Der Friede in Nahost braucht zunächst Parteilichkeit für die Sache der PlästinenserInnen!

Franz Sölkner

Der Friede in Nahost braucht zunächst Parteilichkeit
für die Sache der PlästinenserInnen!

(Konzept für eine Rede bei der Gaza-Friedenskundgebung am 10. 01. 2009 in Graz)

Liebe Freunde,
die Ihr mit mir seit Jahren vergeblich auf einen gerechten Frieden in Nahost hofft und die Ihr nun erneut entsetzt sehen müsst, wie die Furie des Krieges in Gaza wütet!

So wie die Hamas heute, war die PLO in den 70er-Jahren in den Augen der israelischen und der westlichen Regierungen nicht mehr als eine Terror-Organisation. Auf der anderen Seite „keinen Verhandlungspartner für einen Frieden“ zu haben, war daher schon damals ein Stehsatz des offiziellen Israel.

Frieden kann ich nur mit einem Feind schließen
Bruno Kreisky hatte – gemeinsam mit Olof Palme – zum Nahostkonflikt eine sehr weise Außenpolitik entwickelt. Er wusste, dass man Frieden nur mit Feinden schließen kann. Das war der Grund weshalb er mithalf, Yassir Arafat und seine PLO international aufzuwerten und so für Israel zu einem Verhandlungspartner zu machen, der nicht weiter ignoriert werden kann.

Kreisky sagte auch, dass „die große Politik sich tatsächlich oft so abspielt, wie der kleine Maxl sich das vorstellt“. In diesem Sinne braucht ein dauerhafter Friede zwischen Israel und dem palästinensischen Volk zunächst Parteilichkeit zugunsten des Schwächeren. Wenn ein stark überlegener Gegner seit Jahrzehnten auf der Brust des Schwachen kniet und ihn würgt, sodaß er zu ersticken droht, so wird der Unterlegene ihm Rahmen seiner beschränkten Möglichkeiten natürlich wild um sich schlagen.

Die strukturelle Gewalt geht von Israel aus
Und dies ist bei den PalästinenserInnen der Fall: Sie üben Gewalt gegen Israel aus. Diese Anschläge sind primär Ausfluß von Verzweiflung über ein angetanes Unmaß an struktureller Gewalt und Verletzung der Würde im Alltag. Verzweiflung über ein Leben unter täglichen Schikanen und Demütigungen an hunderten Checkpoints, Landraub und Wasserraub in der Westbank, willkürliche Beschränkung von lebensnotwendiger Versorgung im Gaza; gezielte Liquidation der gewählten VertreterInnen und die Inhaftierung von 10.000 politischen Gefangenen in Israelischen Gefängnissen. Um diese Dimension zu erfassen braucht man nicht einmal Informationen von den PalästinenserInnen. Dazu genügt es die Internetseiten der Israelischen Friedensgruppe „Gush Shalom“ oder der bewundernswert mutigen Gruppe von Frauen aufzusuchen, die an den Checkpoints Übergriffe der israelischen Soldaten zu verhindern versuchen. Oder die Interviews und Bücher hellsichtiger Israeli wie Uri Avnery, Moshe Zuckermann, Amira Hass, Felicia Langer usw. zu lesen.

Äquidistanz ist unangebracht
Angesichts dieser Fakten und in der gegebenen Situation in Gaza kann sich eine Friedensbewegung nicht einfach äquidistant-neutralistisch in die Mitte stellen. Allein die Zahlen der Opfer macht die Unverhältnismäßigkeit der direkten Gewalt klar. Bei der 1. Intifada (1987 bis 1993) – das ist jene, bei der palästinensische Jugendliche vor allem Steine geworfen haben – kamen mit insgesamt 2200 PalästinenserInnen 10 mal mehr Menschen ums Leben als auf Seite der Israelis. Bei der stärker von palästinensischen Selbstmordattentaten geprägten 2. Intifada (2002 bis 2008) starben ca. 5000 AraberInnen und 1000 Israelis. Nach Angaben der größten israelischen Menschenrechtsorganisation B´Tselem starben im Nahostkonflikt im Jahr 2006 auf palästinensischer Seite 657 und 23 auf der Seite Israels. 2007 war das Verhältnis 379 zu 13. Der aktuelle Stand im Krieg egen Gaza überbietet alle diese Zahlen: Ca. 15 Tote Israelis stehen bisher an die 700 getötete BewohnerInnen Gazas gegenüber.!

Das Scheitern Arafats …..
Und es wiederholt sich das bekannte Spiel: Die Hamas sei kein Verhandlungspartner, sie müsse zunächst die Existenz des Staates Israel völkerrechtlich anerkennen, sagt Israel. Die Hamas will das vorweg nicht tun und hat eine entscheidende historische Erfahrung dafür. Arafat hat diese Vorleistung erbracht, es kam 1993 zum Oslo-Friedensprozeß und zu mehreren Jahren ohne palästinensische Anschläge. Während man aber über einen lebensfähigen 2. Staat auf dem Territorium des historischen Palästina verhandelte hat Israel seine Siedlungspolitik im Westjordanland ungeniert fortgesetzt und sogar forciert. Während man also über das „Pizzastück“ verhandelte „hat Israel nicht aufgehört die Pizza allein aufzuessen“ (Michael Tarazzi). Nach der ebenfalls aus innerisraelischen Wahlkampfzwecken erfolgten Provokation Scharons am Tempelberg im Herbst 2000 brach die 2. Intifada aus und am Ende saß Arafat bei Kerzenlicht im Keller seiner Residenz in Ramallah. Umstellt von Israelischen Panzern. Es war – neben der Korruption in den Reihen der Fatah – diese Erfahrung des Scheiterns der gemäßigten Linie Arafats, die entscheidend zum Wahlsieg der Hamas im Jänner 2006 beigetragen hat.

….. und die Lehren daraus
Ich denke daher, dass es verständlich ist, dass die Hamas vor Friedensverhandlungen nicht noch einmal die Vorleistung der Anerkennung Israels erbringen will. Friedensverhandlungen führt man mit Feinden und die Anerkennung Israels wird logischerweise ebenso Teil des Friedensvertrages sein wie die Existenz eines selbstständig lebensfähigen Staates Palästina. Die nationale Heimstatt des jüdischen Volkes in Form der Existenz Israels innerhalb seiner völkerrechtlich garantierten Grenzen hat für uns, die Nachkommen unserer Väter- und Großvätergeneration, die den Holocaust verbrochen hat, eine selbstverständliche, nicht verhandelbare Position zu sein. Für die seit 1967 unterdrückten Palästinenserinnen muss es das nicht sein. Und sollte Israel in seinen Grenzen vor 1967 einmal in seiner Existenz tatsächlich so gefährdet sein wie es die Freiheit und Würde des Palästinensischen Volkes aktuell ist, so werden wir uns in Solidarität mit dem Volk Israels zu ähnlichen Kundgebungen versammeln.
Übrigens – um auch hier das Mißverhältnis auf der Forderungsebene Israels deutlich zu machen – gibt es bis heute keine offizielle Anerkennung Israels seiner Verantwortung an der „Naqba“, der Zerstörung von mehr als 400 Dörfern und der gezielten Vertreibung von mehr als 700.000 PalästinenserInnen im israelischen Unabhängigkeitskrieg 1948. Und erst Recht keine offizielle Entschuldigung oder gar Entschädigung dafür.

Internationaler Druck auf Israel ist notwendig
Es ist also im ursprünglichen Sinn des Wortes „not-wendig“ hier und heute in solidarischer Parteilichkeit auf Seite der PalästinenserInnen zu stehen. Es gibt zwar ein ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis Israels aber es gibt keine ausgeprägte Bereitschaft Israels seine Großisrael-Träume endgültig zu begraben und die PalästinenserInnen in Freiheit und Würde leben zu lassen. Kurz: Es gibt derzeit keinen hinreichenden Friedenswillen auf Seite Israels. Ihn zu schaffen wird es starken internationalen Druck auf Israel brauchen.
Diesen auf Europäischer Ebene mit herbeizuführen ist unsere Aufgabe!

Öffentliche und veröffentlichte Meinung
Das Medium über das wir diesen Druck mit herbeiführen können ist die öffentliche Meinung hierzulande. Bekanntlich gibt es ja einen Unterschied zwischen öffentlicher Meinung und veröffentlichter Meinung. Diese Kluft ist im gegebenen fall besonders groß. Wir wissen aus Umfragen, dass – anders als unsere Regierungen und die außenpolitischen Redakteure in den Redaktionsstuben – die Mehrheit der Menschen auch in Österreich die primäre Bringschuld für einen Frieden bei Israel gegeben sieht. Wir müssen diesen Druck verstärken und wo immer wir können, uns zu Wort melden.

Am Beispiel der Kleinen Zeitung
Und das kann durchaus erfolgreich sein. Wer etwa die Berichterstattung der Kleinen Zeitung in den letzten zwei Wochen verfolgt hat, wird einen Wandel bemerkt haben. Zunächst wurde deutlich proisraelisch berichtet. Der Höhepunkt war dabei am 5. Jänner als man das Argument Olmerts, wonach „diese Reaktion Israels unvermeidlich gewesen sei“ völlig undifferenziert als Schlagzeile übernahm. Weiter hinten im Text von Gil Yaron konnte man damals lesen, dass die bewußt eingesetzte Strategie der unverhältnismäßigen Gewaltreaktion Israels durch Ihren „Erfolg gerechtfertigt“ sei. Was für ein Argument! Genauso, ohne jede völkerrechtliche und menschenrechtliche Einschränkung, eignet es sich fallweise auch trefflich für den Einsatz von Atomwaffen: Die Friedhofsruhe als Erfolg!
Die Leserschaft der Kleinen Zeitung scheint diese deutlich proisraelische Berichterstattung nicht goutiert zu haben. Viele Leserinnen scheinen ihren Unmut der Redaktion gegenüber deutlich gemacht zu haben. Auch ich habe dem Chefredakteur geschrieben. Sichtbar wurde dieser Unmut bald darauf in einer Leserbrief-Doppelseite die voll war von Kritik an Israel. Der Israel-Korrespondent Gil Yaron hat seither keinen einzigen Artikel mehr geschrieben und die redaktionellen Beiträge der Kleinen Zeitung sind seither – so wie die Blattlinien vieler anderen Medien auch – deutlich ausgewogener.

Der unterschlagene Zusammenhang
Freilich haben diese ausgewogenen Berichterstattungen aus friedenspolitischer Sicht noch einen großen – und man darf vermuten gewollten – Mangel. Man beschränkt sich auf den aktuellen Fall Gaza, spielt das kindliche Spiel des „der hat zuerst angefangen“ zum Nachteil der PalästinenserInnen und hält drei unschuldige Totesopfer auf Seite Israels für gleich empörend wie dreihundert auf Seite der Palästinenserinnen.
Was dabei im Dunklen bleibt, ist der strukturelle Hintergrund des anhaltenden Unfriedens und der immer wieder explodierenden Gewalt. Die 40 jährige Besatzung und Unterdrückung der palästinensischen Gebiete durch Israel und die Drangsalierung der unterworfenen Bevölkerung. Diese Art der Darstellung des von seiner Geschichte abgeschnittenen und aus seinem größeren Zusammenhang gerissenen Konflikts wirkt objektiv zugunsten der Besatzer und Unterdrücker. Sie verhindert eine gefühlsmäßige Solidarisierung mit den Unterdrückten. Und – was noch wichtiger ist! – sie läßt die, über einen aktuell notwendigen, beiderseitigen Waffenstillstand hinausgehenden grundsätzlichen Lösungsmöglichlkeiten im Dunkeln und schafft so die Voraussetzungen für kommenden Eskaltionen der Gewalt.

Teilen und herrschen – in Nahost und in unseren Köpfen
Diese von den größeren Zusammenhängen ablenkende Berichterstattung liegt also im objektiven Interesse Israels. Sie geht konform mit der politischen Strategie des Teilens und Herrschens, das die „Friedenspolitik“ Israels seit 1967 charakterisiert. Anstatt eine Gesamt-Nahost-Friedensregelung anzustreben war diese Politik darauf aus die Friedensfrage und die davon betroffenen potentiellen Gesprächspartner zu fragmentieren. Mit den umliegenden Staaten sollten unter Ausklammerung der Frage der Rechte der PalästinenserInnen Einzelfriedensverträge geschlossen werden und die PalästinenserInnen sollten – im zutreffend umgangssprachlichen Wortsinn – „übrigbleiben“. Mit Ägypten und Jordanien ist das gelungen. Um Syrien wird derzeit geworben. Im Libanon ist das gründlich danebengegangen. Das israelische Kalkül: Wenn es keine staatlich organisierten äußeren Schutzmächte für die PalestinenserInnen mehr gibt, die das Faustpfand des Friedens als Hebel dazu benutzen, Gerechtigkeit, Recht und Freiheit auch für die PalästinenserInnen abzusichern, dann können wir mit diesen völlig nach unserem Belieben verfahren und brauchen Ihnen nur minimalste Zugeständnisse machen.
Teile und herrsche – das war auch die Strategie gegenüber den PalästinenserInnen selber. Die Spaltung zwischen der Fatah und der hamas, zwischen der Westbank und dem Gaza sind vor allem Erfolgsprodukte der Politik Israels. Und diese Zersplitterung des Zusammenhangs setzt sich in analoger Weise über unsere Massenmedien hinein in die Köpfe der LeserInnen erfolgreich fort.

Moralische Verpflichtung und langfristiges interesse
Angesichts der ungeheuren Schwierigkeiten in diesem Konflikt zu einer grundsätzlichen Friedenslösung zu kommen, die den PalästinenserInnen Gerechtigkeit, Recht und Freiheit und den Israelis Sicherheit verschafft, könnte nun natürlich jemand fragen, wieso wir uns da engagieren sollen? Meine Antwort ist: Wir müssen es tun und zwar nicht aus vordergründig moralischer Verpflichtung gegenüber den Opfern. Sondern aus einem längerfristigen Eigeninteresse.
Es gibt ja auch aktuell grausamere Gemetzel als jenes im Gaza. Denken wir nur an den Kongo mit seinen mehr als dreimillionen Toten in den letzten 10 Jahren. Und natürlich ist es eine Schande, wie wir in Europa das achselzuckend hinnehmen. Aber eine Hinnahme der Gewalt im Gaza wäre noch etwas anderes, nämlich „kurzsichtig und dumm“. In diesem Konflikt stoßen nämlich zwei mächtige Kulturkreise aufeinander. Er hat daher das Zeug den internationalen Terror anzuschärfen und längerfristig gar einen Weltenbrand auszulösen.

Um unserer eigenen langfristigen Sicherheit willen, müssen wir also einen Beitrag leisten, diesen Konflikt zu lösen. Dazu braucht es zunächst starken internationalen Druck auf Israel. Dazu können wir beitragen. Indem wir die öffentliche und die veröffentlichte Meinung beeinflussen. Indem wir Leserbriefe oder einem Chefredakteur schreiben. Indem wir den für unseren Wahlkreis zuständigen Abgeordneten anrufen und ihn auffordern nicht länger zu schweigen. Indem wir falls notwendig zu weiteren Kundgebungen kommen.

Nach dem Vorbild Kreiskys mit der PLO muss dabei im Mittelpunkt unserer Forderungen stehen, die Hamas von Seite der EU als demokratisch gewählte, legitime Vertreterin des palästinensischen Volkes anzuerkennen, den Boykott gegen sie aufzuheben und von Israel zu fordern, dass es der Hamas Friedensgespräche ohne Vorbedingungen anbietet.

Ich danke Euch für Euer Hiersein.

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