Märsche der Anti-Islamisten: Null Toleranz für Pegida

Ausländerfeinde und Anti-Islamisten wagen sich aus der Deckung. Das ist ein Zeichen der deutschen Krise. Es geht gar nicht um Zuwanderung – sondern um Angst und Armut in einem kälter werdenden Land. Eine Kolumne von

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Pegida-Demo in Dresden (Archivbild): Das Ressentiment sucht sich seinen Weg allein

In Dresden waren es nun schon 15.000! Sie folgten am vergangenen Montag einem Aufruf der sogenannten „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“. Als Pegida drücken sie diesem Winter des deutschen Missvergnügens ihren Stempel auf.

In ganz Deutschland wächst der Protest. Medien und Politik reagieren: Sie wollen „verstehen“ und „erklären“. Das ist ein Fehler. Erstens ist Rassismus kein Problem der Erkenntnis, sondern eines der Moral. Und zweitens geht es weder um die Zuwanderer noch um den Islam. Es geht um den schwindenden Konsens und die zunehmende soziale Kälte in einem ungerechten Land.

Der frühere Vizepräsident des Deutschen Bundestags, Wolfgang Thierse, hat gesagt, die Politik müsse besser erklären, „warum wir Einwanderung brauchen“. Sigmar Gabriel, Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland, sagt, die Politik müsse zugehen auf all jene, „die verunsichert sind und mitlaufen“. Thierse und Gabriel sind aufrechte Demokraten. Aber sie irren. Die Politik sollte den Teufel tun und die Debatte mit Idioten und Rassisten suchen. Denn ein Idiot oder ein Rassist ist jeder, der an einer Demonstration gegen die „Islamisierung des Abendlandes“ teilnimmt.

Der Sachverhalt lässt sich ja schnell klären. Wie hoch ist der Anteil von Muslimen in Deutschland heute? Fünf Prozent. Wie hoch wird er nach seriösen Schätzungen im Jahr 2050 liegen? Bei sieben Prozent. Die „Islamisierung“ fällt also aus. Hat sich Pegida damit erledigt? Nein. Denn darum geht es in Wahrheit gar nicht.

„Im Inneren dieser Gesellschaft brodelt es“

Und es geht auch nicht um den Islamismus und seinen Terror. Den Muslimen die Schuld am Anti-Islamismus in die Schuhe zu schieben, ist ebenso perfide, wie die Juden für den Antisemitismus verantwortlich zu machen. Die verfehlte Siedlungspolitik Israels hat mit dem Antisemitismus ebenso wenig zu tun wie die Verbrechen des „Islamischen Staates“ mit dem Anti-Islamismus. Das Ressentiment sucht sich seinen Weg allein. Für ihren Hass auf Muslime brauchen deutsche Spießer die Abweichungen des Islam ebenso wenig wie die Antisemiten für ihren Hass gegen die Juden irgendwelche Neuigkeiten aus Israel. Was Adorno das „Gerücht über die Juden“ nannte, nährt sich selbst. Und so nährt sich heute auch das „Gerücht über die Muslime“ selbst.

Warum? Vor einigen Jahren schon hat der Philosoph Oskar Negt vor dem gewarnt, was wir jetzt sehen: „Im Inneren dieser Gesellschaft brodelt es, mit Ausbrüchen ist zu rechnen, in der Abwendung vom System entstehen politische Schwarzmarktfantasien.“

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Pegida-Aufmarsch: 15.000 gegen den Islam

Thilo Sarrazin und seine düsteren Gedanken waren die ersten Symptome dieser Schwarzmarktfantasien. Es ist kein Zufall, dass Sarrazins Aufstieg zum dunklen Stern einer Philosophie des Ressentiments mit der globalen Finanzkrise zusammenfiel. Der Sieg des Finanzkapitalismus führt zur Krise der parlamentarischen Demokratie: Beides zusammen lässt sich eben nicht haben. Das statistische Bundesamt hat gerade mitgeteilt, dass im Jahr 2013 jeder fünfte Einwohner Deutschlands von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen war. Das sind 16,2 Millionen Menschen.

Viel zu viele in der Politik haben im Kampf gegen diesen Kapitalismus schon kapituliert. Und viel zu viele in den Medien mit ihr. Der Leitartikel der „Zeit“ ist dafür ein trauriges Beispiel.

Da heißt es: „Eine unkontrollierte Einwanderung ist nie nur ein Gewinn. Es gibt unter Migranten mehr Arbeitslose als im Durchschnitt der Bevölkerung und unter Ausländern mehr jugendliche Kriminelle, was oft soziale Ursachen hat. Die Terrorgefahr auf der ganzen Welt ist eine islamistische. Nur bringt es viele Menschen zur Raserei, wenn die Politik auf diese Probleme mit Verharmlosung und Sprechverboten reagiert.“

Es die alte Methode, das Vorurteil zu schüren, ohne sich die Hände schmutzig zu machen. Die Sprache entlarvt den Gedanken: Gibt es denn eine „unkontrollierte Einwanderung“? Nein. Natürlich nicht. Das Gegenteil ist der Fall. Gibt es eine „Verharmlosung“? Wiederum nein. Selbst ein vollkommen unsinniges Anliegen wie die Furcht vor „Islamisierung“ findet im gnädigen deutschen Diskurs seinen Raum. Und der Begriff vom „Sprechverbot“ gehört ohnehin zum reaktionären Repertoire. Es gibt in Deutschland keine Sprechverbote. Und wer ihre Existenz behauptet, betreibt damit bereits Politik.

Anstatt die Schwachen zu ermuntern, sich als Objekte ihres Zorns noch Schwächere zu suchen, sollten wir die Ursachen für die zunehmende soziale Kälte dort suchen, wo sie liegen – in einem zunehmend ungerechten Wirtschaftssystem.

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/jakob-augstein-ueber-pegida-eine-folge-von-angst-und-armut-a-1009297.html

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