Bericht von Christine Hödl: Reise zu den Zapatistas

Liebe Freundinnen und Freunde,

Heute möchten wir euch von unserer Reise zu den Zapatistas, zum dreissigsten Jahrestages des Beginnes des Krieges gegen das Vergessen erzählen.

Aber nicht nur das. Seit unserer letzten Sendung haben die Zapatistas weitere 11 Kommuniques geschrieben, auch darüber werden wir sprechen, soweit es die Zeit erlaubt.

In Chiapas waren wir zuerst in Acteal. In Acteal wurden am 22.12.1997 45 Indigene von Paramilitärs ermordet. Warum? Weil sie den ZapatistInnen nahestanden, weil sie sich gegen die Unterdrückung, Vertreibung und Ausbeutung wehrten. Obwohl sie das total gewaltfrei machen, oder gerade deswegen, waren sie den Obrigkeiten ein Dorn im Auge und die machten die schmutzige Arbeit nicht selber sondern versorgten paramilitärische Gruppen, ebenso indigene Menschen wie die Angegriffenen, mit Waffen und es kam zu diesem furchtbaren Massaker kurz vor Weihnachten.

Jedes Jahr erinnern sich die Menschen von Acteal an dieses furchtbare Ereignis. Sie werden nicht vergessen und sie fordern Gerechtigkeit, die sie noch immer nicht erhalten haben. Denn bisher wurde keiner der Schuldigen verurteilt. Die Abejas de Acteal = die Bienen von Acteal sind gläubige Menschen, der verstorbene Bischof von San Cristobal, Don Samuel Ruiz, ein echter Befreiungstheologe, stand ihnen sehr nahe. Der 22. Dezember beginnt daher immer mit einer peregrinación = einer Prozession, bei der die Kreuze der ermordeten Menschen voller Würde von den Indigenen Tzotziles getragen werden. Es wird gebetet, Ansprachen werden gehalten und es gibt auch Musik. Dann erfolgt die Ankunft in Acteal. Über einen steilen Abhang, der jetzt mit Stufen ausgebaut ist, kommt man zur Kirche und zum Gebetsraum, wo damals die betenden Menschen ermordet wurden. Oben an der Straße steht ein beeindruckendes Denkmal eines belgischen  Künstlers, la columna de la infamia = Die Säule der Schande. Unten, im Areal von Acteal haben die Menschen ein riesiges Auditorium errichtet, oder besser gesagt, ein Dach über einem grossen Platz, flankiert von einem Halbkreis mit aufsteigenden Sitzreihen aus Beton. Von diesem Auditorium hat man einen atemberaubenden Blick in die wunderschöne Bergwelt der Altos de Chiapas = dem Hochland von Chiapas, mit seinen nebelverhangenen Bergen, dann kommt plötzlich wieder die Sonne durch und man sieht in der Ferne Wälder, Kaffeeplantagen und Bananenstauden. Ganz oben am Zugang zum Auditorium hängt eine grosse manta = ein Transparent mit den Worten: ´Alto a la masacre en Palestina. Desde la tierra sagrada de los martires de Acteal = Stoppt das Massaker in Palästina. Von der heiligen Erde der Märtyrer von Acteal´.

In diesem Auditorium beginnt dann die Erinnerungsfeier zuerst mit den politischen Ansprachen, anschließend die Messe und dann beginnt das Feiern. Alle werden zum Mittagessen eingeladen und zum Abschluss wird bis zum Abend getanzt.

Die Ansprache wurde von einer jungen Frau verlesen. Auf spanisch, nicht auf tzotzil, das ist die Sprache der Indigenen von hier. Wohl deshalb, damit alle Gäste verstehen, und das Original in tzotzil kennen die Menschen von hier ja ohnehin bereits.

Sie sagen, dass es nach 26 Jahren noch immer keine Gerechtigkeit gibt. Sie wollen eine ´justicia con dignidad = eine würdige Gerechtigkeit´. Sie fordern, dass alle Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden, und alle werden beim Namen genannt. Das beginnt mit dem damals im Amt stehenden Präsidenten von Mexiko, Innenminister, Kriegsminister, dem Gouverneur von Chiapas und verantwortlichen Beamten der sogenannten Indigenen-Angelegenheiten. Das sind die sogenannten ´planenden´ Verbrecher. Hinzu kommen die Ausführenden, die Paramilitärs. Auch von denen ist niemand im Gefängnis. Das heißt, sie waren mal eingesperrt wurden aber alle vorzeitig freigelassen. Auch diese müssen gerichtet werden. Aber vor allem klagen sie den mexikanischen Staat des Verbrechens gegen die Menschlichkeit an. Aber bisher geschah nichts. Ganz im Gegenteil, der jetzige Präsident AMLO hat vor kurzem einen dieser Verbrecher prämiert. Aber durch den Tod haben die Abejas den Weg des Widerstandes gefunden. Das Blut der Märtyrer hat die Erde fruchtbar gemacht. Als gläubige Menschen bauen sie jedoch auf einen gewaltfreien Widerstand, die Stärke dafür finden sie in ihrem Glauben. In dieser kraftvollen Ansprache wird auch ausgedrückt, dass die Armen von den Mächtigen ausgebeutet werden, dass die Regierungen und das Militär nur zur Unterdrückung da sind und dass sie ein ´würdiges Leben = la vida digna´ suchen. Alles ist sehr poetisch ausgedrückt, das kommt wohl davon, dass sie es erst in tzotzil geschrieben haben und dann auf spanisch übersetzen.

Die Messe wird von verschiedenen Priestern und vom Bischof von San Cristobal konzelebriert. Ein großer Teil wird dabei auf tzotzil gesprochen. Die Predigt des Bischof wird übersetzt, denn der Bischof spricht zwar ein wenig tzotzil, aber zum Predigen reicht es wohl nicht.  Der Chor von Acteal, ein wunderschöner Chor von jungen Menschen aus dem Ort, untermalt die Messe und sie singen auch Lieder des Widerstands.

Daher hören wir jetzt den Coro de Acteal mit einem Lied, welches sie während der Prozession singen

3.32 Min

Die ´Feier des 30. Jahrestages des Beginnes des Krieges gegen das Vergessen – el 30 aniversario del comienzo de la guerra contra el olvido´ – fand in der zapatistischen Comunidad Dolores Hidalgo statt = im  Caracol “Resistencia y Rebeldía: Un Nuevo Horizonte”, eröffnet vor 3 Jahren im Dorf von Dolores Hidalgo, auf zurückerobertem Land. Hier war vor 1994 eine Finca – also ein Grossgrundbesitz von 3000 Hektar, dieses Land haben die ZapatistInnen sich 1994 zurückgenommen.

Die Einladung erging an alle Menschen und Organisationen, welche die Erklärung für das Leben, damals anlässlich der Reise der ZapatistInnen nach Europa im Jahr 2020 unterschrieben hatten. Es war eine Einladung aber gleichzeitig auch eine ´Ausladung`. Nämlich deshalb, weil es anders als in all den Jahren und Jahrzehnten vorher bei ihnen nicht mehr so sicher ist, den ZapatistInnen die Sicherheit ihrer Besucher aber sehr am Herzen liegt. Warum? Weil sich auch in Dörfern in Chiapas die Drogenmafia breitgemacht hat und die sogenannten mexikanischen Sicherheitskräfte statt die Menschen zu schützen sich für Drogenhändler und – bosse stark machen. (Wie ihr wisst, haben die Zapatistas in all den Jahren gegen die Drogen gekämpft, sie haben mit allen Mitteln verhindert, dass in ihren Gegenden Drogen angebaut werden. Natürlich gibt es bei den Zapatistas weiterhin keine Drogen, aber sie sind ja von Gemeinden umgeben, die nicht von Zapatistas bewohnt sind.)

Am 28.12. fahren wir mit einem Bus der bereits aus Mexiko City kommt, voller begeisterter solidarios, von San Cristobal de las Casas nach Dolores Hidalgo. Auch wenn die Entfernung nur ca.- 200 km beträgt, dauert die Fahrt 6 Stunden. Warum? Chiapas ist eine wunderschöne Landschaft, steile ´cerros´ = schroffe, steilabfallende unterschiedlich hohe Hügel, in einander übergehend, mit tiefen Einschnitten durchfurcht, Wälder, Maisfelder, Getreide, Bananenstauden, bunte Bougainvillas und die Straße schlängelt sich in unzähligen Kurven von einem Bergrücken zum anderen, vorbei an weit verstreuten Weilern und Dörfern oder einer Ansammlung von wenigen Häusern. Zusätzlich zur kurvenreichen Straße, die so schmal ist, dass zwei Fahrzeuge manchmal nur im Schritttempo aneinander vorbeikommen, sind diese Straßen auch oft nicht asphaltiert bzw. der Asphalt ist so ausgewaschen, dass die Schlaglöcher oft einen halben Meter tief sind. Zum Glück regnet es noch nicht, denn dann sind die Straßen schlammig und die Löcher voller Wasser. Und dazu kommen die topes, das sind eine Art von Buckel, die immer, wenn man in ein Dorf kommt, auf der Straße anasphaltiert sind, damit die Menschen zum Langsam-Fahren angehalten werden, denn wenn man mit voller Geschwindigkeit über solch einen Buckel fliegt, kann das die Stoßdämpfer kosten, selbst bei den alten Volkswagen, die hier in großer Zahl unterwegs sind. Jedes Mal wenn ein Dorf schöner ist, die Häuser mit bunten Malereien gestrichen sind, dann handelt es sich um ein zapatistisches Dorf, große Tafeln nennen den Namen und zapatistische Leitsprüche sind auf Holztafeln gemalt und dazu der Hinweis: ´jetzt fehlen nur noch 5/6/… km´, oder: ´bald kommst du an´ oder: ´und du, was ist mit dir?`. Einige Kilometer vor unserem Ziel werden wir von Moped-fahrenden jungen zapatistischen Milizsoldaten gestoppt und sie fahren uns mit eingeschalteten Blinkern langsam voran. Es beginnt in Strömen zu regnen aber das stört unserer Eskorte nicht, obwohl sie nur mit dünnen Hemden bekleidet sind. An der Zufahrt zu Dolores Hidalgo bitten sie uns anzuhalten. Ein riesiges Banner mit der Aufschrift ´Bienvenidos – bienvenidas al  Caracol Dolores Hidalgo – Tierra de Nadie – Tierra de Todos – aqui se celebra el 30 aniversario del levantamiento armado contra el olvido contra la muerte y la destrucción´ ´Willkommen im Caracol Dolores Hidalgo -Niemandes Land – Jedermanns Land – hier wird der 30. Jahrestag der bewaffneten Erhebung gegen das Vergessen, gegen den Tod, gegen die Zerstörung gefeiert´. Nach kurzem Warten kommt Subcomandante Moises daher, er steigt in unseren Bus, begrüßt uns herzlich und sagt, dass die Vorbereitungen für das Fest noch nicht zu Ende sind und wir erst morgen hinein können und daher im Caracol ´Nuevo Jerusalem´ übernachten dürfen. Nach ca. 20 Minuten kommen wir dort an, werden herzlich aufgenommen, unsere Schlafstellen werden uns zugeteilt, die Temperatur ist angenehm, wir sind nämlich in der Zone zwischen den Altos de Chiapas, dem kühlen-kalten Hochland und dem feucht-heissen lakandonischen Regenwald, in der sogenannten Zone ´Dazwischen´. Das heißt, die Nächte im Schlafsack werden zwar hart aber nicht klirrkalt sein. Spätabends bekommen wir noch Bohnen, Gemüsesuppe, Kaffee und Tortilla, obwohl wir unangemeldet hereinklatschten. Nach der langen Busfahrt ohne Proviant mundet es allen vorzüglich.

 

Am 30.12. ist es dann so weit. Wir dürfen nach Dolores Hidalgo um zusammen mit allen anderen Bussen – 10 werden erwartet – gemeinsam einzutreffen. Nachdem die Busse, die gestern Abend von Mexiko Stadt abfuhren, wegen Strassenblokaden stundenlange Verspätungen haben, werden wir vorab empfangen. Von der Haupt-Verkehrs-Straße führt eine schmale Seitenstraße in ein Tal hinunter. Von oben sieht man ein riesengroßes freies Feld für die Feier, auf zwei Seiten umgeben von zwei Reihen hölzerner grobgezimmerter Sitzbänke, ein leichtes Gerüst darüber ist mit Schilfblättern als Sonnenschutz bedeckt. An der Vorderseite des Riesenfeldes eine große Tribüne und an der Rückseite dienen aus zu Stockerln umgeformte Baumstämme als Sitzgelegenheit. Dahinter, also rund um das Feld, kommen ein breiter Gehweg und dahinter die Suppenküchen. Vorne offen, die Hinter- und Seitenwände aus Holzbrettern und die riesigen Töpfe köcheln auf offenem Feuer dahin.  Es gibt 10 solcher Küchen, damit auch alle TeilnehmerInnen versorgt werden können. Weiter vorne gibt es ein Restaurant, ebenso eine Küche, aber abgetrennt durch einen Tresen und davor mit Tischen und Bänken versehen, für jene, die neben der Gratisverköstigung hin und wieder etwas zum Essen kaufen möchten.

Rundherum stehen viele größere und kleinere Holzgebäude, eines dient als Auditorium, einige als Schlafsäle, WC-Anlagen, Duschen und andere mehr. Das Gelände ist leicht hügelig, die Sonne scheint, der Boden ist trocken, rund um diesen Kessel wächst Gebüsch und Regenwaldpflanzen und am Horizont ragen die majestätischen Cerros von Chiapas auf. Auf den naheliegenden bewaldeten Hügeln sehen wir viele blaue Zelte, die als Unterkunft für die Tausenden von Milicianos dienen. Wir erkunden die Gegend, trinken den ersten Cafecito, schauen den verschiedenen Fußballteams zu und dann beginnt das Kulturprogramm (las artes, denen die Zapatistas bereits seit 10 Jahren einen wichtigen Platz einräumen) mit den Theatervorführungen.

Die jungen Menschen der verschiedenen Caracoles haben die Theaterstücke einstudiert. Die Bühne ist das große freie Feld, sie sprechen über Mikrophone, ansonsten wäre auf diesem großen Territorium das Hören unmöglich. Sie stellen auf der Bühne das dar, was wir in den Kommuniques gelesen haben. In theatralischer Form zeigen sie ihre Geschichte, wie elend ihr Leben unter den Großgrundbesitzern war, sie stellen die Unterdrückung durch die schlechten Regierungen, Großunternehmer, kurz gesagt, dem kapitalistischen System dar. Sie zeigen auf, wie sie sich organisierten, wie sie trotz Vertreibung, Rückschlägen und Widrigkeiten begannen, sich selbst zu verwalten, die Unabhängigkeit zu leben und begannen, ein unabhängiges Schulsystem und Gesundheitssystem aufzubauen. Dann folgte die Landwirtschaft, sie begannen, das wiedergewonnene Land teilweise genossenschaftlich zu bearbeiten, teilweise im Familienbesitz. Eben so, wie es jeweils in der Gemeindeversammlung einstimmig entschieden wurde. Und dann stellen sie vor allem die letzte Phase ihrer Entwicklung dar. ´La No Probiedad – Lo Comun = das Nicht Eigentum –  Das Gemeinsame´. Das heißt, dass das Land niemand gehört, dass die Mutter Erde von allen bearbeitet werden darf, um Nahrung und Leben für alle zu sein. Und alle Entscheidungen müssen von Unten getroffen werden, jede Stimme zählt.

Besonders eindrucksvoll fand ich die Darstellung einer Gruppe, welche ihr Stück so aufbaute, dass ein Kind Fragen stellte. Sie sagen, hier erzählen sie eine Geschichte, aber das ist ihre Realidad, ihre Wirklichkeit die sie auf eigner Haut  erleben. Damit weisen sie auf den Kontrast hin, zu dem, was in den Medien gezeigt und gesagt wird. Das ist nicht Realität sondern was von Oben und von Medien vorgemacht wird. Starke und akkurate Kritik gegen alle Parteipolitik von Oben und gegen die offiziellen Medien (los medios de paga), wie wir das ja bei den Zapatistas seit Jahrzehnten gewohnt sind.

Die Theaterdarstellungen sind absolut beeindruckend, die Requisiten sind mit einfachsten Mitteln aber mit viel Einfallsreichtum gebaut, der Tren Maya erinnert zwar mehr an einen Autobus  aber wahrscheinlich ist das eine der vielen Ironien der Zapatistas.

 

Am 31.12. gibt es weitere Theatervorstellungen und Tanz-Performances, Fussballtourniere, Volleyballtourniere und alle die Lust haben, können sich für die Spiele melden. Wir werden mit Caldo de Res verwöhnt. Wie bei allen Feiern in den Comundiades wird für alle TeilnehmerInnen aufgekocht. Da wird dann ein Schwein oder ein Stier oder ein Lamm geschlachtet und mit viel Karotten, Kartoffeln, Kraut und Gewürzkräutern eine herrliche Suppe gebrüht. Dazu gibt es handgemachte Tortillas, gebraten am Comal, unvergleichlich besser als die tortillas die man in der Stadt bekommt, aus dem Gen-verseuchten Maismehl von Maseca. Scharfer Chili gehört dazu wird aber zum Glück extra beigefügt, das heißt, für die ´weniger Scharfen´ bleibt das Essen trotzdem genießbar.

Die Menschen verbringen den Nachmittag damit, sich mit alten und neuen Freunden zu treffen, Compañeroas kennenzulernen, ein Nickerchen zu halten und dann warten wir alle gespannt auf den Abend.

 

Kurz vor 11.00 Uhr beginnt das Desfile Militaer, der Aufmarsch der milicianos. Das ist das zapatistische Militaer. Ja ihr habt recht, die Zapatistas haben bereits im Jaenner 1994 den bewaffneten Kampf gegen einen friedlichen ausgetauscht, sie haben die Waffen niedergelegt – nicht abgegeben wohlgemerkt – aber das Heer wird aufrecht erhalten, zur Verteidigung. Ihre ¨Waffen´ sind zwei Holzstoecke, die Uniform eine gruene Hose, braunes Hemd, gruene Kappe, das Gesicht verborgen vom Pasamontaña. Und das Desfile also die Militärparade erfolgt zum Ton der Cumbia! Zuerst marschieren-tanzen die Frauen, dann die Männer, sie machen eine echte Performance daraus und dazu hören wir Musik  – Ja das ist zapatistisch – statt eines Militärmarsches eine Tanzmusik, ich glaube, es bedarf keiner weiteren Worte. Oder doch?  wie  Don Durito sagte `La cumbia es la continuación de la política por otros medios” = Die Cumbia ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln`

 

Musik    cumbia desfiles  – Como te voy olvidar = Wie könnte ich dich vergessen            4.28 Min

 

Um Punkt 11.00 Uhr beginnt der Supcomandante Moises mit der Ansprache. Er spricht auf tzeltal. Tzeltal ist eine der vielen zapatistischen indigenen May-Sprachen. Das ist ein klares Zeichen dafür, dass dieses Fest von und für die ZapatistInnen gedacht ist und die Menschen aus der sogenannten Zivilgesellschaft sind willkommene Gäste aber sicher nicht die Hauptdarsteller hier. Anschließend bringt er die Ansprache auf spanisch.

Er erwähnt alle ´Ausentes´, alle die fehlen. Die Schilder dieser Fehlenden stehen auch auf den Stühlen auf der Bühne. Das sind vor allem die ´buscadoras´= die Suchenden. So werden die mittelamerikanischen Muetter bezeichnet, die bereits seit Jahren zwischen Suchiquate und Rio Bravo unterwegs sind um ihre Kinder zu suchen, die seit ihrem Weg in die Migration nach USA kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben haben. Ebenso sind es die Mütter die ihre Töchter suchen und nicht wissen, sind sie ´desaparecidas´ = Verschwunden gemacht, oder Opfer von Femiciden. Die ´presos politicos´ = Politische Gefangene fehlen und die asesinados, asesinados = Ermordeten fehlen. Alle Kinder und Jugendlichen fehlen, die ermordet wurden Eine deutliche Referenz auf das in Mexiko überall grassierende organisierte Verbrechen. Und die zapatistischen Kämpfer die gefallen sind fehlen. Aber die Gefallenen werden nicht deshalb erwähnt um sie zu huldigen, die ZapatistInnen machen keine Shows wie die Schlechten Regierungen, sondern deshalb, weil sie ihre Pflicht erfüllt haben. Dann fährt Moises fort, dass sie niemand brauchen, der ihnen erklärt wie das kapitalistische System funktioniert, das haben sie bestens verstanden. Seit 30 Jahren machen sie nun ihre Selbstverwaltung und sie haben viel gelernt. Es geht darum, das Richtige zu denken, zu tun. Das Land ist das Eigentum des Volkes, niemals darf dies ein Privateigentum sein. Wer dieses Land bearbeitet, darf seine Früchte genießen. Wir haben jetzt viele Theaterstücke gesehen, das ist die Kunst das Wort, aber was die ZapatistInnen wirklich machen, das ist die Practica, denn das Wort allein reicht nicht, es bedarf der Practica. Zum Schluss der Rede erfolgt die Einladung an alle, wer kommen will und bei dieser Praxis mitmachen möchte ist herzlich eingeladen.

Nach Ende der wie  jedes Jahr mit Spannung erwarteten Ansprache beginnt der Tanz. Milicianos und Milicianas, Bases de apoyo und BesucherInnen tanzen bis zum Morgengrauen.

 

Der 1. Jaenner ist der Tag der BesucherInnen. Es gibt Theaterstücke, Gedichterlesungen,  Fotoausstellungen, Vorträge, Konzerte, Rap, Workshops für Sticken, Töpferei und vieles andere mehr.

An der Wand des Auditoriums hat die Palästina-Solidarität-Mexiko eine Fotoausstellung mit  entsetzlichen Fotos des Gaza-Krieges angebracht. Viele Menschen sind interessiert, sie hören aufmerksam zu, fragen nach, stellen fest, dass die Information der offiziellen Medien sehr einseitig ist und dass sie denen – aus ihrer Erfahrung heraus –  eh nicht glauben  und ihr Mitgefühl mit Menschen, welche dasselbe erleiden wie sie selbst, ist echt und tief empfunden.

 

Heute sehen wir endlich, wozu die vielen Fahrräder dienen, die hinter den Bänken aufgestellt waren. Wer die letzten Kommuniques gesehen oder gelesen hat, der weiß ja, dass die ZapatistInnen immer wieder Fotos mit Kindern auf Fahrrädern zeigen, diese Kinder haben auf dem Radl natürlich auch die Palästina – Fahne.  Die Gesundheitspromotoren sind auch mit Rädern unterwegs und heute machen die Kinder ein desfile mit ihren Rädern. Fröhlich fahren sie über das riesige Feld, ein Zeichen dafür, dass die Kinder fröhlich sein dürfen/sollen, dass es darum geht, für diese künftige Generation – und alle folgenden Generationen – eine Zukunft zu schaffen, in der sie in FREIHEIT leben können. Wer Chiapas kennt, weiß wie groß das Elend der Indigenen noch immer ist. Auch bei den ZapatistInnen war es nicht anders, bis vor 30 Jahren. Die Rad fahrenden Kinder sind ein Symbol dafür, dass jetzt hier alles anders ist.

 

So jetzt genug der Schilderung. Ich fürchte, es ist nicht in Worten auszudrücken, wie es im zapatistischen Territorium wirklich aussieht, was man dort fühlt, welche inputs man bekommt. Ich kann nur empfehlen, fahrt mal selber hin. Ich weiß, das ist nicht so leicht. Als Ersatz, gibt es unzaehlige Videos im Internet. Nicht nur von den Tercios Compas, das ist das zapatistische Informationsteam, sehr professionell übrigens. Viele freie Medien haben gefilmt und das ist alles ueber youtube usw abrufbar.

 

Nachdem wir jetzt so viel über das Erlebte erzählt haben, möchten wir noch ein wenig über die Kommuniques sprechen. Einige waren Videos, das kann man halt nicht beschreiben daher empfehlen wir euch, dass ihr es selber anseht. Wie immer auf enlacezapatista.ezln.org.mx

 

Das 18. Kommunique heisst ´Nie wieder…´ ´Nunca mas…´

Hier sprechen sie über die Memoria – die Erinnerung. Aber nicht wie die Von Oben, wo Helden gehuldigt werden. Die von Untern erinnern sich, voller Wut, eine Geschichte die noch nicht zu Ende geschrieben ist, immer gleich weiter geht. Sie erinnern sich ihrer Altvorderen, die befragen sie zur Gegenwart und alles dient dazu, eine bessere Zukunft zu schaffen. So leben und kämpfen die zapatistischen Völker, ohne dass sie Walter Benjamin gelesen hätten.

 

 

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