Stellungnahme zum Vorwurf des Antisemitismus

Franz Sölkner, Obmann der Steirischen Friedensplattform, wurde aufgrund des von ihm verfassten und am 07. Jänner 2009 in der Kleinen Zeitung veröffentlichten Leserbriefes mit dem Vorwurf des Antisemitismus konfrontiert und nimmt daher hier Stellung:

Der Leserbrief von Franz Sölkner:

Nicht friedensfähig

Israel ist Weltmarktführer in der Entwicklung und Produktion von „Sicherheitstechnologien“. Aufgrund dieses wirtschaftlichen Hintergrundes beschreibt Naomi Klein in ihrem 2007 erschienenen Buch „Schockstrategie“ Politik und Gesellschaft Israels als nicht mehr „friedensfähig“. Der nunmehrige, völlig überzogene Angriff auf Gaza scheint dies zu bestätigen.

Anstatt die alltäglichen Demütigungen der Menschen und die völkerrechtswidrige Besatzung in der Westbank zu beenden sowie Gaza aus seinem Status als „Groß-Guantanamo“ zu entlassen, schlägt man mit unverhältnismäßiger Gewalt auf den militärisch wesentlich schwächeren Gegner ein. Bin Laden lässt danken, seine Al Kaida wird auch in den kommenden Jahren keine Rekrutierungssorgen haben. Franz Sölkner, Thal

Der Vorwurf des Antisemitismus:

Lieber Franz,
da ich dein Engagement seit Jahren schätze, nehme ich nicht an, dass
du den Altnazis und Jungnazis in der Steiermark sowie den
muslimischen und anderen Klerikalfaschisten deine guten
pazifistischen Dienste in Form deines Leserbriefes anbieten wolltest.
Was ich immer bedenklich finde: Dass gerade die Nachkommen der
Judenvernichter aus Österreich und Deutschland sich geradezu
besessen  bemüssigt fühlen müssen, Israel zu kritisieren, anstatt
sich wenigsten einmal für die Untaten ihrer Väter bzw. Grossväter zu
schämen und in den eigenen Familiengeschichten herumzukramen, da käme viel Dreck zum Vorschein. (Damit meine ich natürlich nicht deine
persönliche Familiengeschichte, die mir unbekannt ist.) Und wenn sie
die Nachfahren  schon zum Krieg zwischen Palästinensern und Israelis
äußern müssen, dann sollten sie auch den Israelis Gerechtigkeit
widerfahren lassen oder eine differenzierte Sichtweise erkennen
lassen. Meine  erwachsene Tochter meinte zu mir, als wir über den
wachsenden offiziellen/medialen Antisemitismus anläßlich des Krieges
in Gaza telefonierten und ich  mich auch kritisch über den linken
„antizionistischen“ Antisimetismus äusserte: „Besser unpolitisch als
falsch politisch“,
mit besten Grüssen,

Stellungnahme von Franz Sölkner:

Servus ,

ich danke Dir für Deine Reaktion. Inhaltlich liegen wir da offensichtlich weit auseinnader. Ein paar Worte der Kritik sind rasch formuliert, die Auseinandersetzung mit Kritik braucht meist etwas mehr Raum und Zeit, daher ausführlicher aber natürlich nicht erschöpfend, nachfolgendes:

A. Damit Du hinsichtlich meiner Herkunft nicht im Dunklen tappst: Ja, mein Vater war überzeugter Nationalsozialist, schon Putschist im Juli 1934 und daraufhin inhaftiert später 6 Jahre Frontsoldat in der („normalen“) Wehrmacht. Nach meiner Einschätzung, eher einer von der Sorte 1 in der vereinfachten Skalierung des Oskar Werner. Du erinnerst Dich vielleicht: 1. Die intellektuell Dummen, 2. die charakterlich Miesen, 3. die, auf die 1 und 2 zutraf. Meine diesbezügliche Auseinandersetzung mit ihm war langdauernd und heftigst. Mir erwächst aus dieser Herkunft eine besondere Verpflichtung u.a. 1. Antisemitischen zu bekämpfen, 2. mich für das Wohlergehen von Juden in der Diaspora und für die Sicherheit der 1948 auf Basis des Völkerrechts geschaffenen Staates Israel einzusetzen.

B. Aus meiner Abstammung aus dem Tätervolk und einer Nazi-Familie erwächst mir keine Verpflichtung gegenüber der Politik Israels blauäugig zu sein. Wenn Du die höchst problematische „Teile-und-herrsche-Politik“ Israels gegenüber den PalästinenserInnen nicht sehen willst, so sei Dir das zugestanden, ich leiste mir diesen Luxus nicht. Meine wesentlichen Orientierungen nehme ich dabei an kritischen israelischen Publizisten (etwa Amira Hass), Historikern (wie etwa Ilan Pappe), an namhaften VertreterInnen der israelischen Friedensbewegung, vor allem von Gush Shalom (besonders Uri Avnery), und hellsichtigen Menschen im Diaspora-Judentum (Europäische Juden für einen gerechten Frieden, Felicia Langer, Rolf Verleger – von dem ich Dir einen aktuellen Text Beilege). Alle diese Namen sind – so wie der mir von Dir zugeschickte link des cafecritique – leicht zu googeln.

C. Ich würde mich nicht als Pazifist bezeichnen, weil ich mir nicht zutraue, den damit verbundenen hohen Anspruch auch unter den Bedingungen einer starken Repression glaubhaft umzusetzen. Wohl aber beschäftige ich mich seit vielen Jahren intensiv mit der Friedensproblematik und seit dem Scheitern des Oslo-Friedensprozesses (erinnerst Du Dich: Arafat hatte die Vorleistung der Anerkennung Israels geleistet und sich auf den Friedensprozeß eingelassen. Während der Verhandlungen über das Pizzastück „palästinensische Gebiete und Rechte“ hat Israel mit forcierter Siedlungspolitik nicht aufgehört das Pizzastück, das zur Verhandlung stand, Stück für Stück weiter aufzusessen. Dann hat Sharon mit seiner – so wie gegenwärtig ebenfalls wahlpolitisch motivierten – Provokation am Tempelberg die 2. Intifada ausgelöst. Und am Ende ist Arafat bei Kerzenlicht im Keller seiner Residenz in Ramallah gesessen. Umstellt von israelischen Panzern. Es war – neben der Korruption in der Fatah – diese unübersehbare Demütigung und Desavouierung Arafats vor dem eigenen Volk, die der Hamas ihre heutige Stärke verliehen hat (übrigens: Nachdem sie von Seite Israels Ende der 80er- und Anfang der 90er-Jahre zur Schwächung der laiizistischen Fatah wohlwollend geduldet, manche meinen sogar aktiv gefördert worden war). Mit dem Effekt, dass Israel wieder vorgeben konnte, man habe keinen Partner für einen Friedensprozeß (den schwachen Abbas ignoriert sie dabei wahrscheinlich zurecht).
Offenbar näherst Du Dich der gesamten Problematik einerseits aus einer aus der Täterschaft unserer Elterngeneration genährten moralisch-schuldhaften Haltung gegenüber den Juden und andererseits aus einer gegenüber den aktuellen alltäglich-permanenten Schikanierungen, Leiden und Demütigungen der PalästinenserInnen fühllos-intellektuellen Position. Beides lehne ich ab. Je länger ich mich mit Friedensfragen befasse, umso mehr bin ich überzeugt, dass es da auch Empathie und nüchterne konkrete Solidarität braucht und dass es Konflikte gibt, bei denen eine darauf bezughabende praktisch relevante Friedenspolitik zunächst eine klare Parteilichkeit braucht. Der gegenständliche Konflikt ist ein solcher. Die Geschichte und das Mißverhältnis an Machtmitteln der beiden Parteien machen deutlich, dass zunächst deutliche Parteilichkeit für die PalästinenserInnen angberacht und starker internationaler Druck auf Israel notwendig ist.

D) Der Krieg im Kongo ist zweifellos grauslicher als jener im ehemaligen Palästina. Jener in Nahost hat aber die Potenz global relevante Unfriedenszustände zu entfachen. Selbst aus der engeren Interessenslage der Europäer ist es daher kurzsichtig den notwendigen Druck auf Israel zugunsten eines für die PalästinenserInnen annehbaren Verhandlungsangebotes nicht auszuüben. Und man tut Freunden nichts Gutes, wenn man Ihnen den den Dienst der deutlichen Kritik verweigert.

E) Mein Leserbrief versuchte mit zwei oder drei kleinen Teilargumenten, eines davon war der Hinweis auf den tatsächlich überbordenden militärisch-industriellen Komplex Israels, einen kleinen Beitrag zu leisten, um den von mir als notwendig erachteten öffentlichen Druck zu verstärken. Hinsichtlich der mangelnden politischen Friedenswilligkeit bzw. der dahinter stehenden mangelnden strukturellen Friedensfähigkeit auf Seite Israels, hätte ich noch weitere Argumente anführen können. Etwa: Die Nutzung des Angriffs als Wahlkampfstrategie; die ideologisch noch immer nicht erledigten zionistischen Träume von einem Großisrael, die man halt jetzt in abgespeckter Form mit Bantustans zu realisieren hofft; die innere Zerrissenheit der israelischen Gesellschaft (in den Spannungsfeldern Laiizisten – Orthodoxe, Europäer – Orientalen, Altsiedler – Neuzuwanderer, etc.), für deren funktionieren ein äußerer Feind und fallweise gewalttätige gemeinsame Kriegshandlungen ein geeigneter Kitt sind. All das zu sehen, kann Dir, der Du als gewachsener Linker – wie ich aus anderen Zusammenhängen weiß – zu einer differenzierten, kritischen politischen Analyse in hohem Ausmaß fähig bist, grundsätzlich nicht unmöglich sein. Im Fall Israels willst Du es halt nicht. Das nehme ich zur Kenntnis.

F) Zum Antisemitismusvorwurf gegen meine Israelkritik: Kommt ein solcher von Juden ( – das war etwa vor zwei Jahren von der Seite Ali Kaufmanns der Fall, siehe Beilage), bin ich immer wieder betroffen. Dieses Volk wurde in der Shoa so schwer verletzt, dass Ihre Hypersensibilität verständlich ist. Bei Dir lässt er mich, weil faktisch nicht gegeben, unberührt.

G) Die Zustimmung Deiner Tochter ändert nichts an der Unhaltbarkeit Deines Vorwurfs, ist für Dich aber sicher erfreulich.

Unabhängig davon: Derlei Debatten sind offensichtlich notwendig und wichtig. Gern führe ich sie mit Dir auch einmal in einer persönlichen Begegnung und wenn gewünscht auch öffentlich.

MfG,
Franz Sölkner

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