Stellungnahme der Friedensplattform zum erschütternden Ereignis am 20.6. in Graz

Die Steirische Friedensplattform trauert mit den Angehörigen der Opfer der von den Behörden titulierten „Amokfahrt“ am 20.Juni 2015.

3 Tote und 36 Verletzte forderte nach Stand vom 25.6., die anscheinend vorsetzlich begangene mörderische „Amokfahrt “ am Samstag, den 20.6. 2015 in Graz durch Alen Rizvanovic.

Wir sind sehr betroffen.

Als FriedensaktivistInnen beschäftigen wir uns mit den Kriegen und Katastrophen auf dieser Welt, als auch mit deren Ursachen, Auswirkungen und Hintergründen.

Und plötzlich ist Graz ein Ort der Zerstörung und Verwüstung.

Bis zum heutigen Tag wird sowohl von der Politik, der Polizei als auch von der Staatsanwaltschaft immer wieder ausdrücklich betont, dass kein politisches bzw. religiöses Motiv hinter dem Attentat stehe. Es sei eine individuell psychisch begründbare Tat gewesen.

Möglicherweise hatte der Angreifer keinerlei offenkundig politisches Motiv. Zumindest gibt er es laut Behörden bis jetzt nicht preis. Aber wir stellen uns dennoch die Frage nach dem gesellschaftlichen Hintergrund, der in der Lage ist, Menschen mit solch einem tiefen Hass auf andere Menschen hervorzubringen.

Es heißt, der Attentäter ist als Kind (4 Jahre alt) mit seinen Eltern 1995 aus dem Bosnienkrieg (1992- 1995) geflüchtet. Möglicherweise hat er Traumatisierungen erlebt. Krieg hinterlässt immer schmerzende Narben in der Psyche eines Menschen. Vielleicht ist sein familiäres Umfeld ebenfalls traumatisiert und hat die Wunden des Kindes immer weiter vertieft. Möglicherweise war die österreichische Aufnahmebereitschaft für diese Familie zu gering oder nicht vorhanden, sodass Ausgrenzung und Desintegration Hass und Gewalt in dieser Person vervielfachten. Die Wegweisung von der Familie mag sicher, wenn es nicht sogar der Auslöser war, eine große Rolle gespielt haben.

Die Ursachen des Bosnienkriegs haben wir vielfach erläutert. Die großen ökonomischen Mächte des Westens, insbesondere die NATO, hatten Interesse daran, das ehemalig sozialistische Jugoslawien aufzuteilen. Österreich hat sich mit seinen Mitteln aktiv daran beteiligt. Institutionelle Möglichkeiten zur Traumabewältung wurden den Menschen damals kaum oder gar nicht zur Verfügung gestellt. Obwohl man heute weiß wie wichtig dies ist und gerade Kinder und junge Flüchtlinge ihrer besonders bedürfen, hält sich die Finanzierung einschlägiger Maßnahmen bis heute sehr in Grenzen.​ Dabei suchen täglich Menschen aus Krisengebieten in Österreich Zuflucht.

Eine der Ursachen für Fremdenfeindlichkeit liegt in einer Mentalität, die sich vom solidarischen Gedanken einer gerechten Welt für alle Menschen verabschiedet hat. Die ökonomische Krise wird zur gesellschaftlichen: Die Angst vorm Verlust des eigenen Wohlstands verleitet dazu, noch Ärmere abzuwehren. Rechte Parteien fördern das, durch Hetzkampagnen gegen Minderheiten; – wie zuletzt die FPÖ Stmk im Landtagswahlkampf.

Was die Wegweisung betrifft, erinnern wir an die schon jahrelang von NGOs vorgebrachte Forderung nach einer Betreuung weggewiesener Männer. Warum geschah hier nichts? Es ist traurig, dass ein Sozialstaat gerade dafür kein Geld hat. Für viele andere Projekte im nicht-sozialen Bereich – wie das Spielbergspektakel zum Beispiel – schon. Insgesamt wäre die nachhaltige Durchführung gewaltpräventiver Maßnahmen in konfliktreichen Familien– und Wohnumfeldern das Gebot der Stunde.

Sicher gibt es nicht nur diese Gründe, sondern viele mehr, die den Täter zu seiner grauenhaften Tat veranlassten. Trotzdem: jede/r von uns ist auch Resultat seines gesellschaftlich-sozialen Umfelds und seiner Zeit.

Die Fragen danach haben wir uns erlaubt zu stellen.

Weiters stellen wir uns auch Fragen nach dem Umgehen der Behörden mit der von ihnen sobenannten „Amokfahrt“. Welche Informationspolitik wurde betrieben? Widersprüchliche Aussagen von Seiten der Polizei erfolgten schon in den ersten Stunden. Zum Beispiel wurde behauptet, der Täter habe sich ergeben. Danach hieß es, er habe das Auto vor der Polizeistube Schmiedgasse angehalten und 2 Polizisten, die gerade draußen waren, hätten ihn widerstandslos festgenommen. Wie gut funktioniert die Kommunikation innerhalb der relevanten Sicherheitskräfte in solchen Ausnahmesituationen?

Die Informationen über den Täter wurden (und werden) nur stückweise bekanntgegeben. Die Staatsanwaltschaft müsste alle überprüften Informationen klar an die Öffentlichkeit weitergeben, denn sonst lässt dies so viele Möglichkeiten für Spekulationen offen, die einer wie HC Strache zu nützen versuchte. Schlimm ist, dass genau auf Grund solcher mangelnder und undurchsichtiger Informationspolitik wieder Minderheiten unter Verdacht gestellt werden. Wenn am 23. Juni in der ZIB1 berichtet wird, der Täter hätte seine Frau gezwungen ein Kopftuch zu tragen, wäre auch zu erwähnen gewesen, dass Muslime unter den Opfern sind und anscheinend vom Täter gezielt anvisiert worden waren.

Zudem:  Wo bleiben andere Informationen, wie zum Beispiel jene über angebliche Treffen mit Hooligans (eine bekannt aggressive und zum Rechtsextremismus tendierende Gruppe) in den Tagen vor der Tat? Wo hat sich der Täter vor seiner Tat aufgehalten?

Wir möchten betonen, dass die Öffentlichkeit und insbesondere die Opfer und deren Angehörige in einer Demokratie ein Recht auf Information haben. Die Polizei sitzt an der Quelle. Sie hat die Möglichkeiten alles zu recherchieren und über eine verantwortungsvolle Herausgabe aller relevanten Informationen die Bevölkerung zu informieren.

Niemand soll parteipolitisches Kleingeld daraus schlagen können.

Wir hoffen, dass in den nächsten Tagen die Fakten und Hintergründe zur Tat vollständig bekanntgemacht werden.

Wir wehren uns gegen jede Stimmungsmache auf Kosten von wem auch immer. Das verlangen Respekt und Anteilnahme vor den Opfern und ihren Angehörigen.

Wir trauern.

 

Für die steirische Friedensplattform

Ante, Franz, Helga, Johann, Veronika

2 Kommentare zu “Stellungnahme der Friedensplattform zum erschütternden Ereignis am 20.6. in Graz”

  1. LinkeWoche » Innen - Erscheint jeden Freitag, aktuelle Ausgabe Nr. 245 vom 26. Juni 2015 sagt:

    […] Stellungnahme der Friedensplattform zum erschütternden Ereignis am 20.6. in Graz […]

  2. LINKEstmk » Stellungnahme der Steirischen Friedensplattform zum erschütternden Ereignis am 20. Juni in Graz sagt:

    […] http://www.linkewoche.at/?p=11599#more-11599 Stellungnahme der Friedensplattform zum erschütternden Ereignis am 20.6. in Graz […]

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