Angst einflößen

Staatsanwaltschaft will 60 Jahre Gefängnis für Whistleblower Bradley Manning

Von Jürgen Heiser

An Bradley Manning soll ein Exempel statuiert werden

An Bradley Manning soll ein Exempel statuiert werden

Nach Abschluß der Beweisaufnahme zum Strafmaß im Verfahren gegen den Wiki­leaks-Informanten Bradley Manning hat das Militärgericht am Montag noch einmal Anklage und Verteidigung Gelegenheit zu letzten Stellungnahmen gegeben. »Für nicht weniger als 60 Jahre« soll das Gericht nach Auffassung der Staatsanwälte den Obergefreiten der US-Armee ins Gefängnis schicken. Außerdem soll er für seine Enthüllungen von US-Kriegsdokumenten und diplomatischen Depeschen eine Geldstrafe von 100000 US-Dollar an die Staatskasse zahlen. Wer sein Land verrate, so Hauptmann Joe Morrow im Namen der Anklage, verdiene keine Gnade vor Gericht. Vielmehr sei Abschreckung vonnöten. Das Gericht müsse »eine klare Botschaft an alle Soldaten aussenden, die erwägen, Informationen der nationalen Sicherheit offenzulegen«, forderte Morrow. Diesen Soldaten wolle die Regierung »Angst einflößen«, deshalb müsse an Manning ein Exempel statuiert werden. Erneut wies Morrow alle Versuche der Verteidigung zurück, Mannings Motive als Whistleblower herauszustellen. Weder der Armee noch ihrer Kommandostruktur sei der Prozeß gemacht worden. »Allein der Obergefreite Manning steht hier vor Gericht«, so Morrow.

Die Unerbittlichkeit der Ankläger, denen es »nur um Bestrafung« gehe, wies Hauptverterteidiger David Coombs zurück und bat das Gericht um Milde für seinen Mandanten. Richterin Oberst Denise Lind möge auf ein Strafmaß erkennen, das Manning noch ein Leben erlaube. Jedenfalls solle es nicht mehr als 25 Jahre betragen. Dies sei die Frist, nach der auch alle im Prozeß zur Debatte stehenden vertraulichen Dokumente nach dem Gesetz der Öffentlichkeit zugänglich gemacht würden. »Berauben Sie ihn nicht seiner Jugend«, so Coombs. Sein Mandant habe sich nur eines Vergehens schuldig gemacht, nämlich »sich um weitere Verluste an Menschenleben zu sorgen«. Im Februar hatte Manning in einer Einlassung zu seinen Enthüllungen erklärt, ihn habe die »scheinbar lustvolle Blutrünstigkeit« verstört, mit der US-Hubschrauberbesatzungen Zivilisten und Journalisten in Bagdad zusammengeschossen hätten, wie es auf Videomaterial zu sehen war, das er aus diesem Grund an Wikileaks weitergeleitet hatte.

Coombs erinnerte an den Militärpsychologen Dr. David Moulton, der als Zeuge im Prozeß ausgesagt hatte, Manning sei bei seinem Handeln von der Hoffnung getragen worden, nicht nur zur Beendigung der Kriege in Irak und Afghanistan beizutragen, »sondern auch aufzuzeigen, wie unnötig künftige Kriege sind«, weil sie kein einziges Problem lösten. Coombs an die Staatsanwälte gewandt: »Und für diesen Menschen fordert die Anklage 60 Jahre!« Das Pentagon habe jedoch keinen einzigen Beweis dafür erbracht, daß die Enthüllungen seines Mandanten den USA längerfristigen Schaden zugefügt hätten. Entsprechende Stellungnahmen der Staatsanwälte »ignorierten die Realität« und seien »bestenfalls spekulativ«.

Manning, 25, war Ende Juli unter anderem mehrfach wegen Spionage und Diebstahls von Geheimdokumenten schuldig gesprochen worden, die er 2010 während seiner Stationierung in Bagdad an die Enthüllungsplattform Wikileaks weitergegeben hatte. Nach seiner Verhaftung verbrachte er bis zum Beginn des Prozesses am 3. Juni über drei Jahre in Untersuchungshaft, davon neun Monate in Totalisolation.

Zu Mannings Bitte um Entschuldigung für die Motive seines Handelns, die er vergangene Woche vorgetragen hatte, erklärte Wikileaks-Gründer Julian Assange unterdessen, »in einem gerechten Verfahren hätte sich die US-Regierung bei Bradley Manning entschuldigen müssen.« Wie über 100000 Unterschriften unter seiner Nominierung für den Friedensnobelpreis zeigten, sei der Whistleblower »ein Symbol für Mut und humanitären Widerstand«.

Die Bekanntgabe des abschließenden Strafmaßes wird in den kommenden Tagen erwartet.

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