zur%C3%BCck?page=0%2C1

 

https://www.infosperber.ch/FreiheitRecht/Grosses-Schweigen-zu-Marokkos-Kriegsverbrechen-in-Westsahara1

 

https://www.infosperber.ch/Artikel/FreiheitRecht/Sahraouische-Fluchtlinge-Polisario-Marokko-UNHCR

 

https://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/weltspiegel/sendung/westsahara-marrokko-konflikt-100.html

 

https://mediendienst-integration.de/migration/flucht-asyl/eu-asylpolitik.html

 

https://www.tagesschau.de/ausland/spanien-marokko-seenotrettung-101.html

 

https://wsrw.org/lDE

 

https://www.wsrw.org/a186x1451

 

https://www.volkshilfe.at/was-wir-tun/positionen-projekte/entwicklungszusammenarbeit/westsahara/

 

https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/die-marokkanische-wirtschaft.html

 

https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/marokko-laenderreport.pdf

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