Offener Brief an Bundeskanzler Mag. Christian Kern

   Offener Brief

Betreff: Ihre absolvierte  Israelreise

Guten Tag, Herr Bundeskanzler Mag. Kern!

 

 Vor Ihrer dann abgesagten Israelreise haben wir Ihnen im Jänner dieses Jahres einen Brief geschrieben. Darin haben wir Sie gebeten, in Ihrem Gespräch mit Ministerpräsident Netanyahu  auch Israels fortdauernde Siedlungs- und Besatzungspolitik auf palästinensischem Territorium als maßgebliches Friedenshindernis kritisch anzusprechen und „uns nach Ihrer Rückkehr eine Antwort  auf unser Schreiben zukommen zu lassen“.  Diese Antwort ist bisher ausgeblieben.   Daher heute dieser Offene Brief.

 

Den Verlauf ihrer inzwischen nachgeholten Israelreise haben wir in verschiedenen Medien verfolgt. Zu unserer Enttäuschung haben Sie kein einziges Wort auch nur annähernder Kritik an der israelischen Siedlungs- und Besatzungspolitik verlauten lassen.

 

Diese Enttäuschung lässt sich auch im Vergleich mit dem Verhalten des deutschen Außenministers Sigmar Gabriel verdeutlichen: Während sich dieser bei seinem jüngsten Aufenthalt in Israel/Palästina auch wichtigen Menschenrechts- und Friedensorganisationen der israelischen Zivilgesellschaft[1] zugewandt hat, haben Sie es unterlassen, diese selbst unter starkem Druck stehenden Kräfte zu hören, deren politisches Gewicht zu stärken und so einen Beitrag zur längst überfälligen Konfliktlösung zu leisten.

 

Wir fragen uns, wie Sie Ihre offensichtlich unkritische Haltung gegenüber der rechtsnationalistischen Regierung Netanyahu rechtfertigen, wenn Sie doch gleichzeitig wissen, dass

  • die in Gaza lebende Bevölkerung seit mehr als 20 Jahren schwer unter ständig verschärfter und seit 2007 unter totaler Blockade leidet,

 

 

 

  • Israel seine illegale Siedlungs[2]– und Wasserpolitik fortsetzt,
  • mit dem völkerrechtswidrigen Mauerbau den PalästinenserInnen weiter Land geraubt wird und vielen Bauern ihre Existenzgrundlagen genommen werden,
  • in Ostjerusalem brutale Enteignungen palästinensischer Wohnungen im Gange sind,
  • in Hebron Drangsalierungen palästinensischer Familien an der Tagesordnung stehen, wie das Zuschweißen ihrer Eingangstüren (wie ein Mitglied von Breaking the Silence in dieser Doku[3] anschaulich schildert)
  • Schikanen, Rassismus und Diskriminierung an Checkpoints und in der Öffentlichkeit für PalästinenserInnen alltägliche Qual sind,
  • palästinensische ZivilistInnen Opfer willkürlicher Erschießungen sind[4], n
  • Israel seine Politik der Zerstörung palästinensischer Häuser fortsetzt[5],
  • AraberInnen und andere Minderheiten in Israel vielfach als Menschen zweiter Klasse behandelt werden.

 

Vor Kurzem befanden sich rund 1.500 politische Gefangene in einem fünfwöchigen Hungerstreik. Der wichtigste Grund: 500 PalästinenserInnen sind ohne Anklage oder Verurteilung hinter Gittern, weil die sogenannte Administrativhaft eine Inhaftierung auf bloßen Verdacht hin auf nahezu unbegrenzte Zeit erlaubt. Insgesamt sind  nach israelischen Angaben 6.240 Männer, rund 60 Frauen und Dutzende Jugendliche inhaftiert. Der unrechtmässig[6] zu fünffacher lebenslanger Haft verurteilte palästinensische Politiker Marwan Barghouti, ein Hoffnungsträger für das Erringen einen gerechten Friedens, erinnerte daran, dass seit 1948 „rund eine Million Palästinenser verhaftet, gefoltert, psychisch und physisch erniedrigt worden sind“.

 

Sie, Herr Bundeskanzler, haben bei Ihrem Besuch,  das alles ausgeblendet. Damit haben Sie zugelassen, dass diese rechte israelische Regierung ihre Politik der Apartheid weiterführt. Sie leisten damit dem weiteren Landraub an den Palästinensern, den zahllosen Menschenrechtsverletzungen und dem wiederholten und andauernden Brechen des Völkerrechts Vorschub.

Bei einem Fortdauern dieser österreichischen Haltung sind Sie und Ihre Regierung  dafür mitverantwortlich, dass ein Frieden in der Region auf die nächsten Jahrzehnte hinweg unmöglich sein wird. Österreichs Regierungspolitik ist damit mitverantwortlich für eine semikoloniale Politik EU-ropas, die Völkerrechtsbrüche, Ungerechtigkeit und Gewalt

weitgehend kritiklos zulässt und damit auch indirekt fördert. Diese Ihre Politik lässt die schwer unterdrückte palästinensische Bevölkerung in Stich, sie fällt aber auch den kritischen Friedens- und Menschenrechtsgruppen in Israel selbst in den Rücken.

 

Auch fragen wir uns, ob es auf der Ebene Ihrer persönlichen Motivation einen Zusammenhang gibt, zwischen Ihrer unkritisch proisraelischen Haltung und dem bekannten Faktum, dass ihre Frau Eveline in Israel ein Start-up Unternehmen[7] gegründet hat.  Rechtfertigt der erwartete persönliche Profit die Beteiligung an einem System kolonialistischer Ausbeutung und Unterdrückung? Welche Ethik und welches Qualitätsbewusstsein liegt einem innovativen Unternehmensgeist zugrunde, der  mit dazu beiträgt ein Apartheidsregime aufrechtzuerhalten?

 

 

Noch hoffen wir von Ihnen eine Antwort zu bekommen.

 

 

 

Begegnungszentrum für Aktive Gewaltlosigkeit Bad Ischl:   Matthias Reichl, eh.

 

Frauen in Schwarz/Wien:   Paula Abrams Hourani, eh.,  Dr. Angela Waldegg, eh.

 

Pax Christi Österreich Kommission Israel-Palästina:  Hannes Zukali, eh., Gerhilde Merz, eh.

 

Solidarwerkstatt Österreich: Gerald Oberansmayr, eh.

 

 

 

Steirische Friedensplattform:                  Franz Sölkner, eh.                   Helga Suleiman, eh.

 

 

 

 

 

 

Ergeht zur Information auch an Staatssekretärin Mag. Muna Duzdar, muna.duzdar@bka.gv.at

 

 

[1]             http://www.epa.eu/politics-photos/human-rights-diplomacy-photos/haaretz-newspaper-prints-a-letter-for-germany-s-chancellor-merkel-and-fm-gabriel-photos-53498134

[2]             Siehe die alarmierenden jüngsten Meldungen zu 15.000 geplanten neuen völkerrechtlich illegalen Wohnungen in Jerusalem: Fri Apr 28, 2017 http://www.reuters.com/article/us-israel-palestinians-settlements-idUSKBN17U1OS und 8000 in der Westbank 12 Jun, 2017, https://www.rt.com/news/391895-israel-approved-largest-settlements/

[3]                        http://www.arte.tv/de/videos/073399-001-A/re-breaking-the-silence

[4]                        http://www.palaestina-portal.eu/texte/hinrichtungen_toetungen_palaestina.htm

[5]                        Seit 1967 wurden mehr als 45.000 Häuser und andere Baulichkeiten zerstört.

[6]                        Die 4. Genfer Konvention verbietet Prozesse außerhalb der besetzten Gebiete

[7]                        http://www.blueminds-company.com/tbmc-team/

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