Würde die Ernennung Chuck Hagels der Anti-Kriegs-Linken wirklich helfen? Von Phyllis Bennis *

Chuck Hagel ist nicht jemand, den ich für ein mit Machtausgestattetes Amt auswählen würde. Er ist ein konservativer Republikaner, ein Militär, der als Freiwilliger in Vietnam kämpfte. Während Hagels Amtszeit als Senator, laut dem Forbes Magazin, „befürwortete er das Schulgebet, Raketenabwehrsysteme, Ölbohrungen in Alaska, während er Abtreibungen, gleichgeschlechtliche Ehen und Einschränkungen beim Besitz von Angriffswaffen ablehnte. Er stimmte für jeden Verteidigungshaushaltsvorschlag, der während der 12 Jahre seiner Amtszeit vorgelegt wurde, während er die Ausweitung von Medicare-Ansprüchen auf rezeptpflichtige Medikamente ablehnte. Derartige Positionen verschafften ihm eine lebenslange Einschätzung von 84 Prozent der American Conservative Union.“ Forbes hält all dies natürlich für großartig, ich eher nicht.


Aber, okay, wir reden hier über den Verteidigungsminister und nicht über jemanden, der für Innen- und Sozialpolitik zuständig ist. Also, zu allererst, wenn ich einen Verteidigungsminister aussuchen müsste, würde ich mit jemandem beginnen, der anerkennen würde, dass sein erstes Erfordernis wäre, die US-Kriegsmaschinerie von einer aggressiven zu einer defensiven umzuwandeln… etwas, das sie noch nie vorher gewesen ist. Wenn wir mal annehmen, dass es sich um einen Kongressabgeordneten handeln müsse, würde ich mit Barbara Lee oder Dennis Kucinich beginnen, und nicht mit Chuck Hagel.

Aber vor dieser Wahl stehen wir nicht. Die Alternativen zu Hagel werden nicht die tapfere Kongressabgeordnete aus Oakland oder der engagierte Verteidiger des Friedensministeriums sein, sondern es werden Militär-Bürokraten sein, die nie etwas abweichend vom Stichwortzettelkasten ihrer jeweiligen Vorgesetzten geäußert haben.

Letztendlich geht es nicht um Hagel oder wer auch immer. Es geht darum, was Obama durch seine Nominierung von Hagel als Verteidigungsminister signalisiert – und um die ihn bekämpfenden politischen Kräfte.

Hagels Nominierung erzeugte schon von Beginn ihrer Veröffentlichung als Versuchsballon vor zwei Wochen an eine wütende Ablehnung. Und die Tatsache, dass Obama an der Nominierung festhielt, trotz der Ablehnung und der Drohungen, dass der Senat Hagel nie für das Amt bestätigen würde, sind doch ein gutes Zeichen dafür, dass wenigstens bei einigen wichtigen außenpolitischen Angelegenheiten Obama nicht bereit ist , weder den pro-israelischen Lobbys noch dem harten Kern der Neokonservativen in und außerhalb Washingtons die Entscheidung darüber zu gestatten, wen er auswählen bzw. nicht auswählen könne als Verteidigungsminister.

Die Ablehnung kam von den beiden verschiedenen, aber einander überlappenden, Washingtoner Kohorten. Die Pro-Israel Kräfte sind erbost, dass Präsident Obama jemanden ernenne könnte, der einst die Tollkühnheit besaß, davor zu warnen, dass diese Lobby in Washington „eine Menge Leute einschüchtert“. Es wäre natürlich noch besser gewesen, hätte Hagel zutreffend die „Pro-Israel Lobby“ genannt und nicht die nachlässige Bezeichnung „jüdische Lobby“ gewählt, die den massiven Einfluss des rechts-gerichteten christlichen Zionismus auslässt.; Hagel selbst entschuldigte sich für diese sorglose Wortwahl. ( Wenn Israel sich selbst nicht als einen „jüdischen Staat“ bezeichnete, mit all der daraus resultierenden Apartheitspolitik, wäre die Unterscheidung vielleicht einfacher zu treffen. ) Aber wie auch immer die Wortwahl ausfällt, es handelt sich doch um eine bedeutsame Enthüllung der erkennbaren Macht dieser Lobby, und es reichte aus, dass AIPAC, die wichtigste Komponente dieser Lobby, sich der Kritik an Hagel enthielt, sobald die Nominierung endgültig geworden war, und es den extremeren Teilen, wie z.B. dem Emergency Committee for Israel, überließ die Angriffe fortzusetzen.

Was uns klar sein sollte, natürlich, ist, dass Hagel kein Befürworter einer auf den Menschenrechten, internationalem Recht und Gleichheit für Alle basierenden gerechten Lösung des palästinensisch- israelischen Konflikts ist. Er äußerte gegenüber Ha’aretz, dass jegliche Lösung „ keinen Kompromiss bezüglich Israels jüdischer Identität enthalten sollte.“ Das ist die Sprachregelung für das Akzeptieren von Israels zweigeteiltem Rechtssystem, das jüdische gegenüber nicht-jüdischen Bürgern privilegiert und Palästinensern wesentliche, nur Juden zustehende, Rechte verweigert. Noch mal, wir stehen nicht vor einer Wahl zwischen Unterstützern des internationalen Rechts und einem vorbehaltlosen Unterstützer Israels – aber einen Verteidigungsminister zu haben, der die Gefahr, israelische Interessen über die der USA zu stellen anerkennt und bereit ist, die Pro-Israel Lobby herauszufordern , das ist doch einen interessante Entwicklung. (Und falls Obama diese Nominierung auch als Gelegenheit sah, es Israels Premierminister Netanjahu für seine quasi-offizielle Unterstützung von Mitt Romney in der Präsidentschaftswahl letztes Jahr heimzuzahlen, dann ist das ein zusätzlicher Bonus.)

Der Ärger der Neocons über Chuck Hagel ist keineswegs neu. Etwas davon ähnelt der Frustration auf Seiten der Israel Lobby – Hagels Weigerung sich der politischen Forderungen von AIPAC anzuschließen, insbesondere seine Weigerung zum Krieg gegen den Iran aufzurufen. Er warnte, dass „Militärschläge gegen die Nuklearanlagen Irans ein ernsthaftes Versagen der Diplomatie signalisieren und ihre eigenen negativen Folgen für die USA und ihre Verbündeten zeitigen würden. Hagel hat stattdessen direkte bilaterale Verhandlungen mit dem Iran verlangt, und 2010 warnte er vor den Folgen eines Angriffs auf den Iran mit der Feststellung: “Wenn man erst einmal anfängt , sollte man am besten darauf eingestellt sein 100.000 Soldaten bereitzustellen, denn so viele würde man möglicherweise benötigen.“ Der notorische Unterstützer der israelischen Besatzung und Jura-Professor in Harvard, Alan Dershowitz, kündigte an, er werde gegen Hagel bezüglich des Iran aussagen und bezeichnete dessen Nominierung „eine schlechte Wahl für das Land.“

Hagel als Verteidigungsminister garantiert nicht, dass es keinen Krieg mit dem Iran geben wird – aber seine Nominierung durch Obama und dessen Bereitschaft, ihn gegen Anschuldigungen einer zu weichen Politik gegenüber dem Iran in Schutz zu nehmen, signalisiert doch, dass das Weiße Haus in naher Zukunft keine militärischen Maßnahmen gegen den Iran ins Auge fasst.

Die Neocons sind ferner sauer auf Hagel, weil er einer der ersten Republikaner war, der ihr Lieblingsprojekt, den Krieg gegen den Irak, kritisierte. Freilich hat er bei jeder sich ergebenden Gelegenheit für dessen Finanzierung gestimmt – er ist kein Friedensaktivist. Aber er brach politisch mit George W. Bush und seiner eigenen Partei als er Bushs Außenpolitik „unbesonnen“ nannte und dessen militärisches Vorgehen „surge in Iraq als ein Pingpong-Spiel mit amerikanischen Leben“ bezeichnete. Er drückte allerdings keinerlei Betroffenheit für das Leben der Iraker aus, noch stimmte er letztlich gegen den Krieg, weder 2002 zum Zeitpunkt der entscheidenden Abstimmung zur Ermächtigung der Kriegsführung, noch später, als es um die Gesetzesvorlagen zur deren Finanzierung ging. So schrieb David Corn 2002, dass Hagel „Demut anmahnte; ´Ich teile die Hoffnung auf eine bessere Welt ohne Saddam Hussein, aber wir wissen nicht wirklich, ob unsere Intervention im Irak zu einer Demokratie führen wird, entweder dort oder sonst wo in der arabischen Welt.` Unter dem Strich also: Hagel befürchtete, dass die Resolution zu einem Krieg mit einem schlechten Ausgang führen würde, hatte aber nicht den Mumm, gegenüber seinen Parteiführern nein zu sagen.“

Würde er sich gegen Obama stellen – der nicht seiner Partei angehört – angesichts eines möglicherweise desaströsen neuen Krieges – sagen wir in Syrien – oder einer Eskalation des Drohnenkriegs im Jemen, oder noch Anderem? Wahrscheinlich nicht, aber es gibt doch ein kleines bisschen Hoffnung, dass es anders ablaufen könnte, als nach der Ernennung eines Bürokraten aus dem Pentagon.

Und dann gibt es da noch das Budget des Pentagon. Hagel hat es „aufgebläht“ genannt, was ziemlich erstaunlich ist für einen zukünftigen Verteidigungsminister. Es ist gut möglich, dass Obama gedacht hat, dass ein dekorierter republikanischer Kriegsveteran seine beste Wahl sein würde, um einen republikanisch kontrollierten Kongress davon zu überzeugen, dass Kürzungen vorgenommen werden müssen. Was sicher nicht passieren wird ist, dass Hagel die Wahrheiten und Konsequenzen des gesamten Militärhaushalts zur Diskussion stellen wird – die Auswirkungen auf Jobs und das Gesundheitswesen von den 111Milliarden Dollars, die wir dieses Jahr für den fehlgeschlagenen Krieg in Afghanistan ausgeben, die Millionen Dollars pro Jahr, die es kostet nur einen jungen Soldaten in Afghanistan zu unterhalten und die Tatsache, dass wir diesen einen Soldaten heimbringen könnten und ausreichend Geld hätten ihm oder ihr und noch 19 weiteren jungen ehemaligen Soldaten gewerkschaftlich organisierte Stellen mit einem guten Mittelschicht Jahreseinkommen von 50.000 Dollar zu verschaffen. Das wird er nicht erörtern wollen.

Und doch, ein Pentagon-Chef der tatsächlich glaubt, das Budget seines Hause sollte gekürzt werden – das ist neu. Und letztlich ist das wohl der wichtigste Grund warum die Hetzhunde nach Hagels Haut geifern. Die Washington Post schrieb in Leitartikeln, dass Hagels Bereitschaft die Militärausgaben zu kürzen einer der Hauptgründe sei seine Nominierung abzulehnen. Hinter der Zeitung stehen, natürlich, die Rüstungsproduzenten und –unternehmen, bei denen die Managervermögen mit dem Pentagon-Haushalt stehen (und selten fallen).

Unglücklicherweise werden Militärhaushaltskürzungen, die wir wirklich benötigten um unsere Wirtschaft wieder aufzubauen und unser Land und die Welt zu einem sichereren Ort zu machen – eine Beenden des Afghanistankriegs schnell und vollständig, ein Beenden der Drohnenkriege, Schritte in Richtung vollständiger atomarer Entwaffnung, Schließen der ungefähr 1.000 Militärstützpunkte weltweit – all dies wird nicht auf der Agenda von Chuck Hagel oder irgendjemandem im Pentagon stehen. Und dennoch. Besser jemanden im Amt, der auch die Ausgaben für das Pentagon nicht für sakrosankt hält, als jemanden, der seine Aufgabe darin sieht, noch die letzten Milliarden Dollars zur militärischen Verfügung zu halten.

Die Herausgeber der Washington Post verurteilten weiterhin Hagels gesamte Politik. Die meisten nicht-parteipolitisch gebundenen Ernannten, so sagten sie, „bieten den Anschein der Überparteilichkeit bezüglich des nationalen Sicherheitsteams an.“ Aber Hagel wäre anders – er würde „sich nicht auf die Mitte zubewegen, was die übliche Rolle bei solchen Kandidaten der anderen Partei wäre. Im Gegenteil, Mr. Hagels erklärte Positionen zu wichtigen Angelegenheiten, von Verteidigungsausgaben bis zum Iran, stünden weit links von dem, was Obama während seiner ersten Amtszeit verfolgt habe und stellten Hagel im Senat in die Nähe einer absoluten Randposition.“

Was auch immer er sein mag, Chuck Hagel ist kein Linker. Positionen links von Präsident Obamas Mitte-rechts-Militärpolitik zu vertreten wäre kein sonderlich strenges Kriterium. Und doch, sich dem AIPAC, der Rüstungsindustrie und den ihnen verpflichteten Kongressabgeordneten und den noch einflussreichen Neocons entgegenzustellen, macht die Ernennung Hages zu einem guten Schritt für Obama. Und es gibt dem Rest von uns eine Basis noch weiter voranzukommen beim Beenden der Kriege, dem Schließen der Stützpunkte, dem Kürzen des Pentagon-Budgets und beim Besteuern der Rüstungsprofite.

[Übersetzung aus dem Englischen: Eckart Fooken]

* Originalartikel: Will Chuck Hagel’s Appointment Actually Help the Anti-War Left? In: The Nation (gepostet am 8. Januar 2013; www.thenation.com [externer Link].

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